Aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft
Ganz oben
In "Ganz oben - aus dem Leben einer Führungskraft" beschreibt eine deutsche Topmanagerin anonym, wie sie an der Spitze eines Unternehmens mit der Männerwelt zu kämpfen hat. Anonym, weil sie negative Konsequenzen für ihre Karriere befürchtet.
27. April 2017, 15:40
Zitat
"Wie Sie die Akzeptanz der Herren erlangen, müssen Sie mal sehen. Wahrscheinlich werden sich Herr A oder Herr B etwas konsterniert über unsere Entscheidung zeigen, die Stelle mit Ihnen zu besetzen."
Mit diesen Worten beglückwünscht der Vorgesetzte Frau A. zu ihrem neuen Job, den sie sich aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz verdient hat.
Nicht schön, nicht hässlich
Aber, so die Autorin, die Führungsposition hätte sie auch ihrem Aussehen zu verdanken, denn: sie sei keine attraktive Frau mit langen Haaren oder langen Beinen, sondern 1,75 Meter groß, mit kurzen dunklen Haaren, nicht wirklich schlank, nicht wirklich hässlich, aber auch keine klassische weibliche Schönheit. Ein unschätzbarer Vorteil, wie sie betont.
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Das Problem von auffallend schönen Frauen ist es, von den Männern auf den optischen Eindruck reduziert zu werden und bei ihnen andere Wünsche zu wecken, die mit der Tätigkeit im Unternehmen nicht das Geringste zu tun haben. Man sieht in einer sehr schönen Frau ein potenzielles Objekt der sexuellen Begierde und denkt daher bei ihrem Anblick nicht an ihre fachlichen Kompetenzen.
Die Autorin ist überzeugt: hübsche Frauen würden es nur sehr schwer in die Führungsetage schaffen, da sie von Männern lediglich auf das Äußerliche reduziert werden.
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Eine sehr hübsche Frau muss es also schaffen, diesen Gedanken beim Mann quasi zu neutralisieren, indem sie den Fokus des Mannes allein auf die Kompetenzebene zieht. Frauen, deren Schönheit oder Weiblichkeit weder positiv noch negativ auffällt, bei denen sich Männer körperlich nicht herausgefordert fühlen, haben es viel leichter, Karriere zu machen. Sie können sofort ihre Kompetenz in den Vordergrund stellen.
Überzeichnetes Klischee
An dieser Stelle muss man sich erstmals fragen, ob die Autorin hier ein Klischee überzeichnet oder tatsächlich Umgangsformen aus ihrem Unternehmen beschreibt. Denn es wirkt, als ob sie selbst ihren weiblichen attraktiveren Kolleginnen keinerlei Führungsqualitäten zutraue. Und die Autorin beschreibt weiter diskriminierende Prozeduren bei einer Bewerbung für eine Führungsposition. Den Posten einer Frau zu geben, sei mit mehr Risiko verbunden.
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Lässt man sich als Frau auf dieses Spiel ein, lautet die Faustregel: Bis 40 darf ich nicht heiraten, ab 40 muss ich es tun. Wer sich Mitte 30 oder früher traut, wird der baldigen Familienplanung verdächtigt. Damen mit einem herrischen Auftreten will man nicht; was beim Mann noch als Ausdruck von natürlicher Autorität und damit als karrieredienlich interpretiert wird, gilt bei einer Frau als Zeichen sexueller Frustration. Wer keinen abgekriegt habe, so die unter den Männern offen geäußerte Erklärung, reagiere sich nun mal ab durch ein besonders unausstehliches Verhalten. Ist die Kandidatin ganz im Gegenteil besonders nett und menschenfreundlich, riskiert sie, dass man sie wieder mit einem potenziellen Kinderwunsch in Verbindung bringt.
Die Autorin beklagt sich auch über den fehlenden Respekt und das demütigende Verhalten männlicher Kollegen ihr gegenüber. Sie sei zwar Top-Managerin, aber gleichzeitig auch Sekretärin und Mädchen für alles. Aufgaben, die aus Männersicht automatisch Frauen zufallen - wie Protokoll schreiben oder Kaffee organisieren - erledige sie noch immer. Warum, fragt man sich, schreibt die Top-Managerin selbst Protokoll und delegiert das Kaffee holen nicht an jemanden? Sie möchte nicht als "anstrengende Emanze" gelten, schreibt sie.
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Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass ich mich um diese Kleinigkeiten zu kümmern habe. Haben wir einen Beamer dabei für unsere Präsentation Frau A.? In welchem Raum tagen wir eigentlich, Frau A.? Wissen Sie, wie wir heute zum Restaurant kommen, Frau A? Die Herren, von ihren Sekretärinnen im Normalfall mit einem Ablaufplan der Tagung ausgestattet, der so minutiös vorbereitet wurde, dass kein interpretatorischer Rest bleibt, sind völlig hilflos, wenn etwas anders läuft als dort verzeichnet. Versagt das Rundum-Sorglos-Paket an einer Stelle und ist die Sekretärin nicht greifbar, wendet man sich an mich. Weil ich eine Frau bin. Bin ich nicht anwesend, muss der rangniedrigste Mann der Runde herhalten.
Unerwünschte Konkurrenz
Die Motivation der Autorin: Frauen mit Karriereabsichten soll mit dem Buch vor Augen geführt werden, was auf sie zukommt und welche Fehler sie vermeiden sollen.
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Dass Frauen in diesem exklusiven Männerclub grundsätzlich nicht willkommen sind, wird niemanden überraschen. Wer als Frau dort oben ankommt, wird zur unerwünschten Konkurrenz, denn eine weibliche Führungskraft hat ihre Fähigkeiten im Laufe ihrer Karriere mehr unter Beweis stellen müssen als jeder männliche Kollege.
Die Lektüre von "Ganz oben - aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft" lässt einen betroffen, empört, ungläubig und fassungslos zurück. Hat die Autorin eine Zeitreise unternommen? Geht es in großen Unternehmen im Jahr 2012 tatsächlich derart zu? Ist das Wort Gleichbehandlung ein Fremdwort? Gleichzeitig ist es einfach unverständlich, warum sich diese Frau in der Führungsebene nicht versucht, ein bisschen zu wehren, die Macho-Machtspielchen der Männer mitzuspielen. Es wirkt, als wäre ihr die fixe Idee, dass Frauen für Führungspositionen nicht geeignet sind, beim Ausüben ihres Jobs selbst im Weg gestanden.
Service
Anonyma, "Ganz oben. Aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft", C. H. Beck Verlag
C. H. Beck - Ganz oben