Gesammelte Kolumnen von Rolf Dobelli

Die Kunst des klaren Denkens

Über eine längere Zeit hinweg hat der gelernte Wirtschaftswissenschaftler und Berater Rolf Dobelli in seinen Kolumnen für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die "Zeit" und die "Schweizer SonntagsZeitung" typische Denkfehler analysiert.

Die meisten unserer Trugschlüsse haben System, davon ist Dobelli überzeugt, denn schließlich begehen wir dieselben Irrtümer immer wieder. Wenn man aber die Mechanismen einmal kennt und versteht, warum wir in die Falle laufen, meist ohne es zu merken, dann kann man die Fehler demnächst vielleicht vermeiden.

So ist die Hoffnung des Aufklärers. Dobellis gesammelte Kolumnen sind als zwei Bände "Die Kunst des klaren Denkens" und "Die Kunst des klugen Handelns" erschienen.

Der Null-Risiko-Fehler

Angenommen Sie müssten russisches Roulette spielen. In den sechs Patronenkammern des Revolvers, der an Ihrer Stirn liegt, stecken vier Kugeln. Wie viel würden Sie dafür geben, die Anzahl der Kugeln auf zwei zu reduzieren? Und was würden sie zahlen, um auch noch die letzte Patrone loszuwerden, wenn sich in den sechs Kammern nur noch eine einzige Kugel befände? Die Wette gilt: Sie wären glücklicher, das Risiko von einem Sechstel auf Null zu senken als von vier Sechstel auf zwei Sechstel. Doch rein rechnerisch ist das ziemlich dumm. Rolf Dobelli würde hier von einem "Null-Risiko-Fehler" reden. Wir zahlen in der Regel übermäßig viel für ein vermeintliches Ausschalten von Risiko, während wir eine prozentual größere Reduzierung der Gefahr mit verbleibendem Restrisiko gering schätzen. Ein tolles Geschäft für Versicherungen.

Die amüsant zu lesenden Kolumnen Rolf Dobellis reihen eine unserer Denk-Dummheiten an die andere. Es ist nur eine begrenzte Anzahl von Irrtümern, die uns das Leben schwer machen, so meint Dobelli, und er will sie systematisch erfassen und aufspießen wie ein Käfersammler seine Objekte. Dieses Projekt ist zugleich eine Einübung in kühlen, kritischen Pessimismus. Dobelli ist kein Freund des "positive thinking". Selbstwirksamer Optimismus gehört für ihn definitiv zu den Denkfehlern, genauso wie die derzeit so oft zitierte Formel, dass Krisen Chancen seien.

Finger von Ratgeberliteratur lassen

Wir neigen dazu, uns die Dinge schön zu reden. Auch Selbsthilfe-Ratgeber tun das, sie erzählen Mut machende Erfolgsgeschichten, die statistisch gesehen aber nur eine Minderheit der Menschen betreffen. Dobelli, der Pessimist, rät also, die Finger von Ratgeberliteratur zu lassen.

Viele der von ihm beschriebenen Denkfehler basieren auf psychischer Schwäche und Eitelkeit. Von "bias" ist da oft die Rede, also dem "Hang" zu etwas Irrationalem, von "omission", der Unterlassung, oder von "fallacy", dem Trugschluss. Wir glauben Personen, die uns schmeicheln. Wir kaufen sympathischen Verkäufern gerne etwas ab, weil wir von ihnen gemocht werden wollen. Wir suchen Fehler eher bei anderen als bei uns selbst, und wir halten unsere Meinung immer für besonders richtig. Daher kommt auch der "confirmation bias", der Hang, sich eigene Vorurteile immer selbst zu bestätigen.

Kein Gefühl für Zahlen

Kühlen Kopf bewahren und genau durchrechnen, ist immer Dobellis Ratschlag. Viele seiner Thesen, die er gerne mit Beispielen aus psychologischen Studien untermauert, basieren auf Erkenntnissen der evolutionären Psychologie. Unsere stammesgeschichtliche Grundausstattung ist eher darauf ausgerichtet, schnell zu reagieren als länger nachzudenken. Das macht in der Savanne Sinn. Im Angesicht eines Löwen ist es besser, einmal zu viel wegzurennen als einmal zu wenig, schreibt Dobelli. Unter modernen Bedingungen allerdings führen Instinkte in die Irre.

Dobelli zeigt, dass wir für Zahlen und statistische Größen überhaupt kein Gefühl haben können und uns daher permanent verschätzen. Wir überbewerten Dinge, die uns viel Mühe gekostet haben; wir können exponentielles Wachstum nicht sinnlich begreifen; wir konzentrieren uns auf Ausnahmen und übersehen die Mittelwerte. Daher hilft nur eines: sich an Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung zu halten, und vor allem mehr ruhiges Blut zu bewahren, denn einer unserer größten Fehler ist Überaktivität, der Action bias.

Mathematische Vernunft

Dobellis 104 lehrreiche Textstücke machen süchtig. Man möchte immer noch ein Kapitel weiter lesen, und noch eines, und noch eines. Das führt dann mitunter zu einem gewissen Völlegefühl, als hätte man zu viele Kekse gegessen. Denn letztlich sind alle diese Kolumnen nach einem recht einfachen Muster gestrickt. Die Masche Dobellis ist gut, aber sie wiederholt sich zu oft, und sie beruht auf einem im Grunde sehr schlichten Weltbild.

Der Mann, der uns hier über unsere Schwächen aufklären will, ist ein Rationalist reinsten Wassers, er glaubt an die mathematische Vernunft, an kühle Objektivität, an wissenschaftlich zweifelsfreie Beweise. Für ihn ist Denken ein rein "biologisches Phänomen", evolutionär zu erklären. Ein Sachbuch – so findet Dobelli – enthalte immer unendlich viel mehr Wahrheitsgehalt als ein Roman. Schade, dass klares Denken so simpel sein muss. Vermutlich ist unser Hang zur Unvernunft auch deshalb so groß, weil nur klar zu denken eine ziemlich trostlose Welt ergäbe.

Service

Rolf Dobelli, "Die Kunst des klaren Denkens" und "Die Kunst des klugen Handelns", Hanser

Hanser - Rolf Dobelli