Ungarn: Beschneidung des Verfassungsgerichts
In Ungarn wird das Parlament heute Nachmittag mit fünf Gesetzesnovellen nicht nur der Opposition, sondern auch der EU, dem Europarat und den USA den Fehdehandschuh hinwerfen. Weil der Verfassungsgerichtshof die Gesetze gekippt hat, werden sie jetzt von Viktor Orbans Zweidrittelmehrheit in den Verfassungsrang gehoben und damit die Befugnisse des Verfassungsgerichts beschnitten.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 11.3.2013
Aus Budapest berichtet ORF-Korrespondent
Urteile nur noch nach neuer Verfassung
Das ungarische Verfassungsgericht steht vor einer weiteren Entmachtung. Die Verfassungsnovelle, die heute Nachmittag im Parlament beschlossen werden soll, beschneidet die Befugnisse der Höchstrichter.
So dürfen sie sich beispielsweise nicht mehr auf ihre Spruchpraxis aus den letzten 23 Jahren beziehen, sondern sie dürfen sich in ihren Erkenntnissen und Urteilen nur noch auf die neue, seit etwas mehr als einem Jahr gültige Verfassung stützen, die Viktor Orbans Regierungspartei Fidesz beschließen hat lassen.
Verfassungsgericht kippte etliche Gesetze
Die Opposition in Ungarn beklagt, dass die neue Verfassung ausschließlich den Interessen der nationalkonservativen Partei Fidesz untergeordnet sei. Die Beschneidung der Befugnisse der Höchstrichter ist nach Ansicht vieler Kritiker auch eine Art Rachefeldzug der Orban-Regierung gegen das Verfassungsgericht, das in den letzten zwei Jahren etliche Gesetze als verfassungswidrig gekippt hatte, wie etwa kürzlich das Kirchengesetz.
Die Höchstrichter betrachteten es als verfassungswidrig, dass allein eine parlamentarische Mehrheit darüber befinden kann, ob eine Glaubensgemeinschaft den Status einer Kirche zuerkannt bekommt oder nicht. Sie beanstandeten auch das Fehlen von normativen Kriterien, Fristvorgaben und Berufungsmöglichkeiten.
Regierung lässt Gesetze in Verfassungsrang heben
Als verfassungswidrig zurückgewiesen wurde auch ein Gesetz, das Hochschulabsolventen verpflichtet hätte, das Doppelte ihrer Studienzeit in Ungarn zu arbeiten, wenn sie Studienbeihilfen in Anspruch genommen haben. Gekippt hatten die Höchstrichter ebenso ein Gesetz der Orban-Regierung, wonach Obdachlosigkeit unter Strafe gestellt worden wäre sowie ein Gesetz, dass politische Werbung in elektronischen Privatmedien untersagt hätte.
All diese Gesetze, die der ungarische Verfassungsgerichtshof beanstandet hatte, lässt die Orban-Regierung heute in den Verfassungsrang heben und zeigt damit den Höchstrichtern die lange Nase.
Europarat will prüfen - Orban lehnt ab
Die EU, die USA und der Europarat haben Ministerpräsidenten Viktor Orban dringend ersucht, die Abstimmung über die Verfassungsnovelle zu verschieben, damit die umstrittenen Bestimmungen von der unabhängigen Venedig-Kommission des Europarates überprüft werden können.
Doch diesem Ersuchen dürfte die Orban-Regierung nicht nachkommen. Orban ließ nämlich in einem Schreiben an die EU-Kommission wissen, dass die Verfassungsreform den Prinzipien des Rechtsstaates nicht widersprechen würde.