Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet
Die Feinde aus dem Morgenland
Wolfgang Benz setzt mit seinem Buch "Die Fremden aus dem Morgenland" einen Kontrapunkt zu den Ängsten, die von Panikmachern und Rechtspopulisten seit geraumer Zeit geschürt werden. In seinem Buch wendet sich der Historiker gegen das Konstrukt eines negativen Islambildes.
8. April 2017, 21:58
Das Buch will keine Streitschrift sein. So eröffnet der deutsche Historiker Wolfgang Benz seine sachlich fundierte Analyse über Islamfeindlichkeit im deutschsprachigen Raum. "Die Feinde aus dem Morgenland" ist aber sehr wohl eine Antwort auf polemische Abhandlungen zum Thema Islam in Europa, wie Thilo Sarrazins Bestseller "Deutschland schafft sich ab". Linke wie rechte Populisten nutzen den Islam als Feindbild, so der Befund des Historikers. Und die Vorurteile sind weit verbreitet: Zu oft wird eine gewaltbereite Minderheit von Islamisten mit der Mehrheit friedlicher Muslime gleichgesetzt. Zu schnell wird vor einer "Islamisierung Europas" gewarnt. Zu leichtfertig der Islam zu einer fremdenfeindlichen und gewaltbereiten Religion gemacht.
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Ressentiments sind gefährlich, weil sie als Vorurteil beginnen mit der Tendenz, in Hass gegen stigmatisierte Individuen, gegen Gruppen, ethnische, religiöse oder nationale Gemeinschaften zu kulminieren - in einem Hass, der sich dann gewaltsam entlädt. Ressentiments schaffen der Mehrheit, die sie lebt und agiert, das Gefühl der Zusammengehörigkeit und Überlegenheit auf Kosten von Minderheiten, die definiert, diskriminiert, ausgegrenzt und verfolgt werden.
Parallelen zu Antisemitismus
Die fremde Religion als Merkmal wird zum Instrument für die Fremdenfeindlichkeit. Die Gruppen sind dabei austauschbar, argumentiert Wolfgang Benz. Das zentrale Anliegen des ehemaligen Leiters des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin ist offensichtlich: Bei zahlreichen Gelegenheiten zieht er Parallelen zwischen der aktuellen Islamkritik und der antisemitischen Stimmung in Deutschland und Österreich Ende des 19. Jahrhunderts. Die Islamfeindlichkeit arbeitet mit ähnlichen Argumenten und Stereotypen, wie der Antisemitismus.
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Im Orientalismus und Antisemitismus des 19. Jahrhunderts entwickelten sich stereotype Feindbilder, die als vermeintlich dualer Gegensatz von "Semiten" und "Ariern" historisch wirkungsmächtig wurden. Vor diesem Hintergrund wurde im 19. Jahrhundert die Debatte über die Emanzipation der Juden, das heißt die rechtliche und soziale Gleichstellung der Bürger, geführt. Die Gegner der Emanzipation grenzten die Juden als Fremde aus, sie argumentierten traditionalistisch mit der Kultur und Religion und modernisierten die Abwehr mit der Begründung ihrer "rassischen" Fremdheit. Im Identitäts- und Integrationsdiskurs der Gegenwart, in dessen Mittelpunkt die Muslime stehen, bildet die Fremdheit aus kulturellen und religiösen Gründen das Hauptargument der Ausgrenzung.
Abschied von Toleranz und Solidarität
Es sei eine Form von Kulturrassismus, wenn Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit abgelehnt oder diskriminiert werden. Die Angst vor einer sozialen Krise, vor dem Statusverlust führe dazu, dass Menschengruppen abgewertet werden. Das Bürgertum hätte sich von Tugenden wie Toleranz und Solidarität verabschiedet, konstatiert Wolfgang Benz. Es kommt heute zu einer "Ethnisierung sozialer Probleme". Seit dem 11. September 2001 haben sich die Bedrohungsängste zugespitzt.
