Das verborgene Leben des J. D. Salinger
Viele sind es nicht, aber es gibt sie: Schriftsteller, die anonym bleiben wollen. Thomas Pynchon wäre da zu nennen, oder der große - 2003 verstorbene - französische Essayist Maurice Blanchot. Diese Denker und Dichter wollen nicht als Personen auftreten, sondern einzig und alleine ihr Werk sprechen lassen.
8. April 2017, 21:58
Jerome David Salinger ging noch einen Schritt weiter. Nicht nur zog er sich als Mensch aus der Öffentlichkeit zurück; nach seiner Erzählung "Hapworth 16, 1924", die am 19. Juni 1965 im "New Yorker" erschien und fast die gesamte Ausgabe umfasste, hörte er auf, Texte zu publizieren. Nicht weil er - so wie Arthur Rimbaud - mit dem Schreiben fertig gewesen wäre; nein, Salinger schrieb bis zu seinem Tod im Jahre 2010 fast täglich. Nur wollte er eben nicht mehr in Erscheinung treten. Weder als Mensch noch als Autor. Was umso erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, welche Anstrengungen der junge Salinger unternommen hat, um als Autor anerkannt zu werden.
Genau beschreibt Kenneth Slawenski, wie sich Salinger bemühte, seine Kurzgeschichten zu verkaufen, welche Anstrengungen er unternahm - und welche Demütigungen er hinnehmen musste - bis endlich eine Kurzgeschichte von ihm im "New Yorker", dem damals mit Abstand wichtigsten Literaturmagazin der USA, veröffentlicht wurde.
Schreckliche Kriegserinnerungen
Warum aber verstummte Salinger dann plötzlich? Am Höhepunkt seines Ruhmes, als er mit "Der Fänger im Roggen" einen Weltbestseller publiziert hatte und jede seiner Kurzgeschichten ein literarisches Ereignis war? Slawenski führt das auf zwei Gründe zurück: Einmal war da Salingers am Zen-Buddhismus geschulte religiöse Überzeugung, dass das Ich eliminiert werden sollte; andererseits waren da noch seine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, die ihm bis zum Lebensende zu schaffen machten.
1942 wurde Salinger in die US-Army eingezogen - und wie viele Männer im Weltkrieg davor, nahm er das zuerst freudig zur Kenntnis. Aber bald schon sollte Salinger die brutale Realität des Krieges am eignen Leib erfahren. Er war dabei, als die amerikanischen Truppen am 6. Juni 1944 - am D-Day - französischen Boden betraten. Er kämpfte elf Monate lang und musste auch die Schlacht im Hürtgenwald miterleben - die "größte Kriegsniederlage der Allierten im Zweiten Weltkrieg" wie es Slawenski ausdrückt. Von den 3080 Regimentssoldaten, die in Hürtgen eingesetzt wurden, überlebten nur 563. "Für diese Soldaten war es bereits ein Sieg, den Wald lebend zu verlassen", schreibt Kenneth Slawenski und er ist überzeugt, dass das Leid, das Salinger dort erfuhr, von grundlegender Bedeutung für das Verständnis seines Werkes ist.
Als der Zweite Weltkrieg endete, hatte Salinger über drei Jahre in der US-Army gedient. Unter anderem hatte er sich im Krieg die Nase gebrochen und er weigerte sich, sie richten zu lassen, und aufgrund der vielen Explosionen war er auf einem Ohr taub.
Erfolg beim "New Yorker"
Nach dem Krieg widmete sich Salinger, wieder vermehrt der Literatur. Er verfasste Kurzgeschichten und versuchte, sie beim "New Yorker" unterzubringen. 1948 schickte Salinger die Kurzgeschichte "A Perfect Day for Banana Fish" an den "New Yorker". Und nun, nach Jahren der Ablehnung, zeigte sich die Redaktion begeistert. Die Geschichte wurde nicht nur sofort angenommen, Salinger bekam auch einen der heiß begehrten Honorarverträge des Magazins. Angeblich bekam er 30.000 Dollar - eine damals immense Summe - für ein Vorkaufsrecht. Das bedeutete nichts anders, als dass Salinger jede neue Geschichte zuerst dem "New Yorker" anbieten musste. Die Zeitschrift konnte die Story jederzeit ablehnen, dann durfte Salinger sie an ein anderes Magazin verkaufen.
