Dokumentation "Narco Cultura"

Seit vielen Jahren wogt in Mexiko ein brutaler Drogenkrieg und der hat seit Beginn im Jahr 2006 bereits 60.000 Menschenleben gefordert. So grausam der Konflikt geführt wird, so skurrile Begleiterscheinungen bringt er mit sich.

So hat sich eine eigene Musikrichtung entwickelt, die Narcocorridos, in der die Gräueltaten der Drogenkartelle besungen werden. Von Sturmgewehren und Panzerfäusten ist da die Rede, von abgeschnittenen Köpfen und kugelsicheren Westen, und im Refrain heißt es, wir sind gut im Kidnappen und lieben es zu töten.

Narco Cultura

(c) Saul Schwarz

Kulturjournal, 19.02.2013

Der amerikanische Journalist Shaul Schwarz hat jahrelang den mexikanischen Drogenkrieg beobachtet und dokumentiert. Zuerst als Fotograf und dann als Filmemacher. In seiner Dokumentation "Narco Cultura" begleitet er einen Narcocorrido-Sänger bei seinen Auftritten in den USA und einen mexikanischen Polizeibeamten bei seinen Ermittlungen in Ciudad Juárez, einem der Zentren der Drogenkriminalität und Gewalt. Letzte Woche hat Shaul Schwarz seinen Film bei der Berlinale präsentiert.

Wolfgang Popp: Shaul Schwarz, könnten Sie kurz erklären, um welche Art von Musik es sich bei Narcocorridos handelt? Das klingt ja wie Polka, die Texte scheinen aber außerordentlich brutal zu sein?
Shaul Schwarz: Corridos gibt es schon eine ganze Weile, aber jetzt treten einige Gruppen auf, die extrem gewalttätige Songs spielen. Gewöhnlich haben solche Bands Beziehungen zu einem Drogenkartell und viele Sänger werden von den Drogenhändlern tatsächlich beauftragt, eine Nummer zu schreiben. Die Texte werden von den Drogenhändlern genehmigt, bevor sie aufgenommen werden. Diese Songs sind also nichts anderes als akustische Visitenkarten dieser Drogendealer.

Ich habe zwei Jahre lang als Journalist den Drogenkrieg und die Gewalt in Mexiko beobachtet und so viel Tod und Leid fotografiert, dass ich nicht verstehen konnte, wie Menschen, die so nahe am Geschehen dran waren, nicht nur blind sein konnten gegenüber dieser Gewalt, sondern sie auch noch feierten. Ich war unglaublich wütend, aber als Journalist wollte ich verstehen, warum diese Drogenhändler in dieser Kultur für die Robin Hoods der Gesellschaft gehalten wurden.

Sie zeigen zum einen das kulturelle Phänomen, also diese Musik, und zum anderen die Stadt Ciudad Juarez als Zentrum der Gewalt. Was ihr Film jedoch nicht anbietet, sind Lösungsvorschläge für diesen Drogenkrieg.
Weil es in Wirklichkeit keine einfache Lösung gibt. Es handelt sich ja um ein Problem, dem Mexiko und die USA schon seit geraumer Zeit gegenüberstehen. Als 2006 Felipe Calderón mexikanischer Präsident wurde, rief er den Kampf gegen die Drogenkriminalität aus. Er setzte dazu das Militär ein und bekam die Unterstützung der Bush-Regierung. Als Obama US-Präsident wurde, wurden die Geldmittel zur Unterstützung dieses Kampfes noch einmal verdoppelt.

Als diese Kampagne losging, hörte sich alles noch nach einer guten Idee an, doch dann entwickelten sich die Dinge immer schlimmer. Und trotzdem die Grenze streng überwacht wurde, waren Drogen in den USA genauso einfach zu bekommen wie zuvor und um denselben Preis wie zuvor. Die Kampagne hatte aber nicht nur keine Früchte getragen, es hat in den letzten sechs Jahren auch 60.000 Tote gegeben in diesem Drogenkrieg. Es ist aber keines der Kartelle zusammengebrochen und nicht ein großer Drogenboss ist hinter Gitter gewandert. Da versteht man dann auch, warum die Jugendlichen meinen, die Bösen hätten diesen Krieg gewonnen. Wir müssen also einsehen, dass die bisher gefahrene Strategie falsch war.

