Bibelkommentar zu Matthäus 5, 1 - 12a
Glücklich sein – wer will das nicht? Die Suche nach dem Glück füllt meterweise Ratgeberliteratur und reizt die besten Werbetexter zu verlockenden Versprechungen.
8. April 2017, 21:58
„Du Glücklicher...“, sagt man - mitunter ein wenig selbstmitleidig seufzend - zu jemandem von dem man meint, er hätte es gerade besonders gut erwischt.
Gut erwischt haben es diejenigen, die in der Bibelstelle des heutigen Allerheiligentages als Selige, als Glückliche gepriesen werden, allerdings keineswegs. Im Gegenteil – es sind die Menschengruppen, die heute oft verächtlich als „Looser“ bezeichnet werden, als Verliererinnen und Versager in einer Gesellschaft der Starken und Tüchtigen. Mit den Seligpreisungen eröffnet Jesus die Bergpredigt, quasi seine Grundsatzrede, mit einer Ansprache genau an sie. Er kommt ihnen jedoch nicht mit Forderungen, wie sie leben sollen damit sie es besser schaffen, sondern mit Zusagen.
In der ältesten Form dieses paradoxen, im wörtlichen Sinn ver-rückten Textes sind vorrangig drei Gruppen genannt: die Armen, die Hungernden und die Trauernden. Diese gab es vielfach, Jesus traf oft mit ihnen zusammen und wusste um ihre Not. Entgegen manchen spiritualisierenden Auslegungen sind tatsächlich die Bettelarmen gemeint, die von allem Lebensnotwendigen zu wenig haben, und auch keine Macht, es sich zu holen. Sie in ihrer Situation zu beglückwünschen klingt fast zynisch.
Wie ist es zu verstehen, wenn ihnen als Begründung die Umkehrung der Verhältnisse zugesagt wird? Sie werden satt sein und lachen – ja, wann denn? Soll das erlittene Leid still und demütig ertragen werden in der Hoffnung, nach dem Tod, „im Himmel“ dafür belohnt zu werden? Tatsächlich wurde das in der Auslegungsgeschichte nicht selten genau so interpretiert und von Religionskritikern zurecht als billige Ablenkung und Vertröstung zur Stabilisierung ungerechter Herrschaftsverhältnisse kritisiert.
Ich kann diese Seligpreisungen am besten von der Bedeutung der Begriffe „Himmelreich“ oder „Reich Gottes“ her verstehen. Davon ist gleich drei Mal in den neun Glücks-Verheißungen die Rede, und die ganze nachfolgende Bergpredigt mit all ihren Beispielen dreht sich genau darum. Nach dem, was in der Bibel von Jesu Leben überliefert ist hat er es verstanden, in seinen Reden und vor allem in seinem Tun klar zu machen, dass es nach Gottes Willen ein gutes Leben für alle geben soll. Alle Menschen sind gleich an Wert und Würde, als Kinder und Ebenbilder Gottes. Das Leben ist Geschenk, und in Fülle allen zugesagt. Das sympathische Bild dafür ist das Festmahl, zu dem alle eingeladen sind und wo alle Platz haben. Und es werden gerade die hereingeholt, die an den Rändern, an den Zäunen der Gesellschaft stehen – was für ein Kontrastbild, im Vergleich zu den Mauern rund um die Festung Europa. Denn durch seine Praxis des Heilens, des Teilens, Befreiens und Feierns macht Jesus auch deutlich, dass dieses Reich Gottes schon hier und heute beginnt, und die Menschen sind aufgefordert, es ihm gleich zu tun. Wenn also die Armen, die Hungrigen und Trauernden selig, glücklich gepriesen werden, so ist das keine Vertröstung auf eine andere, sondern eine scharfe Kritik an dieser Welt mit ihrer ungerechten Realität.
In diesem Sinn verstehe ich auch die sechs anderen Seligpreisungen. Angesprochen sind dabei Menschen mit konkreten Haltungen und eindeutigem Verhalten: die Gewaltfreien – nicht die Gewalttätigen; die Warmherzigen und Verzeihenden – nicht die Intoleranten und Harten; die Friedenstifter – nicht die Kriegstreiber; die Aufrechten und Geradlinigen – nicht die Korrupten; all jene, die um Gerechtigkeit kämpfen, obwohl sie deswegen um ihr Leben fürchten müssen – sie machen ein Stück Reich Gottes sichtbar und spürbar, ihnen gehört das Himmelreich.
Wahrscheinlich können so nur Menschen leben, die über sich selber, über ihre jeweils eigene Existenz hinausdenken können. Die sich verbunden fühlen mit anderen vor und nach ihnen, und überzeugt sind, dass es auch auf sie ankommt. Der Glaube an eine Welt in Frieden und Gerechtigkeit führt sie heraus aus der Ohnmacht des sogenannten „TINA-Syndroms – there is no alternative...“. Gioconda Belli schreibt über die Verteidigung des Glücks: „Die Geschichte ist ein langer Prozess. Wenn man es schafft, die Geduld aufzubringen, das zu verstehen, bringt es einem Befriedigung, für die kleinen Veränderungen zu kämpfen, die sie vorantreiben. Man darf etwas nicht einfach deshalb verloren geben, weil es nicht im Zeitraum der eigenen Existenz geschehen kann… Es macht mich glücklicher, an etwas zu glauben, als an nichts zu glauben.“ – So die nicaraguanische Dichterin.
In der Bibel werden die Menschen in den Gemeinden, die an Jesus und das Kommen des Reiches Gottes glauben, als Heilige bezeichnet. In diesem Sinn ist Allerheiligen das Fest aller, die hoffen und kämpfen dafür, dass alle Menschen satt sein werden und lachen.