Ein Banker rechnet ab
Die Unersättlichen
Das englisches Original und seine Vorgeschichte hat schon für große Aufregung gesorgt. "Die Unersättlichen" ist das teils autobiographische Werk des Ex-Bankers Greg Smith über seine Karriere bei der amerikanischen Investment-Bank Goldman-Sachs.
8. April 2017, 21:58
Greg Smith war Leiter der Abteilung US-Aktienderivate in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Geboren und aufgewachsen ist er in Johannesburg, Südafrika, sein Wirtschaftsstudium absolvierte er an der Stanford University in Kalifornien. Schon während der Studienzeit kam er als zwanzigjähriger Praktikant zu Goldman Sachs.
Das Praktikum sei eine Tortur gewesen, schreibt er, aber 2001 gehörte er zu den wenigen Auserwählten, denen eine Vollzeit-Stelle bei dem Wallstreet-Giganten angeboten wurde.
Zitat
"Mir gefiel, dass Goldman Sachs seine Unternehmenskultur so ernst nahm. Ich fand gut, wie eindringlich uns vermittelt wurde, dass wir Kunden korrekt informieren mussten. Erzählt den Kunden keinen Mist! ...
Versprecht ihnen nicht das Blaue vom Himmel. …..
Und wenn ihr einen Fehler macht, gebt ihn zu. Sofort."
2006 wurde Greg Smith zum Vizepräsidenten befördert. Um sich eine Vorstellung von der Größe des Unternehmens zu machen, ist gut zu wissen, dass er einer auf einer Liste von 1000 neuen Vice Presidents war, die verschiedenen Sparten vorstehen sollten.
Zitat
"Der Aktienhandelssaal von Goldman Sachs im neunundvierzigsten
Stock des Gebäudes One, New York Plaza war ein riesiger offener
Raum von der Größe eines Fußballplatzes mit Panoramablick
über Lower Manhattan. …. Doch zur ruhigen Betrachtung lud der phantastische
Ausblick nicht ein, denn man befand sich im Innern eines Bienenstocks: …. Hier wurde mit allem gehandelt,…
Diese Händler arbeiteten nicht für Einzelkunden, sondern für die größten Vermögensverwalter, Pensionskassen, Regierungsstellen und Hedgefonds
der Welt."
Im Sommer 2008 gerieten die Finanzmärkte in Turbulenzen, eine Hiobsbotschaft folgte der anderen. Im September 2008 stand eine andere Großbank, Lehman Brothers, vor der Insolvenz.
Ein wenig Expertentum wird Leserinnen und Lesern schon abverlangt, wenn der Autor im Jargon der Investmentbanker die sich überstürzenden Ereignisse beschreibt.
Auskunft gibt ein Glossar am Ende des Buches, der Stil ist leicht und flüssig, und beim Lesen hat man das Gefühl, immer am Ball zu bleiben. Greg Smith gibt an, wie nacheinander auch Merrill Lynch, Morgan Stanley und andere große und später auch kleinere Banken in Probleme gerieten, wie man sie rettete oder dem Untergang überließ, denn "Sterbende Tiere soll man sterben lassen", schreibt er. Mit Genehmigung der amerikanischen Notenbank wandelte sich Goldman Sachs während der Krise 2008 in eine Bank-Holding-Gesellschaft um.
Zitat
"An einem einzigen Wochenende war die Institution der Investmentbank,
so wie man sie einst verstand, für immer verschwunden. Das Unternehmen Goldman Sachs von Sidney Weinberg, Gus Levy und John Whitehead hatte sich aufgelöst. Verzweifelte Männer (darunter die Generaldirektoren und Vorstandsvorsitzenden Lloyd Blankfein, Gary Cohn und
Morgan Stanleys damaliger CEO John Mack) hatten in letzter Minute diese geschickte Überführung in eine Institution in die Wege geleitet, die sich von der Regierung zinslos Geld leihen und es dann zu den gleichen Konditionen wie Staatsanleihen investieren konnte. Im Grunde genommen eine Lizenz zum Gelddrucken. Goldman Sachs und Morgan Stanley wurden also von
der Regierung dafür bezahlt, dass sie im Geschäft blieben."
Schon wird die Enttäuschung für den bisher so erfolgreichen Vizepräsidenten erkennbar, als die Ideale und schließlich auch die Substanz des Unternehmens nach und nach wegbrechen. Ein Freund stellt ihm die Frage, die sich neben zahllosen verschuldeten Hausbesitzern in den USA weltweit auch viele andere Leute stellen, deren Besitzstand nicht nach Millionen zählt, nämlich:
Zitat
"Was ist mit den Leuten, deren Altersversorgung schrumpft?
Wo wird deren Rettungsplan herkommen?"
2010 klagte die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde Goldman Sachs wegen Betrugs im Zusammenhang mit der Vermarktung von sogenannten "synthetischen" Finanzprodukten, also Papieren, die ein hohes Ausfallrisiko mit sicheren Anlagen kombinieren. "Monstrositäten" nennt Greg Smith diese Machenschaften, von denen er nichts gewusst habe.
Die Klage wurde in einem außergerichtlichen Vergleich beigelegt. Als Entschädigung hatte das Unternehmen 300 Millionen Dollar in die Staatskasse und 250 Millionen Dollar an Investoren zu zahlen.
Daraus habe man aber nichts gelernt, befand Greg Smith. Anfang 2011 wurde er aus der Firmenzentrale in New York nach London versetzt. Die europäischen Finanzmärkte vergleicht Smith mit dem Wilden Westen. Kunden seien als "Kontrahenten" bezeichnet worden. Schließlich zitiert Smith einen jungen Mitarbeiter, der einen vertrauensseligen Kunden als "Muppet" bezeichnet habe - jenes Reizwort, auf das hin die Goldman-Sachs Zentrale dann angeblich Millionen interner E-mails durchsuchen ließ und nur einen einzigen Fall entdeckte, wie "die Presse" berichtete.
Boni und Erfolgsbeteiligungen führten dazu, dass die Mitarbeiter die Verkaufs- und Ertragszahlen, an denen sie gemessen wurden, mit allen Mitteln aufblähten. Im Buch ist von "Unaufrichtigkeit" und irreführenden Angaben gegenüber potentiellen Geschäftspartnern die Rede – und von Einflussnahme auf die internationale Politik.
Zitat
"Wir hatten Griechenland vor Jahren dabei geholfen, mit einem Derivat seine wahre Verschuldung zu verschleiern. Und jetzt, wo sich dies rächte, zeigten wir Hedgefonds, wie sie von dem Chaos in Griechenland profitieren konnten…"
Noch bevor Greg Smith die Firma verließ, begann er in seiner Wut zu schreiben. Das Buch, das er nun vorlegt, bietet auch für Laien der Finanzwelt spannenden Lesestoff. Es gewährt einen Blick ins Innenleben jener multinationalen Investment-Riesen, deren gewagten Spekulationen die internationale Wirtschaftsflaute und letztlich auch die Euro-Schuldenkrise zum Teil angelastet wird.
Goldman-Sachs hat versucht, Greg Smith’s Kritik herunterzuspielen, doch das Buch ist mehr als eine individuelle Abrechnung. Obwohl der Autor selbst die moralische Erosion der Geschäftspraktiken als Kernbotschaft bezeichnet, ist es auch Ausdruck des Unbehagens angesichts eines krankenden Finanzsystems.
Service
Greg Smith , "Die Unersättlichen. Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab.", Rowohlt Verlag