Bühnenessay von Elfriede Jelinek

rein gold

2013 ist das Richard-Wagner-Jahr - sein 200. Geburtstag steht an. Wagner, das ist der Erneuerer des Musikdramas aus dem Geiste der Romantik, wahrscheinlich erster Gesamtkunst-Werkmeister und feuriger Verfechter eines pervers ästhetisierten Antisemitismus'.

Dass eine solche Figur, ein solches Thema die Schriftstellerin und ausgebildete Organistin Elfriede Jelinek reizt, liegt eigentlich auf der Hand. Jetzt liegt ihr Tex-Werk "rein gold. ein bühnenessay" vor. Was ein "Bühnenessay" sein soll, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall ist Jelineks Text ein Prosatextgewebe und hat mit dem klassischen Essay gar nichts zu tun. Und wer Jelineks Textproduktion der letzten Jahre verfolgt hat, der weiß, dass die Autorin keine Romane mehr veröffentlich - es sei denn im Internet -, dafür nähern sich viele ihrer Theatertexte langen Prosamonologen an.

So ist es auch bei "rein gold". Richard Wagners "Rheingold" ist eine Oper aus dem Zyklus "Der Ring des Nibelungen". Ein schöner Text ist Jelineks "Winterreise" von 2011, weil hier ihr Eigentext, Franz Schuberts Lied und Franz Müllers Liedtext eine kunstvolle Symbiose eingehen. Das ist bei "rein gold" kaum der Fall. Wenig Wagnerianisches wird kenntlich, denn es geht im Text rein um das Gold, das Geld, das Kapital. Man könnte allerdings sagen, dass die Musik von Wagners "Walkürenritt" Macht und Kraft des Kapitals widerspiegelt.

Geld, Gold, Kapital

An dieser Stelle spricht Brünnhilde einen Teil ihrer oft langen Textmonologe. Abgelöst wird sie von Wotan, also von Odin, dem Göttervater aus der nordischen Mythologie. Wie in Wagners Musikdrama "Walküre" ist bei Jelinek Brünnhilde die widerspenstige Tochter Wotans. Nur, worüber beide Akteure sprechen, hat nichts mit Mythologie und Wagners Musiktheater zu tun, sondern handelt allein von Geld, Gold, Kapital. Man muss es leider sagen: Rund das erste Drittel von "rein gold" ist reine Variation dieses Themas. Und die Wortwiederholungen - und verdrehungen, die kleinsten Abänderungen von Sinnelementen in Satzpermutationen, von denen viele Texte Jelineks leben und Sprache kunstvoll lebendig machen, laufen ins Leere.

Aber halt! Je mehr man im Lesen von "rein gold" voranschreitet, desto klarer wird einem, dass diese Leere Sinn macht. Wie das? Obwohl Jelinek im Anhang ihres Buchs angibt, sich auf Karl Marx' "Das Kapital" und auf das "Kommunistische Manifest" von Marx und Friedrich Engels zu stützen, spricht sie im Text vom Kapitalfluss unserer Tage. Geld, Gold, Kapital ist ein Meta-Subjekt geworden, das zwar nicht unabhängig von menschlichen Akteuren agiert, aber doch eigenwillige Wege geht. Man denke nur an die computergesteuerten Aktienrechner.

Keine persönliche Haftung

Was Jelinek klar sieht und in ihrem Text auch deutlich macht, ist Folgendes: Kapital-, Aktien-, und Geldfluss sind durch die Transaktionen global aufgestellter Unternehmen, durch weltweit vernetzte Börsen und durch international agierende Investment-Banker kaum angreifbar. Was fehlt, ist das Subjekt des persönlich haftenden Unternehmers. Diese Entwicklung hat Marx ansatzweise vorausgesehen. Und für den Schriftsteller ist es äußerst schwierig, Bezugspunkte zu finden, um diesen Prozess in anschauliche Bilder zu gießen. Kapital, Geld fließt und fließt, während Sinn und Zweck dieses Flusses nur vage bestimmbar ist, alles scheint "rein gold" zu sein. So müssen auch die Worte und Sätze der Dichterin dahinfließen. Wotan spricht:

Wotan und Christus

Es ist klar, dass dieses Dahinfließen der Sprache im Angesicht des äußerst lebendigen Spätkapitalismus' auf Dauer seine Wirkung verliert, ja, den Leser ermüdet - auch wenn sich diese Ermüdung folgerichtig im Angesicht menschlicher Ohnmacht gegenüber dem gesichtslosen Geldfluss einstellt. Doch Kenner der Texte Jelineks werden nun eine erstaunliche Wendung wahrnehmen: In den Monologen Brünnhildes und Wotans wird Gott zum Thema. Und es ist der christliche Gott, denn ebenso ist von Jesus Christus die Rede. Wotan spricht:

Gedankliche Sprengkraft

Die Herr-Knecht-Beziehung, wie sie Hegel formuliert und Marx auf kapitalistische Verhältnisse umgemünzt hat, löst sich bei Jelinek durch den reinen Fluss von Kapital und Geld auf, ja, strebt ins Offene. Freilich ist Elfriede Jelinek weit entfernt, ihren Text rein dem Religiösen anzuverwandeln, und doch ist es erstaunlich, wie das göttliche Liebesgebot - gebrochen durch Ironie - gegen das "rein gold" des Spätkapitalismus antritt. Man mag also Elfriede Jelineks langen Prosamonolog zeitweise ermüdend finden, aber gedankliche Sprengkraft birgt er in sich allemal.

Service

Elfriede Jelinek, "rein gold. ein bühnenessay", Rowohlt

Rowohlt - rein gold