Bibelkommentar zu Markus 10, 17 – 31
Das Bild vom Kamel, das nicht durchs Nadelöhr passt ist ein biblischer Klassiker. Die dazugehörende Geschichte wird auch von drei Evangelisten nahezu gleichlautend erzählt, ist also ein unverzichtbarer Teil dessen, was von Jesus und seiner Botschaft weitergegeben wurde.
8. April 2017, 21:58
Wie soll denn das gehen, mit dem Kamel und dem Nadelöhr? Wie kriegt man es durch? – Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten: das Kamel kleiner oder das Nadelöhr größer machen. Genau das wurde und wird in der Auslegung der Stelle auch immer wieder versucht: z.B. durch die Erklärung, dass das Kamel eigentlich gar kein Kamel sei, sondern nur falsch übersetzt wurde. Das eigentliche Wort heißt dann im aramäischen Urtext „Schiffstau“. Oder dass ja gar kein echtes Nadelöhr gemeint war, sondern eine kleine Pforte in der damaligen Stadtmauer in Jerusalem.
Wie dem auch sei: all diese Harmonisierungsversuche ändern nichts an der Tatsache, dass Jesus von etwas spricht, was einfach unmöglich ist: Ein Reicher gelangt nicht in das Reich Gottes. Eine harte Bandage.
Jesus sagt diese klaren Worte zu seinen Jüngerinnen und Jüngern im Anschluss an ein Gespräch mit einem wohlhabenden jungen Mann, der die Nachfolge ernst nehmen wollte. „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?“, das ist seine drängende Frage. Das ewige Leben, ein Leben, das in seinen Wertigkeiten die Zeiten überdauert, das wahre Leben, für das es sich wirklich lohnt zu leben – der Sinn des Lebens, jenseits von Reich und Schön ist hier gefragt. Jesus begegnet diesem stürmisch Suchenden sehr wohlwollend. Er gibt jedoch nicht irgendwelche frommen, idealisierenden Ratschläge sondern erinnert ihn zuerst an die Tora, die jüdischen Gebote, die das miteinander Leben unter den Menschen regeln. Aber das genügt in diesem Falle nicht. Ganz offensichtlich trennt diesen jungen Mann noch etwas Entscheidendes von der Teilhabe am Reich Gottes, und Jesus spricht es auch ganz direkt an: es ist sein Reichtum.
Nun wissen wir, dass zu Jesu Zeiten Nachfolge konkret bedeutete, sich seiner Bewegung anzuschließen. Als wandernde Prediger und Charismatiker zogen sie heimatlos, familienlos, besitzlos und schutzlos durch das Land. Allerdings nicht, um die Armut an sich zu idealisieren. In der römischen Provinz Palästina war damals ohnehin der Großteil der Menschen arm. Sie lebten ohne Grund und Boden, ohne Arbeit, in Schuldknechtschaft, Krankheit und Elend. Das Land wurde beherrscht von der ausbeuterischen Weltmacht der Römer und einer inländischen Elite, die davon profitierte.
Reichtum auf der einen und Armut auf der anderen Seite – das ist jedoch genau das Gegenteil dessen, was Jesus mit seiner Bewegung propagierte: das Reich Gottes, das charakterisiert ist durch die wesentlichen Merkmale Gerechtigkeit und Frieden.
Reichtum und Armut sind auch heute die zwei prägenden Gesichter der Gesellschaft. Seit einigen Jahren wird nicht nur ein Armutsbericht vom Sozialministerium veröffentlicht, sondern auf Druck der Sozialorganisationen auch ein Reichtumsbericht. Denn das eine hat mit dem anderen zu tun. Steigender Reichtum und steigende Armut bedingen einander – in Österreich und weltweit. Umverteilung zu den Reichen erfolgt auf Kosten der Armen. Weltweit wird das Unrecht immer größer, und die aktuelle Krise samt folgenden politischen Maßnahmen treibt Arm und Reich noch weiter auseinander.
Reichtum und Armut spalten die Gesellschaft und trennen die Menschen. Armut grenzt aus - wer jeden Euro zweimal umdrehen muss ist von vielen Aktivitäten und Orten ausgeschlossen. Armut macht einsam und krank.
In der heutigen Bibelstelle wird die andere Seite benannt. Der Reichtum trennt, sagt Jesus. Er trennt vom Reich Gottes, weil er verunmöglicht, was es ausmacht: ein gutes, gemeinsames Leben aller Menschen.
Reichtumskritik und Besitzverzicht waren in der Kirchengeschichte immer schon ein Ärgernis und haben Spannungen erzeugt. Das ist heute nicht anders, in einer Gesellschaft, in der Besitz und Eigentum nahezu als Fetisch, unantastbar, gleichsam als „heilig“ gelten. Um die Sicherung des Privateigentums dreht sich in der westlichen Welt die gesamte Gesetzgebung, darauf beziehen sich die meisten Rechte als Staatsbürger.
Wenn Jesus jene, die ihm nachfolgen wollen, zum radikalen Verzicht auf Reichtum auffordert, so kann das heute wohl nicht heißen, besitzlos als Wanderprediger durchs Land zu ziehen. Ich meine, es geht darum, in dieser Welt mit der Botschaft und der Praxis des Reiches Gottes präsent zu sein. Und das betrifft ganz wesentlich den Umgang mit dem Reichtum.
Der christliche Glaube, wie ich ihn verstehe, hat nicht nur eine Innendimension, sondern mit dem gesamten menschlichen Leben, und wesentlich mit politischen und wirtschaftlichen Strukturen zu tun. Daher gilt es sich einzusetzen für eine gerechte Gesellschaft, für eine Veränderung derzeitigen Unrechts.
Dazu gibt es konkrete Hebel, zum Beispiel: eine gerechte Verteilung der Einkommen, um die Teilhabechancen aller Menschen zu gewährleisten; ein gerechtes Steuersystem, das die Verantwortung der Vermögenden für das Gemeinwohl einfordert; ein solidarisches Sozialsystem mit sozialen Leistungen, die keine Almosen sind sondern Ansprüche auf ein gutes gemeinsames Leben; Verteilungsgerechtigkeit insgesamt als gemeinsames Ziel im Wirtschaftsprozess weltweit, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern.
Für Menschen, die viel besitzen, ist es schwer, ins Reich Gottes zu gelangen, sagt Jesus. Gesellschaften, in denen Reichtum und Besitz als oberstes schützenswertes Gut gelten, sind weit entfernt von Gerechtigkeit und Frieden. Die Einladung zur Nachfolge ist eine Einladung zu einer Praxis des Umverteilens, und zum Gestalten eines anderen sozialen und wirtschaftlichen Netzes. Sie verspricht das Heil, als ein sinnvolles, geglücktes Leben, als Erfahrung einer neuen, einer anderen Freiheit, in Gemeinschaft mit Gott und den Menschen.