Willkür-Urteil in China
Die Verurteilung eines Angehörigen des bekannten chinesischen Bürgerrechtlers Chen Guangcheng sorgt weltweit für Kritik. Ein Neffe des blinden Menschenrechtsaktivisten wurde zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt. Die US-Regierung und auch Menschenrechtsorganisationen bezeichnen das Urteil als unfair und als Racheakt an der Familie von Chen Guangcheng. Ihm war im Sommer die Ausreise in die USA gestattet worden, nachdem sein Fall zuvor einer diplomatischen Krise zwischen Peking und Washington geführt hatte.
23. November 2023, 15:32
Mittagsjournal, 1.12.2012
Aus Peking,
Rache und Willkür
Drei Jahre und drei Monate lang muss Chen Kegui ins Gefängnis. Sein Verbrechen: er hatte es gewagt, von Sicherheitskräften angeheuerte Schläger in die Flucht zu schlagen, die zuvor mitten in der Nacht in sein Haus eingedrungen und ihn vor den Augen seiner Familie verprügelt hatten. Die Schläger und Wachleute hatten in dem Dorf nach seinem Onkel, dem bekannten blinden Menschenrechtsaktivisten Chen Guangcheng gesucht, dem zuvor nach 19 Monaten Hausarrest eine spektakuläre Flucht gelungen war: „Wir sind zutiefst schockiert über das Urteil gegen den Neffen von Chen Guangcheng. Er wurde in einem Verfahren verurteilt, dass die grundlegendsten rechtlichen Regeln missachtet hat“ sagt die Sprecherin im amerikanischen Außenministerium.
Menschenrechtsorganisationen sprechen von Rache, Willkür und einer totalen Missachtung geltender chinesischer Gesetze. Der Onkel des Verurteilten hatte schon vor seiner Ausreise im Mai in die USA befürchtet, die Behörden könnten an seinen zurückgebliebenen Verwandten Rache üben. Chinas Führer hatten Chen Guangcheng, der sich in die US-Botschaft in Peking geflüchtet hatte, erst auf massiven amerikanischen Druck hin ausreisen lassen.
Versprechen nicht gehalten
Jahrelang war Chen staatlicher Willkür und Repression ausgesetzt. Dabei hatte er nie zu einem Sturz der KP aufgerufen, sondern hatte sich lediglich gegen Zwangsabtreibungen in seinem Dorf eingesetzt. China hatte den USA versprochen, die zurückgebliebenen Familienmitglieder von Chen fair zu behandeln. Daran hat man sich nicht gehalten. Ein weiterer Beleg, dass juristische Fairness und Rechtssicherheit in China Fremdwörter bleiben. Und dass sich da auch unter der soeben neu installierten KP-Führung in Peking vorerst kaum etwas ändern dürfte. Die Chance, dem Gerede über politische Reformen auch endlich einmal Taten folgen zu lassen, diese Chance haben die neuen Mächtigen wieder einmal vertan.