Undercover unter Neonazis
Blut muss fließen
Vor fünfzehn Jahren begann Thomas Kuban - das ist das Pseudonym des etwa 40-jährigen deutschen Journalisten - seine geheimen Recherchen in der Rechtsrockszene, die er in seinem Buch "Blut muss fließen - Undercover unter Nazis" ausführlich schildert.
8. April 2017, 21:58
Erst kurz bevor er mit dieser gefährlichen und völlig unterbezahlten Arbeit aufhörte, interessierte sich auf einmal ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsender für sein Filmmaterial - zum ersten Mal. Auch dann konnte er keinen Auftrag erhalten. Die Redakteure waren interessiert, nur ihr Etat war wieder zu knapp. Immerhin schien Kuban am Ziel, die Redakteure endlich für die Rechtsrockszene zu interessieren.
Was macht die Neonazi-Bewegung so stark?
"So eine Terrorzelle kann es überhaupt nur geben, wenn es eine starke Neonazi-Bewegung gibt, weil nur dann ist eine Unterstützerszene vorhanden, wie man jetzt auch sieht: Es kommen immer mehr Unterstützer zutage, die das gefördert haben, dieses Terrortrio. Und deshalb muss man natürlich ganz zentral schauen, was macht diese Neonazi-Bewegung so stark. Und dazu gehört, dass Gerichte Rechtsrockkonzerte genehmigen", sagt Kuban.
Thomas Kuban filmte jahrelang heimlich in der Szene, unter anderem auf 25 Konzerten in acht europäischen Staaten. Seine einmaligen Erfahrungen und detaillierten Erkenntnisse bilden das Gerüst dieses Buches. Darin beschreibt er seine Arbeit in der Szene, stellt einige zentrale Bands und Musiker ausführlich vor, zitiert aus ihren rassistischen und antisemitischen Texten, erzählt wie raffiniert sie die oft vorhandenen Gesetze umgehen und berichtet über den Umgang von Verfassungsschützern, Polizisten, Staatsanwälten und Redakteuren mit der braunen Musikszene.
Das ist besonders interessant. Kubans Selbstreflektionen, die er offen darlegt, erklären vielleicht den Reiz der verbotenen Musikszene, in deren Internetforen er mit fiktiven Identitäten verkehrte.
Zitat
"Ich konnte bald nicht mehr abschalten. In jeder freien Minute dachte ich über neue Identitäten und bessere Kameralösungen nach. Perfektion war notwendig, um die Lebensgefahr zu minimieren. Hätte der 'Saalschutz' der Nazis Verdacht geschöpft und meine Kamera entdeckt, dann wäre ich zusammengeschlagen und zusammengetreten, womöglich zum Krüppel oder totgeprügelt worden. Was ursprünglich als eine einmalige Aktion geplant war, entwickelte sich für mich zu einem zweiten Leben. Ich lebte als (Video-) Kamerad mit und in dieser Neonazi-Szene".
Zufällig beginnen Thomas Kubans Dreharbeiten im Jahr 2003, wenige Monate nachdem das Bundesverfassungsgericht den Verbotsantrag der rechtsextremen Partei mit dem Argument ablehnte, zu viele Führungskräfte der NPD seien Informanten des Verfassungsschutzes.
Die NPD feierte den Ausgang des Verbotsverfahrens als Sieg und half Kuban bei seinen ersten verdeckten Ermittlungen, denn er stellte sich als neugieriger Einsteiger vor. Den Nationaldemokraten widmet er ein ganzes Kapitel.
Zitat
"Um junge Leute zu rekrutieren, hat sich die NPD zunehmend dem Bereich angenähert, der mich vor allem interessierte, der neonazistische Skinhead-Musikszene."
Die NPD erkannte die Politikverdrossenheit der meisten Jugendlichen, die sie durch Musikfeste an sich binden konnte, die bis heute noch legal stattfinden. Die Polizei kann sie viel schwerer verbieten als Konzerte rechtsextremer Kameradschaften.
