Dädalus goes Hollywood

Griechenland, ach Griechenland, vor gar nicht langer Zeit wurdest du als die Wiege der westlichen Zivilisation betrachtet, und nicht als dessen finanzieller Sargnagel. Im klassischen Griechenland hatte man, wie Wissenschaftshistoriker und Philosoph Simon Schaffer erinnert, eine ganz andere Vorstellung vom Verhältnis zwischen Wissen und Neuheit.

Plato etwa, der in seinen Dialogen durch den Mund von Sokrates spricht, dachte, dass alles was wahr ist, in gewisser Weise bereits gewusst wurde; dass eine Entdeckung zu machen bedeutet, dieses Wissen wieder in Erinnerung zu rufen; und dass folglich jemand der behauptet, etwas gänzlich Neues erfunden zu haben, mit größter Wahrscheinlichkeit ein Schwindler oder Scharlatan ist.

In Platos Denken waren die Ideen absolut gesetzt, zeitlos, ewig, die Realität war hingegen nur Schein. Kein Wunder, dass in Platos Ideal vom Staat die Künstler keinen Platz fanden. Ihre Tätigkeit war zu nahe am Handwerklichen und das grenzte an Sklavenarbeit. Alles was irgendwie mit Arbeit zu tun hatte, wurde abschätzig angesehen. So erstaunt es nicht, dass Dädalus, sozusagen der Cheftechniker der Hellenen, mit einer gewissen Ambivalenz betrachtet wurde.

In der Mythologie wurde Dädalus ein echter Hacker-Spirit nachgesagt, ein Erfindungsreichtum, der gelegentlich an List grenzte, und dabei durchaus bösartig werden konnte. Bruno Latour, einer der bedeutendsten Wissenschaftstheoretiker der Gegenwart, schlägt vor, Dädalus als Modellfigur für unser Verständnis von Technologie zu nehmen+.

Dädalus, trickreicher Erfinder neumodischer Apparate, von lebendigen Statuen und Militärrobotern, die Kreta bewachen, verachtet und doch unverzichtbar, immer im Krieg mit drei Königen, die ihre Macht seinen Machenschaften verdankten; kein Wissenschaftler, der mit theoretischem Wissen und Planung arbeitete, sondern ein Bastler und Improvisator, der nahm, was ihm gerade so in die Hände kam. In einer antiken Form der genetischen Manipulation brachte er Pasiphaë dazu, sich von einem Stier Poseidons begatten zu lassen, so dass der Minotaurus geboren wurde, dem er ein Labyrinth baute, aus dem er entkam, wobei jedoch sein Sohn Ikarus sein Leben verlor.

Später löste er das Rätsel eines weiteren Labyrinths, indem er einen Faden an eine Ameise band. Er hatte kein Problem damit, einen seiner Verfolger, König Minos, in brühendem Wasser wie ein Ei zu kochen. Dädalus besaß "metis", eine Art strategisches Geschick, für das auch Odysseus bekannt war. Dieser war gar ein "polymetis", eine "bag of tricks".

Doch auch das Geschick des Kapitäns das zu Odysseus Skillset zählte, war, laut Wissenschaftsphilosoph Simon Schaffer, dem Griechentum noch zu nahe an den Elementen, denn nichts war ihnen lieber als die völlig immaterielle Philosophie, in der sich die Ideen offenbarten. Nur Philosophie und Politik waren Tätigkeiten würdig eines waren griechischen Gentleman, erinnerte uns auch Hannah Arendt.

Die wachsende Kluft zwischen Wissen (das rein philosophisch aufgefasst wurde) und Technik wird für den Beginn vom Abstieg Athens als wirtschaftliche und militärische Macht verantwortlich gemacht. Es gibt auch Grund zur Vermutung, dass das Verhältnis zwischen Wissen und Technologie in einer früheren Periode, im 5.und 6. Jahrhunderts, als Griechenland noch aufstrebend war, ein anderes gewesen sein muss. Die Ideen der Ionischen Philosophen Thales, Anaximander und Anaximenes waren keine vollständigen, abstrakten Theorien von etwas, sondern Listen, Fakten, und Ideen, die zu konkreten Zwecken benutzt werden konnten, wie der große Wissenschaftsphilosoph Paul Feyerabend++ hervorhob.

Und so ist auch Europas Aufstiegsphase in der Renaissance und im Barock von neuen Allianzen zwischen Wissen und technischem Geschick bestimmt. Die Renaissance-Wissenschaft eines Francis Bacon wurde durch Techniken ermöglicht, welche die Werkzeuge für seine experimentelle Praxis produzierte. Seither ist diese enge Verschränkung von Wissenschaft und Technologie ein Merkmal dynamischer Kulturen geblieben.

Das Verhältnis zwischen Wissen und Neuheit wurde seit der Antike völlig umgekehrt. Heute zählt nur neues Wissen oder Wissen, das Neues zu produzieren verspricht. Zugleich wurde die Verbindung zwischen Wissenschaft und Technologie so eng, dass man von Techno-Wissenschaften spricht. Das Problem ist also sicher nicht, dass wir von einem Übermaß spekulativer Philosophie am Fortschritt gehindert werden, sondern umgekehrt, ob vor lauter Zweck-orientierter Innovation das Denken und die kritische Auseinandersetzung völlig marginalisiert werden. Wenn Philosophie und Geisteswissenschaften an den Unis immer mehr zurückgeschraubt werden, welche geistigen Instrumente bleiben uns dann noch, um Innovation bewerten zu können?

Text: Armin Medosch, Autor und Medienwissenschaftler

Service

+ Latour, Bruno, "Die Hoffnung der Pandora: Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft", Suhrkamp: Frankfurt/M

++ Feyerabend, Paul, "Wider Den Methodenzwang", 11. ed. Suhrkamp: Frankfurt/M.