Zukunftsszenario von Edo Popovic
Der Aufstand der Ungenießbaren
Ein Mann, der sich "Gärtner" nennt, zieht einen anderen mit schwarzem Anzug und gewienerten Schuhen aus einem Wagen und führt ihn einen Waldweg entlang. "Wer bist du?" fragt Gärtner den Verschleppten - und meint damit nicht unbedingt seinen Namen.
8. April 2017, 21:58
"Hast du je Weizen gesät?", will er von dem Mann wissen, den er für einen "Nicht-Menschen" hält. "Und hast du je ein Brot gebacken, einen Obstgarten gepflegt, Fische auf einem Kutter in Kisten sortiert oder Möbel in einen Bulli geladen?" Der Mann schüttelt den Kopf. Gärtner zieht eine Pistole aus der Jacke, entsichert sie und drückt ab.
Arm contra Reich
Am nächsten Tag - es ist der 26. Mai 2015 - melden die kroatischen Nachrichten, dass der "berüchtigten terroristischen Vereinigung mit dem bizarren Namen 'Die Ungenießbaren'" erneut ein Mensch zum Opfer gefallen sei, Ivo Pavic, leitender Manager einer führenden Firmengruppe auf dem Balkan. Zum wiederholten Male hätten die "Ungenießbaren" einen Angehörigen höchster Wirtschaftskreise entführt und ermordet.
Mit dieser Szene beginnt Edo Popovics Roman "Der Aufstand der Ungenießbaren", der in eine düstere Zukunft führt, in eine gnadenlose Zweiklassen-Gesellschaft, in der dubiose Holdings das Sagen haben und eine ehemals friedliche Aussteiger- und Protest-Gruppierung zur Terror-Bewegung geworden ist. In der Kroatien als Staat längst verschwunden ist.
Das Problem dieser Zweiklassen-Gesellschaft sei ein europäisches, kein speziell kroatisches, sagt Edo Popovic im Gespräch. Der Unterschied zwischen Arm und Reich sei größer als je zuvor.
Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher: In Popvics Kroatien der Zukunft ist alles im Besitz von Offshore-Firmen, Banken und Großbetrieben, die schließlich auch noch Polizei und Justiz dem Profit opfern.
Drei Handlungsstränge
Edo Popovics Roman, der teilweise in der Zukunft spielt und doch keine Science-Fiction-Geschichte erzählt, sondern eine durchaus plausible negative Utopie, verschränkt auf raffinierte Weise drei verschiedene Handlungsfäden.
Da ist die Geschichte von Ivan Vida, einem Kriegsveteranen, der zehn Jahre nach dem Ende des Kroatienkrieges noch einmal ins bergige Kriegsgebiet der Bukovica zurückkehrt. Dort begegnet er dem Serben Nikola Jokic. Beiden hat der Krieg den Boden unter den Füßen weggezogen. Auch in der Bukovica ist Jokic kein friedliches Leben vergönnt. Er hat begriffen: Die Menschen werden instrumentalisiert - "meine Leute, deine Leute", das seien "nur leere Worte". Er ist überzeugt, dass "die Serben, die Kroaten in Wirklichkeit gar nicht existieren".
Während Jokic in der Bergeinsamkeit bleibt, geht Vida zurück in die Stadt, verliert in zwei Monaten dreimal den Job und schließt sich einer Bewegung an, die sich die "Dunklen Kapuzen" nennt: eine Gruppe von Arbeitslosen, Rentnern und Ausrangierten, die Mülltonnen nach Essen durchsucht und zur Tarnung Kapuzen trägt. Besitzlose, die nichts mehr fürchten müssen und unter ihrer Armut nicht länger leiden, sondern anfangen, das Leben zu genießen.
Territorium der "Ungenießbaren"
Der zweite Handlungsstrang spielt fünfzehn Jahre später, im Jahr 2020, und erzählt in der Ich-Form die Geschichte von Vanca. Vanca hat erlebt, wie Zagreb zur zweigeteilten, von einer Mauer durchzogenen Stadt wurde: Hier, im Zentrum, eine Holding, die alles besitzt und kontrolliert, da, in der "Zone", alles Unprofitable, die Mülldeponien und Obdachlosenunterkünfte, die Waisen- und Krankenhäuser. Die "Zone" ist auch das Territorium einer Gruppe, die von Vanca einst ihren Namen bekam und aus den "Dunklen Kapuzen" entstand: das Territorium der "Ungenießbaren", der Konsumverweigerer und Aussteiger. "Wir wollen weder verbrauchen noch verbraucht werden. Wir wollen weder fressen noch gefressen werden. Wir sind ungenießbar", so ihr Credo. "Ungenießbar" bedeute, dass sie von der Holding nicht "geschluckt" werden können, so Popovic.
