Russland: Justiz bestraft Regimegegner

Wie demokratisch ein Land wirklich ist, zeigt sich daran, wie seine Gerichte funktionieren. Ein Beispiel dafür ist Russland unter Wladimir Putin, das am Papier und laut Verfassung ein demokratischer Staat ist. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus: Andersdenkende und Gegner des Regimes werden bestraft.

Morgenjournal, 16.02.2013

Angeklagt wegen Mahnwache

Ein großer Gitterkäfig gehört zur Grundausstattung jedes Gerichtssaales in Russland - in Strafverfahren werden die Angeklagten während des Prozesses darin eingesperrt. Philip Zukanov darf draußen sitzen, da er nur wegen einer Verwaltungsübertretung vor Gericht steht. Doch der Gerichtsdiener mit grimmiger Miene und schusssicherer Weste gibt zu verstehen, dass mit der Justiz nicht zu spaßen ist. Zukanov wurde wegen Verstoßes gegen das Versammlungsverbot festgenommen. Er hatte vor der Duma gegen das Gesetz protestiert, mit dem die Adoption russischer Waisenkinder durch Amerikaner verboten wird. Ganz nach den russischen Regeln in Form einer Mahnwache: Alleine mit einem Plakat, der nächste Demonstrant mindestens 50 Meter entfernt - jede andere Form des Protest müsste von den Behörden genehmigt werden: "Ich konnte nicht zuhause sitzen, denn dieses Gesetz ist verfassungswidrig, schadet den Waisenkindern und widerspricht jeder Form von europäischem Rechtsempfinden und Moral."

Fernsehsender hat Festenahme gefilmt

Doch obwohl Philip Zukanov angibt, sich an die strengen Regeln des Versammlungsgesetzes gehalten zu haben, wurde er festgenommen. Als Zeuge wird der Polizist vorgeladen, der die Verhaftung durchgeführt hat. Doch er kann sich an nichts erinnern: nicht an das Datum, die Uhrzeit, die näheren Umstände, nur daran, dass Zukanov gemeinsam mit 50 Anderen protestiert hat. Jetzt spielt Zukanovs Anwalt Dmitrij Durobin seine Trumpfkarte aus: Ein russischer Fernsehsender hat die Festnahme gefilmt, und das Video zeigt, dass der geladene Polizist bei der Verhaftung nicht teilgenommen hat, dass die Verhaftung an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit stattgefunden hat, als im Protokoll angegeben, und dass rund um Zukanov weit und breit kein anderer Demonstrant zu sehen ist. Die festnehmenden Polizisten haben außerdem gegen die Regeln verstoßen, die bei einer Festnahme zu beachten sind.

"Russland ist kein Rechtsstaat"

Der Zeuge bleibt bei seiner Aussage. Die Richterin blickt nur kurz gelangweilt von ihrem Tisch auf, schaut das Video gar nicht erst richtig an und zieht sich dann zurück, um das Urteil auszufertigen. Anwalt Durobin gibt sich keinen Illusionen hin: "Die Richter hören die Argumente natürlich und verstehen sie auch, aber sie hängen von ihren Vorgesetzten ab, die ihnen klare Anweisungen gegeben und im Fall des Falles jedes Urteil aufheben können. Russland ist eben kein Rechtsstaat, auch wenn es auf internationaler Ebene gerne so tut als wäre es einer."

Zukanov will Urteil anfechten

Die Richterin verliest das Urteil, leise, rasend schnell, kaum zu verstehen. Zukanov und seinen Anwalt würdigt sie dabei keines Blickes: 20.000 Rubel Strafe, umgerechnet 500 Euro, etwa die Hälfte eines durchschnittlichen Monatslohns. Bis auf den Namen unterscheidet sich das Urteil nicht von denen der anderen 13 Personen, die bei der Aktion festgenommen wurden, copy-paste, meint Anwalt Durobin bitter: "Mir tut es sehr leid, dass mein Land so heruntergekommen ist, die Grundrechte nicht beachtet werden und die Justiz zu einem Apparat verkommen ist, um Andersdenkene aus der Gesellschaft auszuschließen", meint Philip Zukanov. Er will das Urteil auf jeden Fall anfechten, wenn nötig bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg - bis es dort zu einer Entscheidung kommt, können allerdings Jahre vergehen.