Robert Neumann neu aufgelegt

Die Puppen von Poshansk

Vielleicht liegt es auch am Titel, dass dieser Roman Robert Neumanns völlig in Vergessenheit geriet. "Die Puppen von Poshansk" ist kein Titel, mit dem man einen satirischen Roman über den Gulag, das heißt über die sowjetischen Arbeitslager in Nordostsibirien, in Verbindung bringen würde.

Und doch ist es so: Anfang der 1950er Jahre schrieb ein im englischen Exil lebender österreichischer Schriftsteller einen der frühesten Gulag-Romane, lange vor Solschenizyn und lange vor den in literarischer und dokumentarischer Hinsicht einzigartigen "Erzählungen aus Kolyma" von Warlam Schalamow. Das überaus instruktive Nachwort des Literaturwissenschaftlers Günther Stocker zeichnet die Geschichte der Gulag-Literatur genau nach.

Exil in England

Vielleicht liegt es auch an der immensen Produktivität Robert Neumanns, dass nur zwei Titel aus einer Menge an bemerkenswerten Publikationen im kollektiven literarischen Gedächtnis hängen blieben: nämlich seine immens erfolgreichen Parodienbände "Mit fremden Federn", bereits 1927 erschienen, und "Unter falscher Flagge", erstmals 1932 veröffentlicht.

Neumann schrieb nicht nur auf Deutsch, er verfasste auch sechs Romane auf Englisch, entstanden während seines fast ein Vierteljahrhundert dauernden Exils in England. Die "Puppen von Poshansk" gehört zu diesen auf Englisch verfassten Büchern Neumanns, bereits im Erscheinungsjahr 1952 kam aber bereits die deutsche Fassung in der Übersetzung von Georg Goyert heraus. Es gibt wenige Autoren, die einen zweimaligen Sprachwechsel, vom Deutschen ins Englische und wieder zurück, so souverän bewältigten wie Robert Neumann.

Vielschichtige Literatur der 1950er

Dieser Roman bedarf einer Einbettung in die politische Diskussion der 1950er Jahre, deshalb ist auch das Nachwort so wichtig. Das Buch beweist aufs Neue, dass die österreichische Literatur der 1950er Jahre sehr viel vielschichtiger ist, als man mit Blick auf die kulturelle und politische Situation im Nachkriegsösterreich vermuten würde. Das gilt insbesondere dann, wenn die im Exil entstandenen Bücher österreichischer Autorinnen und Autoren mitbedacht werden.

Wie jeder gute Text funktioniert der Roman zwar auch ohne diesen Kontext: als literarische Erzählung über die Absurdität menschlicher Grausamkeit und als satirisches Zeugnis der Vernichtungsenergien, die sich entfalten, wenn eine Staatsideologie auf menschliche Körper trifft. In diesem Falle auf die Millionen - die Zahlen weichen voneinander ab -, von sowjetischen Zwangsarbeitern, die in den Bergwerken und den Wäldern in der Region Kolyma unter unvorstellbaren Arbeitsbedingungen bei Temperaturen um 40 Grad unter Null und noch weit darüber hinaus als Arbeitssklaven ausgebeutet wurden - solange, bis die meisten von ihnen daran zugrunde gingen.

Der Kontext, der dieser existenziellen Dimension des Romans seine Rahmung gibt, ist der bereits zu Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzende Kalte Krieg, die Ausrichtung der Weltpolitik auf zwei hegemoniale politische Systeme, die für Intellektuelle und Schriftsteller kaum Denkräume jenseits dieser Opposition offen ließen.

Sozialismus mit menschlichem Antlitz

Wenn man sich den Inhalt der "Puppen von Poshansk" vor Augen hält, ein Buch, das nicht den geringsten Zweifel über Neumanns Bewertung des Gulag lässt, und gleichzeitig weiß, mit welcher Verve ein ebenfalls jüdischer Exilant wie Friedrich Torberg Autorenkollegen wie Robert Neumann, Hilde Spiel oder den "Bockerer"-Autor Ulrich Becher der Sympathie mit dem Sowjetkommunismus bezichtigen konnte, was bis hin zur Denunziation ging, dann werden diese Kämpfe noch unverständlicher.

Neumann machte sich mit diesem Roman sowohl bei DDR-Autoren und Funktionären wie Arnold Zweig oder Johannes R. Becher unbeliebt, wie eben auch bei den Kalten Kriegern im Westen. Neumann lässt die Utopie eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz gelten, aber er erkennt glasklar die strukturelle Gewalt, die fast zwangsläufig in revolutionären Prozessen wirksam wird.