Dann gibt es aber noch einen zweiten Punkt: Alle Waffen in diesem Konflikt, sowohl auf Seiten der mexikanischen Armee, als auch auf Seiten der Drogenkartelle, stammen aus den USA. Darüber spricht keiner und es gibt auch keinen ernsthaften Versuch, das zu beenden. Mexikos Expräsident Calderón hat einmal gemeint, es sei nicht einfach, der Nachbar des größten Drogenabhängigen der Welt zu sein. Die Obama-Regierung war darüber verärgert, aber ich muss ihm Recht geben.

Die USA nennt diesen Konflikt den mexikanischen Drogenkrieg, aber wenn man 50 Milliarden Dollar pro Jahr investiert, wenn man die Drogen kauft und die Waffen für den Kampf bereitstellt, dann ist es wohl auch der Drogenkrieg der USA.

Was halten Sie vom Versuch Calderóns, die Narco-Kultur als Verherrlichung der Gewalt zu verbieten?
In den meisten mexikanischen Bundesstaaten sind die Lieder, die im Film vorkommen, verboten. Sie dürfen nicht in den öffentlichen Medien verbreitet werden, also weder im Fernsehen noch im Radio gespielt werden. Die Verbreitung hält man dadurch nicht auf, weil es ja noch immer das Internet gibt, das sich nicht so leicht kontrollieren lässt. Ich halte das auch nur für eine billige Kampagne. Um das Problem zu lösen, dürfen wir die Leute nicht zwingen, was sie denken sollen, sondern wir müssen verstehen, warum sie so denken. Wir müssen überlegen, wie wir die Jugendlichen überzeugen können, dass die Drogenhändler nicht die Robin Hoods, sondern das Krebsgeschwür des Landes sind.

Wie waren denn die Dreharbeiten in einer so gefährlichen Stadt wie Ciudad Juárez?
Es gab da eine Menge kleiner Regeln, die wir einhalten mussten. Zum Beispiel blieben wir nie lange an einem Ort. Nach Ciudad Juárez sind wir sicher zwanzig Mal gefahren, aber nie länger als eine Woche geblieben. Zweimal wurden wir aufgefordert zu verschwinden und das haben wir auch sofort gemacht. Man muss einfach akzeptieren, dass man dort völlig schutzlos ist und niemanden verärgern darf.

Überraschenderweise bekamen wir aber sehr offenen Zugang zu den Vorgängen vor Ort und zu den Musikern, die schließlich auch den Kontakt zu den Drogenhändlern herstellten. Geholfen hat uns sicher, dass wir ganz klar gesagt haben, wer wir sind und was wir vorhaben. Und dann war uns auch ganz genau bewusst, was wir fragen durften und was nicht. Die mexikanischen Ermittler haben wir zwei Jahre lang begleitet und sie haben uns vertraut und trotzdem hätten wir sie nie über konkrete Mordfälle ausgefragt. Das war nicht Ziel unseres Films und es wäre auch gar nicht möglich gewesen, dort als Aufdeckungsjournalisten zu arbeiten, weil wir und die Beamten da ganz schnell zum Ziel der Kartelle geworden wären.

Auch als wir die Drogenhändler trafen, bekamen wir vieles zu sehen, das wir aber nicht filmten. Sie schienen im Moment zwar nichts dagegen zu haben, wenn sie später ihre Meinung geändert hätten, wären wir aber dran gewesen. Sie boten an, uns in ihre Drogenlabore zu führen und noch vieles andere, das wollten wir aber alles nicht.

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