500 Jahre Sixtinische Kapelle

Eines der meist besuchten Kunstwerke der Welt, Michelangelos Deckenfresco in der Sixtinischen Kapelle in Rom, feiert heute sein 500. Jubiläum. 1512, am Vorabend von Allerheiligen, hat der Renaissance-Papst Julius II. das für die Kunstgeschichte revolutionäre Deckengemälde enthüllt. Heute bringt der Massentourismus mit jedem Jahr mehr Besucher in die Kapelle - ein Risiko für die Fresken. Und wieder einmal wird die Forderung laut, die Besucherzahlen zu beschränken.

Morgenjournal, 31.10.2012

"Betrunkene Herden" in der Kapelle

Als Johann Wolfgang von Goethe vor zwei Jahrhunderten die Sixtinische Kapelle besuchte, waren Touristen noch rar. Er ließ sich eigens die Galerie aufsperren, um Michelangelos prachtvolles Gemälde von der Schöpfungsgeschichte aus der Nähe zu sehen.

Heute drängen sich täglich bis zu 20.000 Besucher unter dem Gewölbe. "Wie betrunkene Herden füllen sie den Raum", klagte unlängst ein führender italienische Literaturkritiker im Corriere della Sera, "ihr Lärmen macht jede kontemplative Betrachtung unmöglich." Er verlangte vom Vatikan, die Besucherzahl drastisch einzugrenzen. Der ewige Streit kocht wieder hoch: ist Kunst für alle da, oder nur für wenige?
Der Direktor der Vatikanischen Museen, Antonio Paolucci, sagt dazu: "Fünf Millionen Besucher im Jahr, das erzeugt natürlich Gedränge! Aber noch viel mehr bedeutet es eine Belastung für die Fresken, denn die Leute bringen Staub herein, Feuchtigkeit und Kohlendioxyd."

Kunst für alle?

Vor knapp 20 Jahren ist die "Sistina" aufwendig restauriert worden. Die vom Rauch der Kerzen und dem Staub der Jahrhunderte verdunkelten Fresken wurden penibel gereinigt und erstrahlen seither wieder in den kräftigen Farben Michelangelos. Genauso wie damals, als heute vor genau vor 500 Jahren, Papst Julius II mit 17 Kardinälen das Deckenfresco enthüllte.

Der Angst, dass schon bald wieder restauriert werden muss, tritt Direktor Paolucci entgegen und wehrt sich gegen den Ruf nach Besucher-Kontingentierung. Seit die Kunst demokratisch geworden ist, sagt er, gibt es keine Alternative: "Die Sixtinische Kapelle ist nicht nur ein Meisterwerk der Kunst. Sie ist der identitätsstiftende Ort der katholischen Kirche, sie ist eine Kapelle, ein geweihter Ort, ein Heiligtum! Wie kann man da einen Numerus Klausus einführen?! Die Menschen kommen wegen der Kunst, aber auch aus religiösen Gründen. Es meine Pflicht, das zu bedenken."

Antike Klimaanlage

Was also tun, um niemandem den Eintritt verwehren zu müssen? Die derzeitige Klimaanlage ist zwanzig Jahre alt und dem Besucheransturm nicht mehr gewachsen. Eine hochmoderne Anlage soll bis Ende des nächsten Jahres in Betrieb gehen: "Das System muss die Staubpartikel beseitigen und eine konstante Feuchtigkeit und Raumtemperatur garantieren. Es ist kostspielig, aber für ein Kunstwerk, das zum kulturellen Erbe der Menschheit gehört, findet sich das Geld. Das ist unsere Philosophie."

Tief beeindruckt schreibt der Rom-Besucher Goethe "Ich bin so für Michelangelo eingenommen, dass mir nicht einmal die Natur auf ihn gefällt, da ich sie doch nicht mit so großen Augen sehen kann wie er." Diese Kraft der Bilder auch für künftige Generationen zu erhalten - das ist die große Herausforderung ein halbes Jahrtausend nach der Eröffnung der Sixtinischen Kapelle.