Die Betrogenen

Was kommt dabei heraus, wenn ein Essayist und Literaturkritiker die Seite wechselt und sich als Romancier versucht? Michael Maar hat es vorgezeigt: Ein schmales Bändchen ist es geworden, nicht einmal ganz 150 Seiten stark, aber inhaltlich aller Ehren wert.

"Ich habe schon seit vielen, vielen Jahren daran gedacht oder mit dem Gedanken geliebäugelt, mich selbst mal auf die andere Seite zu bewegen und also als Kritiker mal sozusagen den Fluss zu überqueren und mich selbst auf dem Feld der Fiktion zu tummeln. Und dann hatte ich mir irgendwann einfach den Vorsatz gemacht und gesagt: also mit 50 möchte ich ein Manuskript dieser anderen Sorte haben. Es hat dann etwas länger gedauert, ich war 52, als das Buch schließlich vorlag, aber im Großen und Ganzen hatte der Plan geklappt, also es war wirklich die Idee, es einmal probieren zu wollen, weil ich mich einfach einer neuen Herausforderung stellen wollte, und man hat einfach so sehr viel mehr Möglichkeiten auf dem Feld der Fiktion, erzählt der Autor.

Karl Lorentz ist im Literaturbetrieb ein eher kleiner Fisch, er arbeitet als Agent, ist als Schriftsteller ziemlich erfolglos und soll nun die Biographie seines väterlichen Freundes, des berühmten Autors Arthur Bittner verfassen.

Das Ganze spielt also in der Literaturszene und wird daher von Rezensenten gern als Literaturbetriebsroman verstanden - aber das ist es gar nicht, meint Michael Maar, vielmehr hätten die Kritiker sich auf dieses Milieu kapriziert: "Die 20 Prozent meines Buches, die am Rande im Literaturbetrieb spielen, 80 Prozent spielen wo vollkommen anders, in ganz anderen Milieus, mit ganz anderen Figuren, ganz anderen Themen, aber diese 20 Prozent, die interessieren sie, da werfen sie den Fokus drauf und erzählen dann rum, das sei ein Roman, der vom Literaturbetrieb handelt, was er höchstens am Rande und als Staffage und als Kulisse tut. Es ist jedenfalls kein Schlüsselroman und was ich dann immer so lese wer da angeblich gemeint sei, die meisten Menschen kenne ich nicht mal persönlich", sagt Maar.

Kunstvoll verschachtelt

Worum also geht es dann? In erster Linie um allzu menschliche Irrungen und Wirrungen. Im Gespräch mit Bittner erfährt Karl, dass der große Schriftsteller eine Tochter aus einer früheren Beziehung hat, die nun in Berlin lebt und gemeinsam mit einer Freundin eine Galerie betreibt. Als gründlicher - wenn auch etwas schreibfauler - Biograph reist Karl also in die Hauptstadt, trifft dort die blonde Nora und verliebt sich prompt in sie. Es bleibt freilich bei einer einzigen gemeinsamen Nacht, dann erfährt Karl, dass Bittners Tochter nach Amerika gezogen ist.

Hinter all dem steckt ein Trick des Autors, der bei genauem Lesen durchaus erkennbar ist - man muss nur auf die Namen achten: "Ein Name fällt dann auch dreimal und der fällt dann am Schluss in einer Traueranzeige noch einmal und dadurch ist es auch eindeutig, es ist also nicht eine Sache der Interpretation, sondern es ist also schwarz auf Weiß nachzulesen. Nur der Held bemerkt es bis zum Schluss nicht, der Held irrt herum und wir Leser haben, wenn wir denn die Pointe bemerken am Anfang, das etwas sadistische Vergnügen, zugegeben, jemandem dabei zuzuschauen wie er irrt und herumstolpert und nicht sieht, dass das Glück eigentlich um die Ecke wohnt", erklärt der Autor.

Überhaupt ist Michael Maars Roman ein kunstvoll verschachteltes, intelligentes und fein ziseliertes Stück Literatur geworden. Es geht um Sein und Schein, um Täuschung und Enttäuschung, um Verständnis und Missverständnis und um die Frage nach der Wahrheit und ihrer Verträglichkeit.

Von solch kleinen Beobachtungen lebt der Roman, nicht von einer überbordenden Handlung, sondern von geistreichen Dialogen und ironisch-entlarvenden Einwürfen etwa zur Frage, wie man ein Gerücht am besten verbreitet oder warum man nie einen Bleistift in die Innentasche des Jacketts stecken soll.

Details als Herausforderungen

Dazu kommen liebevoll ausgeführte Details: Karl, der einen Marienkäfer betrachtet, Butterblumen, verblühte Forsythien - atmosphärische Kleinigkeiten, die für Michael Maar zu größeren Herausforderungen wurden: "Das Schwierigste sind so läppische Beschreibungskleinigkeiten, die man braucht, um Zeit verstreichen zu lassen, wo also eigentlich nichts passiert aber wo - ja, wo ein Schmetterling dann an einem Busch vorbeifliegt oder wo sich zwei Eichhörnchen auf dem Baum jagen, oder Naturbilder oder einfach so kleine, gar nicht wichtige, gar nicht tragende Details, die aber eben dann doch wichtig sind, um eine gewisse Atmosphäre zu erzeugen, um das Gefühl von verstreichender Zeit zu erzeugen und so, und da habe ich oft lange überlegt, an diesen Kleinigkeiten, die man dann, wenn es gut wird, gar nicht mehr merkt im Text, die einem auch gar nicht mehr auffallen dürfen eigentlich, aber die eben doch notwendig sind", so der Schriftsteller.

Anspielungen

Natürlich ist auch die Literaturszene präsent: Da ist Bittner, der mit der Idee einer kosmischen Black Box spielt, in der alles, was passiert, aufgezeichnet wird, um sich dem Menschen in seiner Sterbesekunde zu offenbaren, da ist Bittners Intimfeind Moritz Manteuffel, der ausgerechnet in Karls Nachbarwohnung zieht und dann auch noch den begehrten Literaturpreis der Grabbe-Gesellschaft erhält, da tummeln sich all die Autoren, Verleger und Agenten auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten und bieten Michael Maar eine wunderbare Projektionsfläche für seine klugen Beobachtungen, mit denen er hinter die Fassade vorstößt und den Kern der Dinge offenzulegen versucht.

Nicht ganz umsonst trägt der Roman den Titel: "Die Betrogenen". Das ist einmal eine Anspielung auf Thomas Manns Erzählung "Die Betrogene", zum anderen aber auch ein Hinweis darauf, dass die Figuren tatsächlich letztlich Betrogene sind. Michael Maar sagt zu dem Titel: "Wenn man dann das Buch liest und es so ein bisschen tiefer durchleuchtet, dann kann man schon dahinterkommen, dass die meisten dieser Figuren betrogen sind in dem Sinne, dass sie am Narrenseil ihrer Eitelkeit herumgeführt werden und wenn man will, kann man dem ganzen Buch auch einen gewissen schopenhauerschen Sinn unterlegen und dann ist der Titel auch nicht ganz verkehrt. Aber die Anspielung auf die letzte Erzählung Thomas Manns, die sollte man nun nicht allzu penibel ausbuchstabieren, es gibt ein bisschen was her aber so viel dann wieder auch nicht. Es ist eben ein Titel, nicht mehr und nicht weniger."

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Michael Maar: "Die Betrogenen", C.H. Beck Verlag

C.H. Beck Verlag - Die Betrogenen