Beqe Cufaj zum Wirken von Hilfsorganisationen

projekt@party

"Es gab keine Umkehr mehr. (...) Zwar wusste ich nicht, wohin es ging und wie. Doch das war jetzt auch nicht so wichtig. Wie in einem flüchtigen Traum überschritt ich die Grenze zwischen hier und dort." So erinnert sich ein deutscher Professor an seine Ankunft in einem ihm völlig fremden Land, seiner neuen Heimat.

Es ist ein tristes, marodes, noch immer unter den Folgen des Krieges leidendes Land, dieses Land "da unten", das keinen Namen trägt. Hier, glaubt der Professor, wird er gebraucht, hier kann er sein früheres Leben hinter sich lassen und im Auftrag der Vereinten Nationen helfen, etwas Neues aufzubauen. "Mein Leben lang hatte ich davon geträumt, etwas für die Menschheit zu tun", sagt er.

Krisengebiete im Wiederaufbau

"Was bewegt diese Menschen, da runter zu gehen in diese Länder?", fragt sich der Autor. "Und das noch Wichtigere ist: Wie ist eigentlich ihr Alltag, wie funktioniert das? Ich konnte es einfach nicht glauben und fassen, dass diese ganz normalen Bürger, die von hier aus in solche Missionen gehen, sobald die da unten landen, sich in etwas völlig anderes verwandeln."

Beqe Cufajs Roman "projekt@party" handelt vom fragwürdigen Wirken internationaler Hilfsorganisationen, von humanitären Missionen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Seine Hauptfigur, ein Mann in der Lebenskrise, gerät in ein Land, das er nicht kennt, und an einen Job, der offenbar wenig verlangt. Vier Jahre nach dem Ende eines schrecklichen Bürgerkrieges liegt vieles im Argen in dem von Armut und Instabilität geprägten Land, in dem man Cufajs Heimatland, den Kosovo, erkennen mag, aber auch andere Krisengebiete im Wiederaufbau.

"Es ist eine Frage, die sich durch den Prozess des Schreibens immer wieder gestellt hat: Ob es Kosovo heißen soll? Ob dieses Kosovo sozusagen überall ist?", so Cufaj. "Ich wollte eine einfache Geschichte erzählen, eine Art Allegorie oder Parabel. Für mich war es in der Tat so, dass es besser ist, dass das Land nicht namentlich erwähnt werden soll. Das ist genauso auch in Bosnien, wenn Sie wollen auch in anderen zivilen Missionen, Afghanistan, teilweise Ost-Timor oder Kongo jetzt, wo wir einfach präsent sind, nicht nur militärisch, vor allem mit diesem sogenannten zivilisatorischen Prozess."

Flucht in die virtuelle Welt

Im Land "da unten" will Cufajs Protagonist, dieser selbsternannte "Missionar des Weltfriedens", einen Neuanfang wagen. Sein Leben war aus dem Tritt geraten. Quasi im Zeitraffer lässt er seine Geschichte Revue passieren, vom linken Rebellen und Stalinisten, der einst in Albanien eine Trutzburg des Antiimperialismus sah, zum Professor "mit gebügeltem Hemd und Krawatte", vom Schürzenjäger zum Ehemann und Vater.

Doch mit dem frühen Tod der Tochter war die bürgerliche Idylle zerstört. "Verwundet, wie ich war, musste ich mich neu im Leben einrichten", sagt der Ich-Erzähler. Jetzt ist er in dem Land "da unten" angekommen - mit durchaus gemischten Gefühlen. Alles wirkt schmutzig und heruntergekommen, überall Plattenbauten, Müllberge, holprige Straßen und Stromausfall, alles ist grau und nichts funktioniert wirklich. Beklemmung und Depression wechseln mit Aufbruchsstimmung.

Der Ex-Professor, künftig Leiter der "Einheit für Erziehungswesen", fühlt sich befreit und hilflos zugleich. Er bekommt ein Büro, eine Assistentin, einen Fahrer und einen Dolmetscher und lernt seine Mitstreiter kennen: Paolo, Marek und Juanita, Schweden, Amerikaner, Franzosen und Ugander, die man vorzugsweise im "Tricky Dick" trifft, einem Lokal für die ausländische Elite, wo man endlos Partys feiert und sich betrinkt.

"Deshalb hat auch das Buch den Titel, weil die meisten sich im Prinzip in diese virtuelle Welt flüchten, weil die sozusagen in zwei parallelen Welten leben. (...) Für mich war wichtig, dass man auch sieht, dass wir Menschen in solche Sachen schicken, die vor allem sich selber helfen wollen. Und dabei bleibt im Grunde genommen sehr wenig Zeit und sehr wenig Spielraum, dass den Menschen, die vor Ort diese Nöte haben, auch geholfen wird."

