Charmantes von Veronique Olmi

In diesem Sommer

"Ich finde die Mitte des Lebens sehr interessant. Man hat Erfahrungen gemacht, man hat sich selbst gefunden, man hatte ein Liebesleben, man hat vielleicht Kinder, man hat vielleicht seinen Beruf gefunden, und man weiß, dass dies die zweite und letzte Hälfte des Lebens ist", sagt Veronique Olmi.

"Aber man hat vieles noch nicht getan und fragt sich: Soll ich etwas verändern oder soll alles beim Alten bleiben?", fährt sie fort. "Darüber wollte ich schreiben - einen vielstimmigen Roman, mit drei befreundeten Paaren, in dem es auch um Rituale geht. Die Paare treffen sich seit 16 Jahren jedes Jahr am 14. Juli in einem Haus am Meer."

Dieses Ferienhaus in der Normandie ist der Schauplatz des neuen Romans von Veronique Olmi mit dem schlichten Titel "In jenem Sommer".

Diesmal ist alles anders

Der Sommer beginnt wie viele andere: Die drei Paare, die Gastgeber Delphine und Denis, Marie und Nicholas sowie Lola und ihr neuester Liebhaber Samuel, wollen das Wochenende genießen - bei gutem Essen, noch besserem Wein und vertraut dahinplätschernden Gesprächen. Aber diesmal ist alles ein wenig anders: Delphine und Denis stehen kurz vor der Trennung, Delphine vergnügt sich mit Liebhabern, Denis verschwindet manchmal wochenlang in der Wüste, wo er die Einsamkeit sucht.

Die Schauspielerin Marie leidet unter ihrem Alter und kann sich nicht damit abfinden, dass ihr plötzlich Großmutterrollen angeboten werden, ihr Mann, der Geschichtslehrer Nicholas, kämpft mit Depressionen. Und die ehemalige Kriegsreporterin Lola tändelt mit Samuel, der seinerseits wild entschlossen ist, sie zu heiraten und in den Freundeskreis aufgenommen zu werden. Die Atmosphäre ist also spannungsgeladen und Veronique Olmi lässt es unter der vorerst noch friedlichen Oberfläche gehörig brodeln:

"Ich denke, wir sind alle gewöhnt daran, wie kleine Soldaten zu marschieren, guten Willen zu zeigen, weiterzumachen. Aber auf die gleiche Weise behandelt man auch die Dinge, über die man nicht sprechen will, die man vergessen möchte, die Schuld, die an uns nagt, über die man den Mantel des Schweigens breitet. All das ist in uns, doch es kommt die Zeit, wo es an die Oberfläche steigt. Ich untersuche diese Neurosen, von denen man gedacht hatte, man hätte sie beiseitegeschoben, und so sind es eigentlich keine Neurosen, sondern richtige psychische Defekte, die mit uns gewachsen sind."

Verwirrender Dimitri

Dann taucht plötzlich am Strand ein Junge namens Dimitri auf, der mit Delphines Tochter Jeanne flirtet. Dieser Dimitri hat etwas Beunruhigendes an sich, auch wenn er auf den ersten Blick wie ein ziemlich normaler Teenager wirkt.

Die Freunde sind verunsichert. Dimitri scheint allzu viel über sie zu wissen und sorgt mit seiner bloßen Anwesenheit dafür, dass unangenehme Fragen an die Oberfläche kommen - Fragen nach der Vergangenheit jedes einzelnen und danach, wie es weitergehen soll, eben jene Fragen, die in der Mitte eines jeden Lebens irgendwann auftauchen:

"Man beginnt, Freunde zu beerdigen, Eltern, Onkel und Tanten, manchmal auch viel jüngere Menschen, und man weiß, das ist unvermeidbar. Diese Erfahrung kann schwindelerregend sein. Man sagt sich, ich muss jetzt etwas lernen, ich muss etwas annehmen, da steigert man sich in einen richtigen Furor hinein. Man weiß ja nicht, geht es um das Leben um die kleinen oder großen Dinge? Ich habe darauf keine Antworten, aber das sind essenzielle und fundamentale Fragen."

Der Fluss der Zeit

Bei all dem bleibt Olmis Prosa jedoch immer leichtfüßig und leuchtend wie ein Sommernachmittag und vermeidet es, ins Melancholische zu kippen. Denn die nostalgisch-wehmütige Rückschau ist der französischen Autorin ein Gräuel - sie hat ihre eigene Vorstellung vom Fluss der Zeit:

"Für mich ist die Zeit nichts Unveränderliches. Vielleicht existiert die Vergangenheit nur, wenn ich daran denke, vielleicht spielt sich die Vergangenheit meiner Großeltern zur gleichen Zeit ab wie mein Leben... Ich glaube, die Zeit schreitet nicht von Punkt A nach Punkt B, es ist sehr viel komplexer. Die Zeit ist etwas Flexibles, etwas Flüssiges, man schreibt in einem Fluss und ich denke, die Lebenden und die Toten existieren gemeinsam."

Spritzig, elegant und französisch

Im Lauf des Romans nehmen die unterschwelligen Spannungen stetig zu. Marie klammert sich an Nicholas, der sich seinerseits von Dimitri verfolgt fühlt, die Entfremdung zwischen Delphine und Denis wird immer deutlicher, Lola schlägt sich mit einem Geheimnis aus ihrer Vergangenheit herum und Samuel bereitet seinen Heiratsantrag vor, während Jeanne und ihre Freunde ihre eigenen Wege gehen.

Meisterhaft versteht es Veronique Olmi, sich in die Psyche ihrer Charaktere zu versetzen, und das gilt für die weiblichen ebenso wie für die männlichen Figuren:

"Ich wollte befreundete Paare und Liebespaare darstellen, aber auch Freundschaften unter Männern, diese etwas raueren und vitaleren Freundschaften, die sich bei Zigarren und Alkohol abspielen, oder beim Sport. Ich wollte diese gegenseitige Angst zeigen, die Männer haben, dass nämlich Frauen, wenn sie unter sich sind, über Männer sprechen und umgekehrt, und ich wollte zeigen, welche unterschiedliche Arten sich auszudrücken und sich zu offenbaren in solchen Strukturen existieren."

Spritzig ist der Roman geworden, elegant und sehr französisch. Ein schweres Unwetter läutet schließlich das Finale ein und als die Wolken abziehen, ist alles ein bisschen anders als zuvor. Vor der Kulisse des kleinen Badeorts in der Normandie stellt die Autorin die großen Fragen nach dem Lauf der Zeit und sie tut das auf so charmante Art, dass man erst am Schluss realisiert, was für ein kluges Buch man da gerade gelesen hat.

Service

Veronique Olmi, "In diesem Sommer", aus dem Französischen übersetzt von Claudia Steinitz, Verlag Antje Kunstmann

Kunstmann - In diesem Sommer