Warum die neuen Medien unsere Demokratie bedrohen

Wir klicken uns um Freiheit und Verstand

Facebook ist ein soziales Netzwerk. Menschen auf der ganzen Welt - Facebook hat mittlerweile mehr als eine Milliarde Mitglieder - tauschen sich darüber aus, verabreden sich, zeigen ihre Bilder, sprechen über Hobbys, Vorlieben, Bekanntschaften.

Facebook: Das ist mehr als ein soziales Netzwerk - ein milliardenschweres, börsennotiertes Unternehmen, bei dem es um Kommunikation und Kommerz geht. Die Facebook-Betreiber wissen viel über die Facebook-Nutzer, sie sammeln riesige Datenmengen - und machen das Netzwerk auch für die Geschäftswelt attraktiv. Denn Facebook pflegt ein sehr laxes Verhältnis zum Datenschutz.

Mit Füßen getretener Datenschutz

Max Schrems war drei Jahre lang bei Facebook, als er wissen wollte, welche Informationen über ihn gespeichert sind. Zunächst musste er ein Formular ausfüllen, so gut versteckt, dass es kaum zu finden war. Doch auch dann wollte man nicht mit den Daten herausrücken. Erst als der Wiener Jurastudent mit einer Beschwerde beim irischen Datenschutzbeauftragten drohte, der für das Unternehmen in Europa zuständig ist, und sich auf die Europäische Datenschutzrichtlinie berief, laut der jedem EU-Bürger "frei und ungehindert (...) ohne unzumutbare Verzögerung" die über ihn gesammelten Informationen zustehen, erst da erhielt er seine Daten: ein Dokument auf CD, das ausgedruckt mehr als 1.200 Seiten ergeben hätte.

Gespeichert war nicht nur, was er wann online gestellt hatte, sondern auch, mit wem er in Verbindung stand inklusive Ortsangaben sowie Daten, die er auf seiner Seite längst gelöscht hatte. Max Schrems verfasste 22 Anzeigen bei der irischen Datenschutzbehörde, um Facebook zum Löschen zu zwingen, und gründete die Initiative "Europe versus Facebook" - um herauszufinden, was mit den Daten tatsächlich passiert, und das weltweit größte soziale Netzwerk zu zwingen, sich an geltendes Recht zu halten. Europa gegen Facebook - das klingt nach David gegen Goliath: mühsam, aber nicht hoffnungslos.

"Ich muss sagen, Herrn Schrems habe ich bewundert", so Frank Meik im Gespräch, "der einfach nicht locker gelassen hat. Das ist auch ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass es Menschen gibt, die wirklich wissen wollen, was geschieht. Und Schrems ist eigentlich das beste Beispiel dafür, dass man sich wehren kann."

Facebook ist für den Medienexperten Frank Meik ein Musterbeispiel für das, was er eine "Webkrake" nennt, wie Google oder Amazon: ein gieriges, immens schnell wachsendes Unternehmen, das kleinere Firmen verschlingt, seine Macht im Netz ausspielt und alles dem Gewinn unterordnet: Transparenz, Fairness, geltendes Recht:

"Der ganze Datenschutz, der bei uns doch einen sehr guten Stellenwert hat, wird ja mit Füßen getreten", so Meik. "Der ganze wettbewerbsrechtliche Bereich, der Urheberschutz, wird mit Füßen getreten. Steuerrecht interessiert die Kraken gar nicht. Regulierung kennen die Kraken nicht. Alles, was wir in unserer Rechtsordnung haben und was Grundpfeiler unserer Rechtsordnung sind, spielt dort keine Rolle."

Düsteres Bild der Medienlandschaft

"Wir verblöden": Mit diesem Satz beginnt und endet Frank Meiks kleines Buch, das ein düsteres Bild unserer Mediengesellschaft zeichnet und ein noch düstereres Zukunftsszenario entwirft, um zuletzt doch ein paar Vorschläge vorzubringen, wie die sich abzeichnende Entwicklung noch korrigiert werden könnte. Wir verblöden, weil wir diesen "Webkraken" ausgeliefert sind, "die unsere Wahrnehmung steuern", die ein Internet dominieren, das seriösen Journalismus durch seichte Unterhaltung ersetzt, und damit unsere Urteilsfähigkeit schmälern, die "Fähigkeit zum Diskurs".

