Bibelkommentar zu Lukas 4, 1 - 13
Am Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu ist von allen drei synoptischen Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas die Versuchung Jesu überliefert. Während sie im Markus-Evangelium in nur zwei Versen erwähnt wird, erzählen Matthäus und Lukas ausführlicher.
8. April 2017, 21:58
Zahlreich sind die Deutungen, welchen Versuchungen Jesus am Anfang seines Weges ausgesetzt ist. Es geht wohl um die Versuchung von Macht und Konkurrenz, sich gegenüber anderen Menschen hervorzutun, sich gegen andere Menschen abzuheben, etwas Besseres zu sein. Es geht um die Versuchung, besitzen und bestimmen zu wollen, oder mit „Gott“ und „Religion“ Macht auszuüben. Es ist von der Versuchung die Rede, sich zu beugen vor der Macht anderer. Es geht um die Versuchung, nicht wirklich Mensch sein zu wollen, die eigene Sterblichkeit auszublenden. Gier und Hochmut und Selbstüberschätzung, Konkurrenz und Neid – die Versuchungen sind zahlreich, die Menschen seit jeher einschränken...
Der Abschnitt endet damit, dass Jesus widerstanden hat, dass er sich den Versuchungen gestellt und sie durchgetragen hat. Er ist nicht davor zurückgeschreckt, auch Jesus – das betont die Bibel – musste sich am Beginn seines Weges mit solchen Anfechtungen auseinandersetzen und standhalten.
Natürlich kann ich die Frage nicht ausblenden, wo meine „Versuchungen“ liegen, meine Korrumpierbarkeit, meine Angst, meine Verletzbarkeit, die mich agieren lässt...? Die Selbstüberschätzung oder die Geringschätzung meiner selbst – und wie sie alle heißen, meine Versuchungen. Meine Tricks, mich der Endlichkeit, der Sterblichkeit nicht zu stellen. Meine Mechanismen, nicht vertrauen zu müssen, sondern alles im Griff haben zu wollen, mich auf niemanden verlassen zu müssen, auch auf „Gott“ nicht, als Urgrund, als Gegenüber – oder wie immer Menschen Gott erfahren können. Auch die Anstrengung, immer jung und gesund sein zu sollen, kann eine Versuchung sein. Oder die übersteigerten Anstrengungen, alles „richtig“, alles „perfekt“ machen zu wollen. Oder vielleicht liegt gerade darin die Versuchung, die eigenen Versuchungen nicht sehen zu wollen?
Im liturgischen Taufversprechen bekennen Christinnen und Christen zuerst die Absage: "Ich widersage". Zuerst gilt es, den Versuchungen zu widerstehen und Neinsagen zu lernen gegen all das, was Leben behindert, was verführt, mich selbst zu überschätzen, oder mich zu unterschätzen. Dann kann ein Mensch Ja sagen – zu all dem, was Glück und Liebe und Leben ... ausmacht.
Der eben gehörte Abschnitt im Lukasevangelium zeigt auch einen Weg für den Umgang mit den Versuchungen. Stille kann helfen, sich den Anfechtungen zu stellen, außerhalb der alltäglichen Belastungen werden diese Stimmen hörbarer, die mich auf meine Verführbarkeit aufmerksam machen. Den Anfechtungen, dem „Diabolos“, auf Deutsch dem „Durcheinanderwirbler“, kann ich nicht wirklich entkommen. Denn Anfechtungen gehören zum Menschsein, diese Einreden, innere Stimmen und äußere Botschaften, die mich durcheinander bringen, die mich in Frage stellen, die mir Angst machen, die mich verwirren. Und sogar die tröstlichen Zusagen in der Bibel der Juden und der Christen können zur Versuchung werden, wenn ich sie missbräuchlich verwende.
Ich denke, beides gehört zu den Möglichkeiten des Menschen: Die Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen, Versuchung und Standhalten, Zuwendung und Zerstörung. Jesus zeigt, dass es möglich ist, den Versuchungen standzuhalten. Zahlreiche Menschen nach ihm haben standgehalten und haben der Gewalt Menschlichkeit entgegengesetzt, haben Klarheit gegen das Verschleiern, gegen Unwahrheit und Korruption gesetzt, haben im entscheidenden Moment „nein“ gesagt, obwohl ein „Ja“ Vorteile gebracht hätte… Immer wieder haben Menschen standgehalten. Ich möchte das von mir selbst auch sagen können: Ich habe – manchmal wenigstens – standgehalten, ich bin mir – hoffentlich meistens – treu geblieben – auch wenn es einen Preis kostet.