Sharon Lockharts Hommage an Noa Eshkol
Im ehemaligen Augarten Contemporary hat Sharon Lockhart fünf Videos auf riesige Flächen projiziert. Die Tänzerinnen zeigen fünf Choreographien aus der jahrzehntelangen Arbeit mit Noa Eshkol. In einem kleineren Gebäude daneben zeigt ein Video allein Rutie, die Lieblingstänzerin Noa Eshkols.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 23.11.2012
Sharon Lockhart, sie sich in ihren Arbeiten oft mit alltäglichen Obsessionen auseinandersetzt und diese dann in Experimentalfilme umsetzt, kam 2008 durch Zufall in das Haus von Noa Eshkol. Zwei der Tänzerinnen zeigten ihr eine von Noa Eshkols Choreographien, die sie über 35 Jahre mit ihr trainiert hatten. Es war nur ein kurzer Tanz, zwei Minuten 30, erzählt Sharon Lockhart.
Noa Eshkol war ein Jahr vor Sharon Lockharts Besuch verstorben. Seit den 1970er Jahren hatte sie sich in das Haus in Holon zurückgezogen. Ihre Tänzer kamen fünf Mal die Woche, um zu trainieren. Es gab keine öffentlichen Auftritte, alles war auf das Haus konzentriert. Die Kuratorin der Ausstellung, Daniela Zymann, beschreibt dieses Haus als Epizentrum:
"Das Haus war das Epizentrum von allem. Alles passierte buchstäblich in diesem Haus, über 35 Jahre lang. Tanz, Tanzkomposition, Choreographie, Bewegungsnotation, Arbeit mit Textilien, und eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Noa und einer Gruppe von Tänzern. Das waren ihre Freunde, ihre Schüler, ihre Umgebung." In diesem Haus existierte ein Zeitvakuum, die Zeit stand still für Jahrzehnte, sagt Zymann. Und plötzlich kam Sharon Lockhart und für die Tänzer begann eine neue Erfahrung:
"Sie waren aufgeregt, denn Noa war nie überzeugt gewesen von Performances. Es ging ihr um Arbeit, um Training. Es ging ihr nicht um Berühmtheit, Publikum oder Applaus. Sie führten also nie etwas vor. Und plötzlich war ich da und ich sagte: Ich will alles darüber lernen."
Die Eshkol-Wachmann-Notation
Noa Eshkol konzipierte in den 1950er Jahren gemeinsam mit dem Architekten Avraham Wachman ein Notationssystem für Bewegungen, die sogenannte Eshkol-Wachmann-Notation. Zeichensysteme, um einen Tanz wie ein Musikstück zu notieren, gab es zu diesem Zeitpunkt natürlich schon, doch das Neue an der Eshkol-Wachmann-Notation war, dass sie den Anspruch auf Universalität stellte. Jede Bewegung - eines Menschen, eines Tieres und sogar eines Roboters - sollte durch sie aufgezeichnet werden können.
Das Bezugssystem der Eshkol-Wachmann-Notation ist ein Kugelmodell, mit Koordinaten an der Außenseite, erklärt Kuratorin Zymann. Diese Koordinaten machen sodann möglich, die unterschiedlichen Artikulationen jedes Körpergliedes in diesem Kugelmodell zu platzieren.
Die Eshkol-Wachmann-Notation hat auch Eingang in die Wissenschaft gefunden. Forscher fanden heraus, dass durch die Eshkol-Wachman-Notation Autismus schon vor dem Spracherwerb eines Kindes festgestellt werden kann.
Neshkol interpretieren
Noa Eshkol verlangte viel von ihren Tänzern, erfuhr Sharon Lockhart bei ihren Besuchen im Haus in Holon. Früher, bei ihren seltenen Auftritten, durfte man nur das Metronom hören: "Wenn jemand im Publikum hustete, dann regte sie sich darüber auf. Man erzählt sich die Geschichte, dass sie um einen Auftritt mit der Gruppe gebeten wurde. Und dieser Auftritt fand um sieben Uhr in der Früh statt. Wenn jemand wirklich kommen will, dann wird er das auch tun. So war Noa."
Wenn Noa Eshkol nicht tanzte, dann nähte sie Wandteppiche. Sie sammelte dafür Stoffreste aus den Textilfabriken in der Gegend. Sharon Lockhart erkannte Ähnlichkeiten zwischen dem Tanzen und dem Teppichnähen und führte beide Kunstformen in der Ausstellung zusammen.
"Das ist das erste Mal, dass sie zusammen sind", sagt Lockhart. "Sie erscheinen so unterschiedlich in Aussehen und Konzept, aber sie hat für beide sehr strenge Systeme. Die Stoffreste für die Teppiche wurden nie auseinandergeschnitten, sie verwendet nie Stoffe, auf denen Wörter, Tiere oder Menschen abgebildet waren. Sie hatte dieses Regeln, die sie als System verwendete. Da erkannte ich die Ähnlichkeit zwischen den beiden."
Sharon Lockhart wollte nicht das Leben von Noa Eshkol dokumentieren, sie will durch ihre Kunst Eshkols Kunst interpretieren, und etwas Neues daraus machen.