Die Medien verlieren durch ihre Verflachung auch ihre Aufklärungs- und Kontrollfunktion, sie sind nicht mehr die "vierte Gewalt" im Staat, sie leisten keinen Beitrag mehr zur Bildung einer kritischen Öffentlichkeit.

"Wir können noch unterscheiden, was eine Boulevardzeitung und was eine Qualitätszeitung ist", meint Meik. "Aber ich frage Sie: Kann das ein Schüler in der achten Klasse? Kann das jemand, der permanent über Facebook Informationen bekommt? Der permanent bei RTL nur Soaps hört und liest? Wir müssen in der Lage sein, Sachverhalte zu erkennen, zu analysieren, aber auch zuzuordnen. Welche Bedeutung haben sie, wie wirken sie sich aus, wie sind die Folgen von Entwicklungen. Wenn wir das nicht mehr lernen, dann wird unser Denken sehr vereinfacht. Das ist mit dem Verblöden gemeint. Wir sind zwar in der Lage, bei Google alles zu finden. Aber selber denken ist noch was ganz anderes."

Eine Gesellschaft gläserner Menschen

Die klassischen Medien wie die Tageszeitungen seien der Grundpfeiler unserer Demokratie, sagt Meik: unabhängig, unbequem, investigativ. Gängiger Internet-Content ist das Gegenteil davon: "Gratis-Info-Häppchen" statt gut recherchierter Information. Qualitätsjournalismus gerät ins Hintertreffen. Die "Webkraken" haben schließlich anderes im Sinn: Sie bauen das Netz in einen Verkaufsshop um.

"Am Anfang sagte Google, wir sind ja nur eine Technologie. Später hieß es, wir sind so ähnlich wie ein Katalog oder ein Lexikon. Aber Google war von Anfang an ein Medium, das letztlich Werbung vermarktet hat. Damit haben sie auch die ganz großen Erlöse erzielt", sagt Meik. "Heute expandiert Google in andere Bereiche. Wir werden noch erleben, dass sie den ganzen Handel angehen mit dem, was sie anbieten. Und wir werden eine Durchdringung dieser Webkraken in allen anderen Bereichen haben."

Daten werden ohne unser Wissen und unsere Einwilligung an Dritte weitergegeben, Informationen werden miteinander verknüpft, Nutzerprofile erstellt, Konsumgewohnheiten analysiert, Privatsphären ausspioniert. Wir sind längst auf dem Weg zu einem Überwachungsmoloch (dank der "Webkraken"), zu einer Gesellschaft gläserner Menschen.

"Von uns kennt heute die Suchmaschine Google - oder auch Facebook und Amazon - so viel, was wir machen, was wir wollen, was wir tun, mit wem wir uns bewegen, wo wir uns hinbewegen, dass wir das gar nicht vergegenwärtigen, weil wir überhaupt noch ganz anders leben", sagt Meik. "Wir leben immer noch in dem Traum und der Illusion, dass wir uns bewegen können, wie wir wollen, wir kaufen das, was wir wollen, wir sind die freien Entscheider aller Dinge. Dabei werden wir schon längst gescannt, abgeprüft, alles, was wir machen, wird hinterlegt, ausgewertet, es gibt Profile von uns... Wir sind viel näher an dem, was man Robotisierung oder Mechanisierung nennt, als an dem, was wir als Menschen untereinander schätzen und mögen."

Dem Webkraken Einhalt gebieten

"Die Lage ist ernst", menetekelt Frank Meik. "Wenn wir morgen noch in Frieden und Freiheit leben wollen, müssen wir heute anfangen, den Webkraken Einhalt zu gebieten", fordert er. Wir bräuchten eine "geistige Bewegung, die unsere Freiheit bewahrt" - ein unabhängiges Kontrollkomitee, ein neues Abgabensystem, ein "klügeres Medienrecht", eine Qualitätskontrolle der Medien via "Schwarmintelligenz", Transparenz der Unternehmen statt Transparenz der Nutzer, offene Geschäftsmodelle und "Regel-Netze für Kraken".