Vanca wendet sich von den "Ungenießbaren" ab, als sie sich radikalisieren und politische Morde begehen, und stellt sich der Polizei. Aus der Haft entlassen, erhält er von der Witwe eines der von den "Ungenießbaren" Getöteten den Auftrag, die Mörder ihres Mannes zu finden. Vanca kennt sie: Es sind - und von ihnen erzählt der dritte Handlungsstrang - der Mann namens Gärtner und dessen Komplizin. Vanca nimmt ihre Spur auf und reist über Wien und Krems, wo es im Jahr 2020 ein "Museum für Verbrechen" gibt und ein Josef-Fritzl-Denkmal, nach Spanien, eine Insel der Glückseligen im von multinationalen Konzernen beherrschten Europa.
Verlierer als Sieger
Edo Popovic beschreibt eine Welt, in der der Kapitalismus auch noch den letzten Funken von Menschlichkeit verloren, in der die Politik längst abgedankt hat und sich alles um Konsum, Wachstum und Profit dreht. Und in der doch die, die nichts mehr zu verlieren haben, einen Moment lang wie die Sieger aussehen - die Habenichtse, die Aussortierten, die "Ungenießbaren". "Not und Antikonsumhaltung hoben eine glückliche Bruderschaft aus der Taufe", heißt es im Roman.
Auch wenn "Die Ungenießbaren" schließlich scheitern und ins Kriminelle abdriften, allein die Tatsache, dass das System in ihnen eine Provokation und Gefahr erkannte, belegt die Brisanz einer Verweigerungshaltung, die auch Edo Popovic gefällt, denn auch er versucht, sich so weit wie möglich aus dem geltenden Wirtschaftssystem herauszuhalten. Er fährt ein 23 Jahre altes Auto, erzählt er, und versucht, kein Geld für unnötige Dinge auszugeben. "Heutzutage arbeiten wir hart, um viel Geld für Dinge auszugeben, die wir nicht brauchen. Ich will da nicht mitspielen, wie die 'Ungenießbaren'."
Edo Popovic hat einen kleinen, vielschichtigen, immer wieder vom Ton der Empörung geprägten Roman geschrieben - mit vielen Anspielungen und Verweisen. Er philosophiert über Macht und Konsum, über Wirklichkeit und Spiel, über Körper, Menschen und ihre Schatten, er arbeitet mit erfundenen Spielen und authentischen Texten, zitiert Gerichtsurteile, Dokumente und Gedichte - Henry Miller, Kurt Vonnegut, Romain Gary und Antonio Machado. Und doch wirkt sein Roman nie überfrachtet oder konstruiert, sondern dicht, intelligent - und spannend.
Glaube an das Individuum
Popovic ist sich bewusst, dass Bücher die Welt nicht ändern können, er glaubt jedoch an echtes Engagement. Er selbst ist Mitstreiter der occupy-Bewegung, die in Kroatien nicht so mächtig und präsent ist wie beispielsweise in den USA, aber immerhin aktiv. Und er glaubt an ihre Durchschlagskraft.
"Der Aufstand der Ungenießbaren": ein viele Motive bündelnder Roman, in dem trotz der Macht des Geldes der Glaube an das Individuum nicht gänzlich schwindet - und ein beunruhigendes Zukunftsszenario entworfen wird, aber kein rabenschwarzes. Vieles wird angedeutet in dieser Geschichte, nicht wirklich ausgeleuchtet - aber genau das will Edo Popovic: den skizzenhaften Entwurf einer Gesellschaft zwischen dem Diktat des Kapitals und dem keineswegs nur ohnmächtigen Protest der sich diesem Diktat Entziehenden.
Am Ende überwiegt freilich die Ernüchterung: Gärtner, der Killer aus politischem Kalkül, wird die Sinnlosigkeit seiner Gewalttaten begreifen, seine Mitstreiterin den Zusammenhang von Macht und Konsum - und Jokic, der gedemütigte Serbe und Kriegsveteran, wird den Glauben verloren haben, die Dinge könnten je wieder in Ordnung gebracht werden. Nur Vanca wird zufrieden sein. Er wird seinen Auftrag nicht ausführen, einen Job in Madrid annehmen und sich in Bescheidenheit üben. "Wir haben uns eingebildet, dass wir wichtig sind, dass wir entscheiden, bauen, schaffen, tun, anhäufen, verändern, haben, wissen, denken, besitzen", sagt Vanca, "aber eigentlich passieren wir nur".
Service
Edo Popovic, "Der Aufstand der Ungenießbaren", aus dem Kroatischen übersetzt von Alida Bremer, Luchterhand Verlag
Luchterhand - Der Aufstand der Ungenießbaren