"Innerhalb der Neonazi-Bewegung ist die Musikszene die zentrale Szene, weil sie eben für Nachwuchs sorgt, Jugendliche anlockt. Es ist der Reiz des Verbotenen, der da sicherlich auch eine Rolle spielt: Allein die Fahrten zu den Konzerten haben ja Erlebnischarakter… (Es ist ein großes Räuber- und Gendarmenspiel…) Und dann bei den Konzerten selbst sind natürlich die Reize, die jedes Rockkonzert bietet und zusätzlich können die jungen Leute das Verbotene tun: Sie können gemeinsam abhitlern, also Hitlergrüße zeigen, sie können Sieg Heil schreien, sie können verbotene Lieder singen, ohne dass die Polizei eingreift im Regelfall, so sieht es leider aus", sagt Kuban.
Die biedere, rassistische Welt der NPD
Kubans Buch ermöglicht den Lesern Einblicke in die biedere, rassistische Welt der NPD, dessen zweifacher Präsidentschaftskandidat Frank Rennicke Junge und Alte begeistert mit seinem Hass auf die deutsche Demokratie und seinen sanfteren Melodien.
In dieses Bild der brandstiftenden Biedermänner passt auch Rechtsanwalt und Scheidungsexperte Steffen Wilfried Hammer mit Kanzlei bei Stuttgart, der zugleich Sänger und Texter der 2010 aufgelösten Band "Noie Werte" war. Er sorgte für schreckliche, wenn auch legale Texte.
Einer der Gitarristen, Oliver Hilburger, war sogar ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht und Landesvorstand der Christlichen Gewerkschaft Metall. Beide Ämter musste er nach Kubans Berichten niederlegen.
Menschenverachtende Konzerte
Das Buch zeigt, wie clever Neonazi-Bands an Landesgrenzen konspirative Konzerte geben, wo die Zuständigkeit der Polizei wechselt. So wurde ein Auftritt, das ursprünglich in Bayern stattfinden sollte, kurzfristig nach Mitterding in Oberösterreich verlegt.
Als Thomas Kuban in der Diskothek ankam, waren dort nicht nur 200 überwiegend deutsche Skinheads und drei Bands anwesend, sondern auch einheimische Polizeibeamte.
"Und ich dachte, naja, aus dem Konzert wird heute nichts mehr. Dann passierte aber das Überraschende: Nach einer Zeit des Wartens, die nicht mal mit der Polizei zu tun hatte, sondern damit, dass dem Schlagzeuger seine Sticks gefehlt haben, hat sich die Polizei auf einmal von den Nazis verabschiedet, teilweise sogar per Handschlag, es gab auch Schulterklopfen von Nazis. Auch eine Polizistin war da, die sich noch mit den Nazis hat fotografieren lassen. Und dann ist die Polizei abgezogen und ein menschenverachtendes Konzert hat sein Lauf genommen. Es wurde beispielsweise vom Publikum ein Song angestimmt: 'In Majdanek, in Majdanek, da machen wir aus Juden Speck/ In Auschwitz weiß ein jedes Kind, dass Juden nur zum Heizen sind". erzählt Kuban.
Wären die Beamten drin geblieben, hätten sie den öffentlichen Charakter des Konzerts erkannt, schreibt Kuban. Hätten sie - so wie er - die verbotenen Songs gekannt, wären sie eingeschritten, wenn so ein Lied gesungen wurde.
Immerhin ist die Folge dieses Skandals, den Kuban durch seine Konzertausschnitte auslöste, dass solche großen Rechtsrockkonzerte nicht mehr stattfinden, so Kuban.
Weckruf und Alarmsignal
Interessant sind auch Kubans Hinweise auf die ganze Industrie, die hinter der Rechtsrockmusik entstanden ist und die teilweise die Neonaziszene fördert. Er selbst ist durch seine langjährige Recherche im braunen Sumpf jedoch pleite - finanziell und seelisch.
Sein Buch ist daher auch eine Anklageschrift gegen die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, die lieber in Fußball und Talkshows als in aufwendige Recherchen unter Neonazis investierten.
Zum Schluss fordert Kuban eine radikale Reform von ARD und ZDF, damit die Bürger durch Recherchen wie seiner ausreichend informiert werden. Er selbst sucht sich eine neue Beschäftigung. Sein Buch ist sein alarmierendes Abschlusswerk.
Service
Thomas Kuban, "Blut muss fließen - Undercover unter Nazis", Campus Verlag