Britische Wohnungsnot immer schlimmer

In Großbritannien hat die Vernachlässigung des sozialen Wohnbaus über Jahrzehnte nun katastrophale Folgen. Immer mehr einkommensschwache Familien können durch die Wirtschaftskrise die Mieten nicht mehr zahlen und landen auf der Straße. Die Wartelisten für eine Gemeindewohnung sind lang.

Morgenjournal, 22.10.2012

Einer Reportage aus Croydon, einer Vorstadt südlich von London, von

Sparkurs trotz riesigen Bedarfs

Die amtierende Regierung von Premierminister David Cameron konzentriert sich aufs Sparen um das Staatsdefizit in den Griff zu bekommen. Es gibt zu wenig Geld, um den riesigen Bedarf an neuen Sozialwohnungen zu decken. Die Gemeinden pferchen als Übergangslösung Familien in winzige Zimmer in B&Bs, auf Deutsch Frühstückspensionen, und in Hotels. Die Gebäude sind oft baufällig, Ungeziefer ist keine Seltenheit. Normalerweise sollten obdachlose Familien nach sechs Wochen ein Zuhause haben und nur im Notfall länger in einer temporären Unterkunft leben müssen, aber diese Ausnahmen sind mittlerweile die Regel.

Familienleben im Hotelzimmer

"Genießen Sie England", heißt es auf einem Schild, das in der Eingangshalle des Gilroy Court Hotels in Croydon hängt. In vielen Zimmern sind auch tatsächlich Touristen untergebracht, im hinteren Teil des weitläufigen Komplexes, hinter schimmligen Mauern und zugigen Fenstern, leben aber Menschen, für die dieser Ort alles andere als Urlaub ist. Aneta Lloyd haust hier mit ihren zwei Töchtern Emiliana und Sarah auf neun Quadratmetern. Zwei Betten und ein Schrank, bei dem die Rückwand schon fast durchbricht, nehmen fast den ganzen Platz weg. In einer winzigen Küchenzeile bereitet Aneta die Mahlzeiten zu, das Badezimmer hat nur eine Dusche. Aneta lebt seit August hier, sie hatte vergangenes Jahr ihren Job bei einer Fluglinie verloren und kam mit der Miete immer mehr in Rückstand, bis sie delogiert wurde. Eine neue Arbeit finden ist schwer, sie kümmert sich auch noch um ihre sehr gebrechlichen Eltern. "Das Leben hier ist fürchterlich", erzählt sie, "die Kinder haben keinen Platz, es ist laut und man wird konstant von der Hotelleitung beobachtet." Wo spielen die Kinder, wo essen sie und wo machen sie ihre Hausaufgaben, die siebenjährige Emiliana hat nur eine Antwort: "Auf dem Bett". Es gibt nichts anderes.

Wohngeld "gedeckelt"

Die Gemeinde Croydon zahlt dem Hotel mehr als 1.000 Euro monatlich für Anetas Zimmer. Der Eigentümer, Eurohotels, zu dem das Gilroy Court Hotel gehört, hat von Jänner bis Juli umgerechnet 1,8 Millionen Euro von der Gemeinde für Unterkünfte für obdachlose Familien kassiert. Die Hotelleitung weiß, die Gemeinde hat keine andere Wahl, die Sozialwohnungen sind voll und der private Wohnungsmarkt ist überlaufen. Die Kürzungen der Regierung haben die Situation noch verschlimmert, sagt Jon Rouse von der Gemeindeverwaltung in Croydon: "Die Deckelung des Wohngeldes bedeutet, dass sich weniger Menschen eine private Mietwohnung leisten können, dazu kommt, dass viele, die sich eine Immobilie kaufen wollten, kein Geld von der Bank bekommen und weiterhin in Miete leben müssen."

Die Gemeinde Croydon vernachlässige nicht nur ihre Pflicht, obdachlosen Familien eine geeignete Unterkunft zu finden, sie breche auch das Gesetz, sagt Jane Pritchard, eine Anwältin spezialisiert auf Sozialrecht, die die Familien im Gilroy Court Hotel vertritt: "Das Gesetz schreibt vor, wer Kinder hat oder schwanger ist, sollte nur im Ausnahmefall in einem Hotel oder einer Pension untergebracht werden, die Gemeinde muss nach sechs Wochen eine geeignete Wohnung gefunden haben. Die Gemeinde Croydon handelt rechtswidrig."

Weitere Sozialkürzungen

Im ersten Quartal dieses Jahres hat sich die Zahl fast verdoppelt, knapp 4.000 Familien lebten in Großbritannien von Jänner bis März zusammengepfercht in kleinen Zimmern in Hotel oder Frühstückspensionen, Tendenz steigend. Die Reaktion der Cameron Regierung: Sie plant weitere 12,5 Milliarden Euro an Sozialausgaben einzusparen.