Ahmadinedschad wird zum Sündenbock
Die verschärften Sanktionen Europas und der USA gegen den Iran treffen vor allem die weniger begüterten Teile der Bevölkerung. Obwohl die Regierung die Einfuhr von Lebensmitteln und Medikamente subventioniert, steigen die Preise. Innerhalb der iranischen Führung wird immer mehr jener Mann zum Sündenbock gestempelt, der nach acht Jahren an der Macht nächstes Jahr abgelöst werden soll: Präsident Ahmadinedschad.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 23.10.2012
Ahmadinedschad als Sündenbock
Ein Staatspräsident, der zusehen muss, wie sein Pressesprecher aus politischen Gründen verhaftet wird und der seinen ehemaligen Mitarbeiter nicht einmal im Gefängnis besuchen darf, weil die Justiz das verbietet - die Tage eines solchen Staatschefs scheinen gezählt. Doch der iranische Präsident Ahmadinedschad wird noch ein paar Monate gebraucht. Und zwar von der konservativen Geistlichkeit, die sich hinter ihm verstecken wolle, meint der Politikwissenschaftler Sadegh Zibakalam von der Universität Teheran. "Die versuchen, der Öffentlichkeit zu erzählen, dass alle unsere Probleme, alles Elend, alle Unzulänglichkeiten unserer Wirtschaftspolitik, dass das alles auf einen Mann zurück zu führen ist, auf den Präsidenten. Und das stimmt nicht."
Präsident verteidigt sich
Dass die iranische Währung Anfang Oktober die Hälfte ihres Wertes verlor, wurde nicht nur den europäischen Sanktionen angelastet, sondern auch der Wirtschaftspolitik des Präsidenten. Im Parlament, im Fernsehen und in konservativen Zeitungen wird seither an Ahmadinedschad kein gutes Haar gelassen. Tatsächlich hatte der seit seinem Amtsantritt 2005 den Rial künstlich hochgehalten. Umso heftiger war der Absturz der iranischen Währung nach Inkrafttreten der Sanktionen. Doch alles was er gemacht habe, sei mit der religiösen Führung abgestimmt gewesen, verteidigt sich der Präsident. Zumindest in den ersten sieben Jahren seiner Amtszeit gab es keine offenen Differenzen mit Revolutions-Führer Ali Chamenei. Bis es zum Bruch kam, als Chamenei den Geheimdienstchef Ahmadinedschads entließ und der offen widersprach.
Konservative unter sich
Nächstes Jahr muss Ahmadinedschad nach der Verfassung ohnehin seinen Platz räumen. An seine Stelle werde voraussichtlich ein loyaler Gefolgsmann des Revolutionsführers treten, meint Professor Zibakalam: "Die Präsidentenwahlen werden ein einseitiges Rennen zwischen den Konservativen. Die Reformer werden wohl nicht antreten, vor allem weil die Konservativen nicht zulassen werden, dass sie sich ernsthaft beteiligen. Es werden sich das also die Konservativen unter sich ausmachen."
Keine Revolution
Und die Opposition, die 2009 noch massiv auf die Straße gegangen war? Wird sie aufgrund der Wirtschaftssanktionen nicht neuen Zulauf bekommen? Nein, nach jetzigem Stand sei das nicht zu erwarten, sagt der Professor. Viele seiner Landsleute würden eher auf langfristige Veränderungen setzen. Die westlichen Sanktionen gegen das iranische Atomprogramm würden Jedenfalls keine Revolutionsstimmung erzeugen: "Einerseits zeigen die Iraner keine Verbitterung gegen den Westen. Sie rufen nicht ‚Nieder mit den USA!‘ oder ‚Nieder mit den Europäern!‘ die uns das antun. Gleichzeitig gibt es auch keine Feindseligkeit gegenüber dem Regime. Die Leute scheinen zu verstehen, dass wir unser Atomprogramm fortsetzen. Aber sie verstehen auch dass das dem Westen nicht gefällt, und man uns deshalb bestraft." Das iranische Atomprogramm wurde bereits in den 1990er Jahren begonnen. Erst unter Ahmadinedschad wurde daraus eine politische Waffe. Nicht auszuschließen, dass mit seiner Demontage wieder eine neue Zeit der Diplomatie beginnt.