Zweifelhafte Hilfe

Was sich bei "humanitären Missionen" tatsächlich abspielt, zeigt "projekt@party" in schonungslosem Licht. Auch sein Protagonist, der zuerst noch voller Stolz bekannte, "ich kam mir nun vor wie ein echter Chef", "war Herr über Aufbau- und Wiederaufbauprojekte, Arbeitsplätze und Gehälter", ist schnell desillusioniert und der permanenten Partystimmung überdrüssig. Er muss einräumen, sich keineswegs sicher zu sein, dass bei seiner Arbeit hier wirklich etwas herauskommt.

"So, wie es bisher gelaufen war, konnte es keinesfalls weitergehen", meint er, "allerdings hatte ich nicht die blasseste Ahnung, was zur Verbesserung der Zustände konkret unternommen werden konnte." Ernüchterung, zu der auch das Eingeständnis eines Kollegen passt: "Mit den Einheimischen können wir nirgendwo etwas anfangen", sagt dieser, einer der "berufsmäßigen Weltverbesserer", der wie ein Nomade herumreist, von Krisengebiet zu Krisengebiet, von einer gutdotierten Mission zur nächsten.

"Ich will damit nicht in Frage stellen, dass es da gute Menschen und Organisationen, wirklich tapfere Leute gibt, die ihr eigenes Leben auch geopfert haben und opfern", meint Cufaj. "Aber ich kann es einfach nicht akzeptieren, wenn Sie mir jetzt als EU-Bürger sagen, wir haben doch für Sie drei Milliarden Euro ausgegeben. Da sage ich immer, nein, das stimmt überhaupt nicht. Statistiken sagen, dass siebzig Prozent von diesen Geldern genau dort landen, von woher sie geflossen sind. Das heißt, die kommen hierher zurück. Dann gibt es die warlords und die regionalen Politiker, die noch zwanzig Prozent einfach für sich nehmen. Und was haben wir dann eigentlich? Zehn Prozent von diesen drei Milliarden. Und das ist dann für mich purer Zynismus. Und dann fragen wir uns immer wieder, wie kann es sein, dass die uns hassen, die da unten? Oder dass die da unten hier her wollen? Das heißt, es geht auch um die Konfrontation zwischen Mentalitäten und Welten."

Moderner Kolonialismus

Cufaj zeigt kritisch, was sich hinter dem schönen Wort "nation building" verbirgt: eine moderne Form des Kolonialismus, die Animositäten eher schürt als abbaut und, wie unlängst auch der Europäische Rechnungshof rügte, erschreckend wenig Effizienz entwickelt. Er stellt der Geschichte des Professors die eines Einheimischen gegenüber, des Dolmetschers Abu Beqir, der einst in Deutschland sein Glück versuchte – und scheiterte, der ein Leben zwischen Aufnahmelager, Alkoholismus und Kriminalität fristete, mit anschließender Flucht zurück und Konversion zum gläubigen Muslim. Wie der Professor blieb auch er ein Fremder in der Fremde, freilich ohne solche Privilegien, wie dieser genossen zu haben.

Beqe Cufaj hat in seinem Roman ein brisantes Thema aufgegriffen, ohne sich in Ressentiments zu ergehen oder Weitschweifigkeiten zu gestatten. "projekt@party" ist ein kleines, schmales Buch - ein wichtiges, aber zu kurzes. Cufajs Erzähler ist kein Meister der Empathie, vieles bleibt einfach behauptet, wirkt notizenhaft knapp und nicht erzählend veranschaulicht, und kaum wird dem "Helden" das Dilemma seiner Mission bewusst, ist die Geschichte auch schon zu Ende, eine Geschichte, die sich fast wie die Inhaltsangabe eines größeren Romans liest, den Beqe Cufaj, dieser Wanderer zwischen den Welten und für einen Konfliktstoff wie diesen geradezu prädestinierte Autor, dann doch nicht schreiben wollte oder konnte:

"Wenn man mich jetzt fragen würde, noch mal durch diese Geschichte zu gehen, ich weiß nicht, ob ich da bereit wäre. Es ist keine leichte Welt. Es ist wirklich vernichtend. Es ist fast unerträglich. Und es ist unser westlicher Zynismus, dass wir immer helfen. Auch wenn wir uns jetzt zurücklehnen. Wir haben Weihnachten, wir spenden Gelder, für Afrika, den Balkan, Asien, wir helfen überall. Aber keiner von uns weiß, wie das dann eigentlich läuft."

Wie das eigentlich läuft "da unten", das verrät Beqe Cufajs ernüchterndes - und gerade deshalb lesenswertes - Buch. Am Ende werden die Aufbauprojekte abgebrochen, weil heftige Unruhen ausbrechen, ausgelöst durch Fremdenhass, durch die Wut der Einheimischen auf die UN-Leute, auf ihre, wie es heißt, "Powerpoint- und Partymentalität".

Service

Beqe Cufaj, "projekt@party", aus dem Albanischen von Joachim Röhm, Secession Verlag

Secession Verlag - projekt@party