Schumpeters späte Rache

Wenn man sich heute wieder mit dem österreichisch amerikanischem Ökonomen Joseph Schumpeter beschäftigt, dann hat das bizarrerweise mehr mit dem liberal-konservativen Technologie-Guru George Gilder zu tun als mit Schumpeter selbst.

Der 1883 im südmährischen Triesch geborene Josef "Joschi" Schumpeter, Sohn einer aufgeklärt katholischen Unternehmerfamilie, studierte Recht und Wirtschaft an der Universität Wien bei führenden Vertretern der sogenannten Österreichischen Schule der Nationalökonomie wie Friedrich von Wieser und Eugen von Böhm-Bawerk.

Die Ökonomen der Österreichischen Schule hatten maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Grenznutzentheorie. In diesem vom Individuum ausgehenden Ansatz geht es darum, wie sich durch Angebot und Nachfrage auf Märkten Preise bilden. Andere Dinge werden mit der Formel "ceterum paribus" beiseite geschoben. Das heißt soviel wie "unter der Annahme, dass alle anderen Bedingungen für alle gleich sind."

Was sind aber alle anderen Dinge? Kriege, Naturkatastrophen, Revolutionen, das Wetter, haben die etwa keinen Einfluss auf die Preise? Schumpeter, der schnell als wirtschaftliches Wunderkind galt, argumentierte, dass unvorhersehbare Schocks zwar nicht Teil ökonomischer Modelle sein könnten, sehr wohl aber die Innovation. Diese sah er als "primäre Antriebskraft" des wirtschaftlichen und sozialen Wandels. Die Markteinführung neuer Güter, neuer Produktionsmethoden und Transportmittel würde zur Entstehung neuer Märkte führen und so die Welt nachhaltig verändern.

Die zentrale Figur, die den Wandel herbeiführt, sei der Unternehmer, dachte Schumpeter. Er rückte den Unternehmer als „kreativen Zerstörer“ in den Mittelpunkt der Wirtschaftswissenschaften. Damit etablierte er den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Geschichte im Mainstream der Nationalökonomie. In den "roaring twenties", als sich die Welt sichtbar unter dem Einfluss der industriellen Massenproduktion und der Reklame veränderte, genossen Schumpeters Ideen große Plausibilität.

Dann kam der Börsencrash von 1929 und die große Depression. Der englische Ökonom John Maynard Keynes wies mit seiner General Theory den Weg aus der Krise. Schumpeter, der mittlerweile in Harvard lehrte, reagierte verbittert auf den Erfolg des Kollegen. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Welt "keynesianisch" und Schumpeter wäre wohl nur Fachkreisen in Erinnerung geblieben, wäre da nicht die nächste Wirtschaftskrise gewesen.

In den 1980er Jahren half George Gilder mit, die "Reaganomics" zu definieren, die Wirtschaftspolitik von Ronald Reagan. Diese bestand aus Steuererleichterungen für Unternehmen und Reiche, weitgehenden Abbau des Sozialstaates, sowie forcierte technologische Innovation durch Staatsausgaben im militärischen Sektor - Stichwort “Strategic Defense Initiative”, auch bekannt als Star Wars.

Gilder ging es vor allem um die Frage, wo kommt das Wirtschaftswachstum her? Die Antwort, die Gilder ausgezeichnet ins Konzept passte, lieferte Schumpeter: von den kreativen Unternehmern. Nur durch Innovation kann neues Wachstum entstehen. Auch wenn das kurzfristig für viele Menschen großes Leid verursacht, weil sie z.B. arbeitslos werden, so wird auf lange Sicht durch Innovation der Wohlstand aller steigen, argumentierte Schumpeter.

Gilders, und somit auch Schumpeters Stunde schlug, als mit der Privatisierung des Internet in den frühen 1990er Jahren der Boom der New Economy begann. Plötzlich gab es für Schumpeters evolutionäre Wirtschaftstheorie greifbare Beweise. Das Internet ließ über Nacht neue Business-Imperien entstehen, etablierte Unternehmen wurden als zum Aussterben verurteilte Dinosaurier bezeichnet.

So wurde Schumpeter, mit Gilders Hilfe, zum Theoretiker der Innovation im Internetzeitalter. Wenn Schumpeter heute zusammen mit Friedrich Hayek als heldenhafter Pionier des Neoliberalismus gefeiert wird, so entbehrt das nicht einer gewissen Ironie. Denn eine der wesentlichen Quellen der Inspiration Schumpters war die politische Ökonomie von Karl Marx

Wie Marx glaubte er, dass der Kapitalismus die Bedingungen seines eigenen Endes schaffen würde, nur dass er es anders bewertete. Die fortwährende Innovation würde schließlich eine neue Klasse von Intellektuellen schaffen, die sich mit den kapitalistischen Verhältnissen nicht mehr abfinden und den Sozialismus fordern würden, glaubte Schumpeter. Wie sich das aber genau abspielen würde, könne man nicht sagen: "Bevor die Menschheit in der sozialistischen Hölle schmort oder oder sich im sozialistischen Himmel sonnt, kann es weitere, fürchterliche imperialistische Kriege geben," heißt es am Ende seines Erfolgsbuches “Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie”, geschrieben kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

Text: Armin Medosch, Autor und Medienwissenschafter

Service

Kurz, Heinz D., und Richard Sturn, "Schumpeter Für Jedermann Von Der Rastlosigkeit Des Kapitalismus", Frankfurter Allgemeine Buch