Was wurde aus den Kindern?

Lebenslang Lebensborn

Die SS-Organisation Lebensborn ist bis heute von Legenden umrankt. Eine davon besagt, es habe sich um eine "Zuchtanstalt" gehandelt, in der ausgesuchte weibliche und männliche Prachtexemplare der arischen Rasse zum Zweck der Kinderzeugung zusammengeführt wurden. Doch die Lebensborn-Organisatoren führten anderes im Schilde.

Mit Lebensborn-Kindern gesprochen

Die Situation in den seit 1936 eröffneten Heimen des Lebensborns war komfortabel. Nach der Geburt konnten die Mütter ihr Kind mitnehmen und ihre Angelegenheiten regeln, sie konnten es aber auch zeitweise oder ganz der Vormundschaft des Lebensborns überlassen, es Pflegeeltern überantworten oder zur Adoption freigeben. Der Lebensborn wollte die arische Rasse vergrößern und kultivieren - ergebnisorientiert und pragmatisch; bürgerliche Moralvorstellungen spielten keine Rolle.

Ehemalige Lebensborn-Kinder - alles in allem waren es etwa 18.000 - sind nach Ende des Zweiten Weltkriegs nur vereinzelt und zögerlich an die Öffentlichkeit getreten. Mit vielen derjenigen, die den Schritt gewagt haben und sich offensiv mit diesem Aspekt ihrer Lebensgeschichte auseinandersetzen, hat Dorothee Schmitz-Köster in den vergangenen Jahren Kontakt aufgenommen, und sie war oft dabei, wenn sich Betroffene in Gesprächskreisen zusammenfanden.

Ein anderes Lebensborn-Kind, die mittlerweile 70-jährige Hannelise H., sagte zur Autorin, sie hätte keinen besonderen Ärger mit dem Lebensborn gehabt - um dann wie beiläufig hinzuzufügen: "außer dass ich nicht wusste, wer ich bin". Fast hätte Dorothee Schmitz-Köster diese Worte überhört, doch dann klingen sie in ihr nach und gehen ihr nicht mehr aus dem Kopf.

20 Lebensgeschichten

Die Autorin erzählt 20 bewegende Lebensgeschichten, die in gewisser Weise immer auch Familiengeschichten sind. Eines zeigen sie alle: Der Lebensborn hat stets Spuren hinterlassen, doch wie tief sie sich eingegraben haben, das hing nicht zuletzt vom Verhalten und der Verantwortungsbereitschaft der jeweiligen Eltern ab.

Aus allen besetzten Ländern

Nach 1938 wurde der Lebensborn in Österreich aktiv, im Laufe des Zweiten Weltkriegs auch in einigen besetzten Ländern, allen voran Norwegen. Selbst im angeblich rassisch minderwertigen Osteuropa fand man vielversprechende Kinder und griff zum Mittel der Verschleppung und Zwangsgermanisierung.

Wenn etwas nicht nach Plan lief, wenn ein Kind trotz gesunder Eltern etwa krank oder behindert zur Welt kam, dann zeigte der SS-Staat sein wahres, sein mörderisches Gesicht. Die kleine Sigune zum Beispiel wurde Anfang 1943 im Lebensborn-Heim "Wienerwald" geboren - mit Down-Syndrom. Noch im selben Jahr wird sie im Rahmen des hundertausendfachen Kranken- und Behindertenmordes der Nazis umgebracht.

Alle Menschen, von denen dieses Buch erzählt, hat der Fotograf Tristan Vankann in eindrücklichen Aufnahmen porträtiert. Nur von Sigune gibt es kein Foto.

Service

Dorothee Schmitz-Köster / Tristan Vankann, "Lebenslang Lebensborn. Die Wunschkinder der SS und was aus ihnen wurde", Piper Verlag

Piper - Lebenslang Lebensborn