Almuth Spiegel über Sex in der Kunst
Lust & Tabu
Wenn Sie schon den Aufklärungsunterricht in der Schule als zu offenherzig empfunden haben, wäre es vielleicht besser, Almuth Spieglers neues Buch nicht zu lesen, denn in "Lust und Tabu. Über Sex und Kunst" geht es zur Sache.
8. April 2017, 21:58
In zwölf Kapiteln präsentiert die Kulturjournalistin einen Streifzug durch die erotischen Aspekte der Kunstgeschichte von der Antike bis heute. Skandale, gesellschaftliche Prüderie und Zensur inklusive.
Römer und Griechen
Gleich zu Beginn thematisiert die Autorin den freizügigen Umgang mit Sexualität in der Kunst der Römer und Griechen. Sie berichtet von Penis-Amuletten, die schon Babys als Glücksbringer trugen, von pornografischen Graffitis oder von einem Reliefstein, auf dem ein erigierter Phallus auf den bösen Blick ejakuliert.
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Man stellte auf Gebrauchsgegenständen einfach Szenen aus den täglichen Leben dar. Tabuisiert war wenig, wie Szenen mit Frauen samt Dildos, Sadomaso-Praktiken oder Tieren zeigen. Nicht akzeptiert dagegen war etwa, die Reinheit des Mundes zu schänden. Derartige Abbildungen zeigte man höchstens zum Amüsement in Therme.
Freizügiges Pompeji
Die Geschichte vom Sex in der Kunst ist natürlich auch eine Geschichte der Tabubrüche und des gesellschaftlichen Widerstands. Solche Skandale können auch erst mit starker Verzögerung auftreten. Mitte des 18. Jahrhunderts entdeckten Archäologen die antiken Städte Pompeji, Herculaneum und Stabiae. Vom Vesuv verschüttet, waren dort zahlreiche Kunstgegenstände und Wandmalereien erhalten geblieben. Doch die Funde schienen eher zu verstören, als zu beglücken.
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Nicht nur war eines der ersten Objekte, die sie ausgruben, eine Marmorstatue, die den Gott Pan beim Verkehr mit einer Ziege zeigte. Vor allem die Menge an sexuellen Symbolen und Szenen an Hauswänden, auf den Straßen, in der Dekoration der Häuser irritierte sie nachhaltig. Die überall verstreuten "Obszönitäten" wollten so gar nicht in das hehre Bild der Antike passen, das im Klassizismus gepflegt wurde.
Daraufhin wurden viele dieser Kunstgegenstände aus dem Museum verbannt, in eigenen Kabinetten untergebracht, die oft nur Männern zugänglich waren oder mit Feigenblättern versehen. Letztere verschwanden erst nach dem Ersten Weltkrieg endgültig aus den Museen.
Epoche für Epoche
Die kunsthistorischen Querverweise machen Almuth Spieglers Buch besonders lesenswert. Die Autorin nähert sich Epoche für Epoche dem Sex in der Kunst an. Wobei sie, nach eigenen Angaben, versucht hat, sich auf Künstler und Werke zu konzentrieren, die in ihrer Zeit an die Grenzen des Darstellbaren gegangen sind. Diese Arbeiten haben nicht nur das Kunstverständnis nachfolgender Künstlergenerationen beeinflusst, sondern können nach wie vor für Skandale oder zumindest Kontroversen sorgen.
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2008 versuchten die Londoner Verkehrsbetriebe, ein Werbeplakat zur großen Lucas-Cranach-Ausstellung in der Royal Academy zu verbieten. Abgebildet war darauf die "Venus" von 1532 aus dem Frankfurter Städel-Museum, eine durch einen völlig transparenten Schleier in ihrer Nacktheit noch mehr betonte Frauenfigur. Das Plakat verstoße gegen das Verbot, in der U-Bahn "Männer, Frauen oder Kinder in sexueller Art und Weise darzustellen", hieß es. Nach einigen Diskussionen durften die Plakate dann doch hängen bleiben.
Auch Gustave Courbets 1866 entstandenes Werk "L'origine du monde", "Der Ursprung der Welt", kann im musealen Betrieb immer noch zum Aufreger werden. Dabei handelt es sich um das Genitalporträt einer Frau. Das Bild verbrachte die meiste Zeit hinter Vorhängen. Diesem Schicksal konnte es selbst 2008 bei der großen Courbet-Retrospektive im Metropolitan Museum in New York nicht entrinnen: Dort war es hinter einem schwarzen Samtvorhang in einem separaten Raum zu betrachten. Unter 18-Jährigen war der Zutritt untersagt.
Gelatins "Arc de Triomphe"
Auch die österreichische Kunstgeschichte und gegenwärtige Kunstszene kommt auf den 120 Seiten von "Lust & Tabu" nicht zu kurz. Von Egon Schieles Mädchenakten, über die feministische Aktionskunst von Valie Export bis hin zu vermeintlich pornografischen Installationen der österreichischen Boygroup Gelatin. Letztere sorgte 2003 rund um die Salzburger Festspiele für einen Medienskandal. Ihr "Arc de Triomphe" zeigte einen überlebensgroßen, nackten Mann, der Sportsocken trägt, rücklings eine Brücke schlägt und sich dabei selbst in den Mund uriniert.
Nachdem diese Neuinterpretation eines Springbrunnens in der Salzburger Innenstadt dem Festspielpublikum nicht zugemutet werden konnte, wurde das Kunstobjekt von den Behörden schleunigst wieder abgebaut. Bezeichnend ist in jedem Fall, dass es sich dabei um einen männlichen Akt handelte. An die nackte Frau in der Kunst scheint sich die Gesellschaft dagegen gewöhnt zu haben.
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Die Darstellung des sexuellen Aktes, ja die Darstellung eines sexuell aktiven Mannes überhaupt ist äußerst selten im Vergleich zu Abertausenden passiven, den Blick vom Betrachter abgewandten, sonst aber alles entblößenden Frauenakten. (...) Die Geschichte vom Sex in der Kunst ist immer auch eine des männlichen Blicks auf die Frauen.
Almuth Spiegler verbindet in ihrem Buch geschickt journalistisch-anekdotisches Erzählen mit kunsthistorischen Fakten und wissenschaftlichen Analysen. Die 120 Seiten "Über Sex und Kunst" sind nicht nur für Kulturinteressierte lesenswert. Sie eröffnen auch eine sozialhistorische Perspektive und geben Einblick in den Wandel gesellschaftlicher Tabus und den Umgang mit Geschlechteridentitäten. Was bleibt über Sex in der Kunst sonst noch zu sagen? Nicht viel.
Service
Almuth Spiegel, "Lust & Tabu", Metro Verlag
Lust & Tabu