Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird

Das grüne Gewissen

Der aktuelle Biokonsum im Zeichen der Nachhaltigkeit ist Teil einer neuen grünen Bürgerlichkeit. Von der Romantik über das Dritte Reich bis zur Welt von manufactum spannt Andreas Möller den Bogen der Naturverehrung, der er in seinem Buch "Das grüne Gewissen" nachgeht.

Metapher für Werte

Wir trinken Bionade, kaufen Eier von glücklichen Hühnern, achten beim Einkauf auf Bio-Zertifikate und bauen unser eigenes Gemüse an. Wer keinen Garten hat, der stellt sich ein paar Kräutertöpfe ins Fenster oder träumt zumindest vom erdverbundenen Leben auf dem Land. Am besten mithilfe einschlägiger Magazine, die derzeit auf dem Zeitschriftenmarkt boomen. Generation Landlust nennt Andreas Möller die Vertreter jener neuen Naturverbundenheit, ein Lebensgefühl, das mehr und mehr Deutsche für sich beanspruchen, auch wenn sie im Alltag nicht mehr grünen Pioniergeist an den Tag legen als ihre europäischen Nachbarn, davon ist Andreas Möller überzeugt:

"Niemand würde ernstlich behaupten, dass die Skandinavier ihre Wälder und Schweizer und Österreicher ihre Berge weniger schätzen würden als die Deutschen es tun, aber ich glaube, dass dem Naturbild eine stärkere Sicherheitsneigung und größere Risikoaversität zugrunde liegt", meint er. Für viele seiner Zeitgenossen sei die Natur zu einer Metapher für Werte geworden, die sie in ihrer hoch technisierten Gesellschaft vermissen, meint Andreas Möller. Für Kontinuität etwa. Für Kontrolle. Für Sicherheit.

"Naturnahes" Leben

Dass Natur auch grausam sein kann, vergessen wir gerne, so weit haben wir uns schon von ihr schon entfernt. Stattdessen treibt die Technikskepsis Blüten. Der Autor erwähnt in diesem Zusammenhang die steigende Impfmüdigkeit junger Eltern, den Trend zur natürlichen Geburt, aber auch Moden wie Urban Gardening, das Gärtnern in der Stadt.

"Wir schauen gerne auf die USA oder Japan wegen ihrer Technikgläubigkeit, aber in solchen Ländern gehören unmittelbare Erfahrungen mit Kälteeinbrüchen, mit Tornados, mit Erdbeben noch zur täglichen Erfahrung. Natur sich untertan zu machen, als etwas Feindliches zu sehen, könnte ironisch die Frage stellen, warum müssen wir uns kleiden, ist uns die Natur möglicherweise feindlich gesinnt?", so Möller. Dieser Gedanke sei in Kontinentaleuropa längst verschwunden, meint er. "Die Steigerung ist Naturgefühl, das wir in Städten entwickeln. Zeitschriften wie 'Landlust' und manufactum gehen und glauben, dass naturnahes Leben die probate Antwort auf die beschleunigte technisierte Welt wäre".

Das neue Biedermeier

Mit dem Umweltbewusstsein der 1970er und 80er Jahre, das einmal für Aufbruch stand, habe die aktuelle Naturbegeisterung aber wenig zu tun. Eher mit einem neuen Biedermeier. Grün sei heute die Farbe der Bürgerlichkeit. Und wer mitschwimmt auf dieser Welle, grenzt sich nicht nur sozial ab, sondern entlastet auch das eigene Gewissen.

Möller geht es darum, "dass wir häufig den Anspruch auf verbesserte Nahrung, höhere Qualität mit moralischem Dünkel versehen". Es sei eben "einfach, in solventen Käuferschichten mehr Geld auszugeben, auf Produktion von Fleisch oder Eiern zu achten, aber was wir brauchen sind in modernen Großstädten bezahlbare und sichere Lösungen für Hunderttausende."

Für jene, die es sich leisten können, sei der grüne Lifestyle nicht einmal mit Verzicht verbunden, klagt Andreas Möller. Im Gegenteil: Photovoltaikanlagen auf Dächern beispielsweise bringen dank staatlicher Garantien in Deutschland sogar Gewinne, in Biomärkten gibt es alles, was das Herz begehrt - von der vielfach beschworenen Nachhaltigkeit bleibe, meint Möller, bei genauerem Hinsehen nicht viel übrig: "Ich bin durchaus dafür, dass wir uns kritisch mit dem Wachstumsbegriff auseinandersetzen, es ist aber verlogen, wenn man es begrenzt auf das, was gut ist für eigene Familie; wenn schon muss man alles in den Blick nehmen." Realitätsflucht nennt der Autor unseren romantisch verklärten Blick auf die Natur.

Einsichten

Andreas Möller ist kein Kritiker der Kernenergie, das wird schon auf den ersten Seiten seines Buches deutlich. Auch zur grünen Gentechnologie, der Anwendung gentechnischer Verfahren im Bereich der Pflanzenzüchtung, hat er wenig Distanz. Man könnte ihn also schnell abtun als unkritischen Proponenten der Industrie, der sich über die grüne Bewegung lustig macht. Aber "Das grüne Gewissen" ist keineswegs Propagandamaterial pro Atomkraft oder pro Gentechnik. Und auch mit billigen Lösungsversuchen hält sich der Autor zurück. Dafür gibt es jede Menge Einsichten, die uns, der Generation Landlust, ein wenig die Augen öffnen können.

Service

Andreas Möller, "Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird", Hanser Verlag

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