Keine Rücksicht auf Privatinteressen

Im Roman wird dies an einer der stärksten Passsagen deutlich: Auf ein - wie sich später herausstellt - gar nicht ernst gemeintes Zeichen zum Aufstand hin brechen einige Tausend Gefangene aus einem der Lager aus. Als gespenstische Schattenspieler ihrer selbst, Puppen vielleicht im Sinne von Marionetten ihrer eigenen heroischen Vergangenheit, treten in Ungnade gefallene Revolutionäre der Oktoberrevolution von 1918 auf. Es sind Parteigänger und Mitarbeiter Lenins und Trotzkis, die von Stalin in Schauprozessen der Gegenrevolution bezichtigt wurden, und die, sofern sie nicht gleich liquidiert wurden, in den sibirischen Lagern verschwanden.

Als es nun darum geht, den Widerstand der vermeintlich vielen Aufständischen zu organisieren, um Stalin zu stürzen, zeigt sich bereits nach Stunden die wie zwangsläufig sich einstellende bürokratische Willkür: Im Namen des großen Zieles kann auf Einzel- und Privatinteressen, kann auf moralische Defizite des Führungspersonals keine Rücksicht genommen werden. Der alerte Funktionär Bebitz bringt es mit einer Frage an einen gebrochenen Helden der Oktoberrevolution auf den Punkt: "Hasste man damals (Bebitz meint zu Lenins Zeiten) auch den Menschen und liebte die Menschheit?" Bebitz geht am Ende als Sieger vom Platz, aber der menschliche Preis, den er bezahlt, ist hoch, zumal er jetzt, am Ende begreift, worin dieser Preis besteht.

Reale Vorbilder

Der Plot des Romans besitzt Kolportage-Qualitäten, ist aber, wie ebenfalls aus dem Nachwort von Günther Stocker hervorgeht, an realen Vorbildern orientiert. Ein unterlegener amerikanischer US-Präsidentschaftskandidat, zugleich reicher Unternehmer, zumindest halten ihn die sowjetischen Funktionäre dafür, unternimmt eine Tour des guten Willens durch die Sowjetunion, die ihn auf eigenen Wunsch auch in die Region von Kolyma bringt. Dieser Amerikaner trägt den schönen Namen Walter Mayflower Watkins.

Der alternde, zum ewigen Jungsein verdammte Profipolitiker verliebt sich prompt in die wunderschöne Ex-Partisanin, Fliegerin, "Ehrentechnikerin" und nunmehrige Dolmetscherin an seiner Seite Ursula Toboggena. Ursulas Vater gehört zu jenen Revolutionären der ersten Stunde, die nach Kolyma verbannt wurden. Als die Tochter dem Vater nach Jahrzehnten wieder begegnet, fehlt ihr jegliches Sensorium für die Lage dieses Mannes, sie steht völlig im Bann ihrer sozialistischen Erziehung, die keine Widersprüche und keine Privatinteressen anerkennt. Watkins hat sein Vorbild im amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Henry A. Wallace, der 1944 eine ebensolche Goodwill-Tour durch die Sowjetunion unternahm und wie Watkins in Neumanns Roman völlig blind blieb für die sowjetische Realität.

Auseinandersetzung mit stalinistischem Terror

"Die Puppen von Poshansk" ist ein Roman, der Schwächen aufweist. Über viele Seiten ausgebreitet, erschöpft sich mitunter der satirische Zugriff auf die beschriebene Lager-Realität. An vielen Stellen wiederum zeigt sich Neumanns große satirische Begabung. Er schreibt keinen psychologischen Roman, sondern charakterisiert seine Figuren, in erster Linie Sowjet-Funktionäre und Gulag-Opfer, über Gesten, Verhaltens- und Sprechweisen.

Allerdings ist hier eine kritische Einschränkung notwendig: Die Zeichnung der Frauenfiguren gehorcht nicht nur realsozialistischen Männerphantasien, hier gewinnt die Kolportage zu deutlich die Oberhand über die Satire. Die Helden, Opfer wie Täter, sind Männer, die Frauen verführerische Lager-Kokotten oder völlig subalterne Funktionärinnen. Mit Ausnahme der strahlend schönen Ex-Partisanin Ursula.

Eine Stärke des Romans wiederum ist, dass er völlig auf eine Innenperspektive der Lager verzichtet. Neumann maßt sich nicht an, den Terror aus Sicht der Opfer zu beschreiben, das Geschehen wird ausschließlich indirekt berichtet. Trotz dieser Einwände: Der Roman "Die Puppen von Poshansk" steht für eine frühe, über weite Strecken überzeugende literarische Auseinandersetzung mit dem stalinistischen Terror.

Service

Robert Neumann, "Die Puppen von Poshansk", aus dem Englischen übersetzt von Georg Goyert, Milena Verlag

Milena - Die Puppen von Poshansk