Philosoph Odo Marquard wird 85
Der deutsche Philosoph Odo Marquard gehört zu den einflussreichsten Vertretern der modernen Skepsis. In seinen Werken hat er immer wieder das Hohelied des Pluralismus gesungen. Sein politisches Denken kreist um die Frage: Welche Bedeutung kann der Begriff "bürgerlich" in Zeiten der modernen Massendemokratie noch haben? Am 26. Februar feiert Odo Marquard seinen 85. Geburtstag. Zum Jubiläumstag erscheinen im Reclam-Verlag zwei seiner neuen Arbeiten.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 20.2.2013
Odo Marquard weiss, dass er nichts weiß: "Unser Leben ist zu kurz, um absolute Positionen erreichen zu können."
Von seinem zwölften Lebensjahr an musste Odo Marquard, Jahrgang 1928, eine sogenannte "Adolf-Hitler-Schule" besuchen, ein nationalsozialistisches Elite-Internat für den künftigen Führungsnachwuchs des "Dritten Reichs". Seine Erfahrungen in den "Ordensburgen" der Nazis haben Odo Marquard zum überzeugten Relativisten und Anti-Totalitaristen gemacht. Seine ganze Philosophie - eine Philosophie der Skepsis - läßt sich verstehen als Absage an alles Eindeutige, Totale, Prinzipielle: "Ich sage ab und zu: Skeptiker sind nicht die Professoren der Ratlosigkeit, sondern Skepsis ist der Sinn für Gewaltenteilung."
Odo Marquards philosophische Essays, in ihrer Mehrzahl im Reclam-Verlag erschienen, verbinden stilistische Eleganz und hintersinnigen Humor mit dem Humanismus des relativistischen Aufklärers. Seinen Anhängern gilt Marquard als einer der brillantesten Stilisten der deutschen Nachkriegsphilosophie: "Philosophie muss von der Art sein, dass zumindest der Autor sie versteht", hat der Ironiker aus Gießen einmal postuliert. Marquard selbst bezeichnet sich als "Transzendentalbelletrist" - und als Angehörigen der "Skeptischen Generation".
"Die Skeptiker sind gar nicht die, die prinzipiell nichts wissen; sie wissen nur nichts Prinzipielles", notierte Marquard in einem der für ihn typischen Bonmots.
Im Zentrum des Marquardschen Denkens steht der Mensch als Mängelwesen. Seine limitierte Lebenszeit ermöglicht es dem Menschen nicht, philosophische Fragen letztgültig zu beantworten. Davon ausgehend entwickelt der Gießener Philosoph nicht nur seine "kompensatorische Philosophie", sondern auch sein "Lob des Polytheismus" und der Gewaltenteilung sowie seine "Apologie der Bürgerlichkeit". Kritiker haben Marquard vorgeworfen, er habe den Konservativismus in Deutschland fit für die Postmoderne gemacht.
Marquard selbst sieht sich eher als Apologet des Bürgerlichen: "Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die bürgerliche Gesellschaft zu verteidigen wichtig ist. Und dass wir es uns nicht leisten können, Bürgerlichkeitsverweigerung in großem Stil zu unterstützen."
Odo Marquard zum Thema "bürgerlich"
"Die Apologie der Bürgerlichkeit verteidigt die Mitte, auch und gerade die politische Mitte. Denn die liberale Bürgerwelt bevorzugt - gut aristotelisch - das Mittlere gegenüber dem Extremen, die kleinen Verbesserungen gegenüber der großen Infragestellung, das Alltägliche gegenüber dem 'Moratorium des Alltags', das Geregelte gegenüber dem Erhabenen, die Ironie gegenüber dem Radikalismus, die Geschäftsordnung gegenüber dem Charisma, das Normale gegenüber dem Enormen, kurzum: die Bürgerlichkeit gegenüber ihrer Verweigerung."
Seinen 85. Geburtstag begeht Odo Marquard in seiner Heimatstadt Gießen in aller Zurückgezogenheit. Die Fans des deutschen Philosophen beglückt der Reclam-Verlag mit zwei neuen Essaybändchen des Jubilars, einem zum Thema "Existenzphilosophie" und einem zum Thema "Altern". Titel: "Endlichkeitsphilosophisches".