Sex als Dressurakt
Ulrich Seidls "Paradies: Liebe"
"Paradies: Liebe" nennt der österreichische Regisseur Ulrich Seidl seinen Film, der 2012 bei den Filmfestspielen in Cannes im Wettbewerb lief. Dass das Paradies hier möglichweise zur Hölle werden kann, ist bei Seidl nicht unwahrscheinlich. Auf dem Weg dorthin ist eine 50-jährige Frau, die Liebe sucht und sich doch nur als Sex-Touristin in Afrika entpuppt.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 26.11.2012
Das Paradies ist ein Ort der Glücksseligkeit. Dass dieses auf Erden nicht zu haben ist, der Mensch sich damit aber partout nicht abfinden will, ist die Triebkraft für die "Paradies"-Trilogie des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl: "Das Paradies ist ein Begriff für die Wünsche, die wir alle haben, und so auch meine Hauptfigur, die sich auf die Suche nach dem Paradies macht."
Die große Liebe finden
Teresa (Margarete Tiesel) ist um die 50, aus Wien, übergewichtig, bestens verankert im Kleinbürgertum zwischen Wohnbetonwüste und Resopal-Einbauküchencharme, zwischen Kaffee-und-Kuchen-Ritual am Nachmittag und ausgeprägtem Sauberkeitsbedürfnis, man könnte auch Putzfimmel dazu sagen. Der Traum: in Kenia die große Liebe finden.
Als sogenannte Sugar Mama stolpert Teresa anfangs unbeholfen durch eine fremde Kultur, die einerseits Abenteuer und Freiheitsgefühle, andererseits Überforderung parat hält. Doch nach und nach setzt sich - auch durch die freiwillige Unterordnung der Afrikaner - westeuropäische Kolonialmentalität durch, Sexualität wird zum Dressurakt.
Sex-Tourismus
Einem Porträt grundlegender Charakterwidersprüche stellt Ulrich Seidl eine sozialrealistische Ebene gegenüber, jene des Sex-Tourismus in Afrika. Kein Zweifel, dass es sich um ein klare Tauschgeschäfte handelt, wobei Regisseur Seidl eindeutige Rollenmuster vermeiden will: "Ich will hier eine Darstellung vermeiden, dass die weißen Frauen die Täter sind und die schwarzen Beach Boys die Opfer, sondern auch umgekehrt."
Selbsterkenntnis statt Selbstbetrug
Die Sehnsucht nach Zärtlichkeit, nach einem Monopol des Begehrt-werdens weicht in "Paradies: Liebe" langsam der bitteren Enttäuschung, der Selbstbetrug der Selbsterkenntnis. Viel nackte Haut ist hier im Spiel, auch die für Ulrich Seidl typische Drastik in der Darstellung von Sexualität. Gebrochen wird diese Überzeichnung aber durch die Feinfühligkeit in der seelischen Linienführung. So nackt kann Teresas Körper gar nicht sein, wie sie am Ende in ihrer Einsamkeit und Verzweiflung entblößt ist, vor sich nur mehr die Ruinen ihres paradiesischen Traumes.