Der "New Yorker" und Salinger. Im Grund hat Slawenski eine Doppelbiografie verfasst. Nicht nur beschreibt er Leben und Wirken von Salinger, er erzählt auch die Geschichte des "New Yorker". Wie die Herausgeber das Magazin prägten, welche Ausnahmestellung die Zeitschrift ab Ende des Zweiten Weltkrieges hatte und wie mit Autoren umgegangen wurde. Denn das ist ein wichtiger Aspekt in Slawenskis Biografie: Die Scharmützel und Kämpfe, die sich Salinger mit seinen Verlegern und Lektoren lieferte.
Salinger war von einem fast schon paranoiden Kontrollwahn geplagt. Jeden Beistrich, den ein Lektor ändern wollte, verteidigte er bis aufs Letzte; und wenn ein Verleger bei der Umschlaggestaltung von Salingers Büchern nicht genau seinen Wünschen entsprach, verfolgte er ihn mit biblischem Zorn.
Klassiker "Der Fänger im Roggen"
Vor allem die Figur des Holden Caulfield versuchte Salinger wie sein eigenes Kind zu beschützen. Caulfield, das ist jener junge Mann, der als Prototyp des jugendlichen Rebellen gilt. 1951 publizierte Salinger Caulfields Überlegungen unter dem Titel "Der Fänger im Roggen". Das Buch wurde sofort ein Erfolg - bis heute sollen mehr als 66 Millionen Exemplare weltweit verkauft worden sein. "Der Fänger im Roggen" machte Salinger zum literarischen Star - und die damit einhergehenden Tantiemen ermöglichten ihm später den Rückzug aus dem literarischen Betrieb.
Am 8. Dezember 1980 ereignete sich eine Tragödie, die das Buch für längere Zeit stigmatisieren sollte. An jenem Tag erschoss Mark David Chapman in New York John Lennon. Danach setzte sich Chapmann auf den Gehsteig, zog ein Exemplar des "Fänger im Roggen" aus der Tasche und begann seelenruhig darin zu lesen. Er habe Lennon getötet, wird Chapmann immer wieder sagen, weil Salingers Roman ihn dazu gebracht habe. Und überhaupt sei er der wahre Holden Caulfield. Es waren das die letzten öffentlichen Signale von. J. D. Salinger. Ein wahnsinniger Mörder, der sich auf seinen Roman berief - und ein alter Autor, der nur aus der Anonymität auftauchte, wenn es galt, Verlage und Autoren zu verklagen, die sich an seinem Werk vergingen.
"Das verborgene Leben des J. D. Salinger" heißt die deutsche Übersetzung von Slawenskis Biografie. Und das ist ein wenig Etikettenschwindel. Denn als getreuer Fan respektiert Slawenski Salingers Wunsch nach Privatsphäre. Von den 400 Seiten der Biografie befassen sich gerade einmal 30 Seiten mit der Zeit nach 1965, jenem Zeitpunkt, als Salinger verstummte. Trotzdem aber ist Slawenskis Biografie ein ausgezeichnetes Buch. Der Text bringt dem Leser nicht nur den Autor J. D. Salinger näher, sondern zeichnet auch ein lebendiges Bild des literarischen Betriebes in den USA der 1950 und 60er Jahre.
Service
Kenneth Slawenski, "Das verborgene Leben des J.D. Salinger", aus dem Englischen übersetzt von Yamin von Rauch, Rogner & Bernhard
Das verborgene Leben des J.D. Salinger