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Sprach man davor von Türken oder Arabern, so werden seitdem die Migranten über ihre Religion oder den Kulturkreis, aus dem sie kommen, als Muslime bezeichnet. Und damit sind sie pauschal definiert, d. h. als Gruppe mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet. Dazu gehört auch die weitverbreitete Skepsis hinsichtlich ihrer Anpassungsbereitschaft.
Ausführliche Analyse
Der Schwerpunkt des Buches liegt eindeutig auf Deutschland: von der Tradition der Islamfeindlichkeit in der deutschen Geschichte, über die Ideologisierung der Islamfeindschaft durch deutsche Populisten, bis hin zur Auseinandersetzung mit der Bürgerwut in islamfeindlichen Blogs und Internetforen.
Ergänzt wird die ausführliche Analyse des Historikers Wolfgang Benz durch Interviews mit vier "Handelnden". Sie spielen, wie etwa Lydia Nofal, Koordinatorin des "Netzwerks gegen Diskriminierung von Muslimen", eine wichtige Rolle in der Beschäftigung mit Problemen und Integration muslimischer Migranten in Deutschland.
Auch wenn vorrangig die Islamfeindlichkeit in unserem Nachbarland behandelt wird, sind die 220 Seiten auch aus österreichischer Sicht lesenswert. Abgesehen von den historischen Gemeinsamkeiten wird spätestens im letzten Kapitel klar, dass die Situation in Österreich mit der in Deutschland zumindest vergleichbar ist.
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Früher als andere Parteien des vergleichbaren rechten Spektrums in Europa positionierte sich in Österreichs die keineswegs - wie der Name nahelegt - liberale Freiheitliche Partei. Mit einem Volksbegehren "Österreich zuerst" hatte die FPÖ unter Jörg Haider 1993 ihren Ruf als fremdenfeindlich und populistisch bekräftigt.
Ausgrenzung schadet der Demokratie
Der Titel des Buches, "Die Feinde aus dem Morgenland", verweist auf die verschiedenen Spielarten von Islamfeindlichkeit im deutschsprachigen Raum. Mit dem Untertitel "Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet" offenbart Wolfgang Benz das Resümee und die grundlegende These seines Buches: die Ausgrenzung einer Minderheit und die zunehmende Entsolidarisierung beschädigen die demokratischen Standards in unserer Gesellschaft. Nicht der Islam, nicht die Überfremdung gefährden die Demokratie, sondern die geschürten Ängste davor.
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Das Raunen von der Gefahr, die vom Islam ausgehe, ist Bestandteil des alltäglichen Diskurses. Die Reizvokabeln, die Ideologen verbreiten, finden ihren Nährboden in existentiellen Ängsten, die resistent sind gegen rationale Argumente. Denn jeder weiß von dem bösen Drachen, der uns bedroht, aber keiner hat ihn gesehen. Die Rezepte der Ausgrenzung, mit denen im 19. Jahrhundert Reaktionäre ähnlichen Herausforderungen zu begegnen versuchten, haben in die Katastrophe des 20. Jahrhunderts geführt. Sie wieder zu verwenden wäre fatal. Es geht um die Menschenrechte und Bürgerrechte einer Minderheit und um die demokratische Gesellschaft.
Noch basiert unsere Demokratie auf der Gleichwertigkeit der Menschen. Deswegen warnt Wolfgang Benz davor, eine Gruppe von Menschen als minderwertig abzuurteilen, denn ist diese Schleuse einmal geöffnet, kann jede beliebige gesellschaftliche Gruppe stigmatisiert und angefeindet werden. Alle Anstrengungen, aus den Erfahrungen des Holocaust zu lernen, wären dann vergeblich.
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Wolfgang Benz, "Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet", C. H. Beck
C. H. Beck - Die Feinde aus dem Morgenland
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