"Es ist ja nicht so, als hätten wir kein Urheberrecht, kein Wettbewerbsrecht, kein Kartellrecht, kein Steuerrecht und keine Regulierung - wir haben sie", so Meik. "Aber sie gelten für die Webkraken nicht, weil die in den USA sitzen oder in einer Teiloase in Irland. Und weil Google ausweist, dass sie hier in Deutschland ungefähr 150 Millionen Umsatz machen - sie machen tatsächlich aber ungefähr 1,8 Milliarden, weil sie bestimmte Dinge nach den USA schiffen und zurück. Das heißt, die Webkraken sitzen nicht nur im Dunkeln, sie spielen auch mit ihren langen Armen. Und irgendwie kriegen wir sie nicht zu fassen."

Deshalb wäre es vonnöten, ein europaweites Netz von Regeln zu etablieren, denen die Hightech- und Internetgiganten nicht entgehen können. Das sei das eine. Das andere sei: einen besseren Einblick zu vermitteln in die Möglichkeiten und Risiken der digitalen Medien, ein neues Bewusstsein zu schaffen gerade bei den jungen Menschen, meint Meik: "Da sind eigentlich auch alle Bildungspolitiker gefordert, nicht nur zu rufen, wir sind online, hurra, wir nutzen die Computer. Die Lehrer müssen auch vermitteln, was sind Qualitäten, welche Dinge finde ich, wie gehe ich damit um? Und es muss auch ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden, dass nicht alles das, was vermeintlich umsonst ist, gut ist, weil es umsonst ist. Sondern dass man sich fragt, was kostet es denn? Letztlich zahlen wir mit unseren Daten, mit unserer eigenen Persönlichkeit und letztlich auch mit unserer Freiheit."

Streitschrift wider Google, Facebook und Co.

"Wir klicken uns um Freiheit und Verstand" ist eine schmale Kampfschrift wider die obsolete, unkontrollierte, rasant expandierende Macht von Google, Facebook und Co. und eine Warnung vor ihren Folgen: der Gefährdung von Freiheit und Demokratie. Vieles von dem, was Frank Meik anführt, ist längst bekannt, vieles wird plakativ formuliert, manches hätte man sich ausführlicher und genauer gewünscht. Wie sollte ein faires Abgabensystem bzw. eine "Medienumlage" aussehen, welche Kompetenzen bräuchte eine kontrollierende Institution, was kann der Verbraucher dazu beitragen, dass er nicht Spielball einer unlauteren Geschäftswelt wird? Hat er nicht selbst Facebook zu dem gemacht, was es heute ist, und die Banalisierung von Kommunikation und Information mitzuverantworten?

Dem Autor ist bewusst, dass sein Buch weder eine alle Aspekte umfassende Darstellung der aktuellen Medienlandschaft liefert, noch eine detaillierte Ausformulierung von Lösungsvorschlägen, eher einen ernsten Weckruf voller Eifer und Skepsis.

Frank Meik wird das Thema nicht ad acta legen, er spricht davon, ein zweites Buch darüber zu schreiben, aber auch ein europäisches Forschungsinstitut für Digitalisierung und Gesellschaft aufbauen zu wollen - und kann nicht verstehen, warum sich so wenig Bürger gegen die Willkür der Webkraken zur Wehr setzen. So wie der mittlerweile berühmte Max Schrems, der Herausforderer von Facebook, dessen Kampagne wohl mehr bewirken wird als Frank Meiks kleine Schrift.

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Frank Meik, "Wir klicken uns um Freiheit und Verstand. Warum die neuen Medien unsere Demokratie bedrohen", Murmann Verlag

Murmann Verlag - Wir klicken uns um Freiheit und Verstand

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