Eilfried Huth und seine Frau

Eilfried Huth und seine Frau - ORF/ANNA SOUCEK

Stadt Ragnitz - Eilfried Huth

Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Zersiedelung im ländlichen Raum und Ausdehnung der Städte - das sind Phänomene, die in der Architektur und im Städtebau heute häufig diskutiert werden. Und schon in der 1960er Jahren waren das Themen, mit denen sich junge Architekten befasst haben und mit utopischen Entwürfen reagiert haben.

  • Modell für Wohnsiedlung

    Modell von "Stadt Ragnitz"

    (c) Anna Soucek

  • Pläne

    (c) Anna Soucek

  • Eilfried Huth und seine Frau

    Eilfried Huth und seine Frau

    (c) Anna Soucek

|

Ein Beispiel für eine sogenannte Superstructure, also Mega-Struktur, ist der Entwurf für eine vertikale Wohnsiedlung von Günther Domenig und Eilfried Huth aus dem Jahr 1966. Obwohl das Projekt "Stadt Ragnitz" nie gebaut wurde, hat es die zeitgenössische Architektur nachhaltig beeinflusst.

Eilfried Huth ist nach der Büropartnerschaft mit dem im Vorjahr verstorbenen Günther Domenig stets in dessen Schatten gestanden – das meinen Fachleute, die Huth als einen der wichtigsten österreichischen Architekten der letzten Jahrzehnte einschätzen.

Kulturjournal, 07.03.2013

Eilfried Huth und Günther Domenig lernten einander als Architekturstudenten in Graz über den Sport kennen. Sie spielten in einer Handballmannschaft und gründeten, nachdem sie gemeinsam einen Wettbewerb gewonnen hatten, ein gemeinsames Büro. Huth, 1930 geboren, und Domenig, 1934 geboren, beteiligten sich in den 1960er und 70er Jahren rege am kulturellen Leben in Graz, an Ausstellungen im Forum Stadtpark, an Diskussionen mit Künstlerinnen und Architekten, und am Diskurs, der auch von den Ideen der Studentenbewegung geprägt war. Unter dem Begriff "Grazer Schule", den der Architekturtheoretiker Friedrich Achleitner erfunden hatte, wurde die heterogene Gruppe junger Architekten international bekannt.

Nach jahrzehntelanger Lehrtätigkeit in Berlin lebt Eilfried Huth jetzt wieder in Graz.

Revolutionärer Entwurf

1966 wurden Domenig und Huth über Beziehungen beauftragt, eine Bebauungsstudie für ein Grundstück im Ragnitztal, außerhalb von Graz, zu machen. "Wir haben von Anfang an gesagt, wir machen etwas, was notwendig ist", so Huth. Sie wollten nicht den Bauherren entgegenkommen, sondern den Bedürfnissen der Gesellschaft.

Der Entwurf, den Domenig und Huth vorlegten, sah eine vertikal gestapelte Wohnsiedlung vor, die mit herkömmlichen Vorstellungen von Wohnbau auf den ersten Blick gar nichts gemeinsam hatte: ein technoides Traggerüst mit Wohnvolumina, Raumzellen und Versorgungsschächten. Eine Zukunftsstadt für den Grazer Vorort Ragnitz.

Der schockierte Bauherr nahm von dem Projekt Abstand, nicht ohne die beiden Architekten für ihren visionären Entwurf zu entlohnen.

Grundstein für die Karrieren

Für eine Ausstellung im Forum Stadtpark mit der Werkgruppe Graz, entwickelten Huth und Domenig das Konzept weiter und bauten ein Modell aus Basalholz. "Da haben wir zehn Leute beschäftigt, die so filigrane Sachen gebastelt haben, und haben die Stadt Ragnitz entwickelt", so Huth. "Ein wichtiger Punkt war auch die Selbständigkeit der Wohnungswerber."

Eilfried Huth, der sich - etwa in seinem Beitrag zum 2012 erschienenen Buch "Was blieb von der Grazer Schule?" – mit dem Begriff der Utopie beschäftigte, betont, dass die Wohnform Ragnitz kein rein utopisches Projekt sei. Denn die gesamte Struktur wurde von einem Statiker berechnet und wäre eigentlich baubar.

Das Projekt wurde international publiziert und 1969 in Cannes mit dem "Grand Prix" für Urbanismus und Architektur ausgezeichnet. Es war der Grundstein für die Karrieren von Eilfried Huth und Günther Domenig, die ihre Arbeitsgemeinschaft Mitte der 1970er Jahre beendeten.

Bewohner/innen an Gestaltung beteiligt

Einen Aspekt, der bereits im Projekt Ragnitz von 1966 enthalten ist, entwickelte Huth maßgeblich weiter: die Beteiligung der Bewohner/innen an der Gestaltung ihrer Wohnungen. In Ragnitz war vorgesehen, dass Interessenten sich bei den Architekten melden und bei der Gestaltung ihrer Wohneinheiten mitreden könnten. Diese Partizipation setzte Huth bei einer geförderten Wohnbau-Siedlung in Deutschlandsberg um: die künftigen Bewohner konnten nicht nur bei der Raumaufteilung und Ausgestaltung mitreden, sondern hatten auch die Möglichkeit, selbst zu bauen und sich dadurch Eigenmittel zu ersparen. Zahlreiche weitere partizipative Wohnbau-Projekte hat Eilfried Huth über Jahre hinweg betreut - auch wenn der Prozess sehr aufwändig ist.

Die Wohnzufriedenheit, so wird ihm von Bewohnern seiner Siedlungen bestätigt, mit denen er heute noch in Kontakt ist, ist bei solchen Projekten sehr hoch, "die Solidarität mit dem Entstehungsprozess ist sehr groß".

Ein Schlüssel zum Verständnis von Architektur ist Diskussion, sagt Huth, der fast 20 Jahre lang Professor an der Universität der Künste war: "Diese Baukulturvermittlung war mir ein Anliegen, dass man über die Diskussion und sinnvolles Bauen diese Klischees, die im Häuselbauen bestehen, reduzieren oder ersetzen kann."

Umdenken zu nachhaltigem Bauen

Investoren-Hochhäuser und Mega-Bauprojekte in Städten wie Dubai oder Peking betrachtet Eilfried Huth sehr kritisch. Er beobachtet, dass ein Umdenken zu sozial und ökologisch nachhaltigem Bauen bereits stattfindet und auch dringend notwendig ist. Er selbst habe sich immer als Dienstleister verstanden. Dass er bei der Ausübung seines Berufes soziale oder ökologische Fragen mitdenkt, sei für ihn einfach selbstverständlich gewesen.