019. Boem*

Cafe, Galerie, Kulturzentrum

Das BOEM* ist ein typisch ex-jugoslawischer Ort, mit allen seinen Aspekten. Schmuddelig, oder mit viel Patina. Gebraucht. Seit mehr als einem Jahrzehnt, bekannt als “Jugocaféhaus”, welches in Kombination mit Baufirmen betrieben wurde. Ein typisches Wiener Eckcafe.

Die Nebenräume dienten als Büro, Lager und Werkstätte, auch für die Baufirma. In den Räumlichkeiten herrschte ein reges Treiben, hinter dem Pult standen immer Frauen, oft die einzigen Frauen, die die Bauarbeiter an einem Tag zu sehen bekamen, oder mit denen sie sich austauschen konnten. Oft wurden die Arbeiter auch im Café ausbezahlt. Regelmäßig mussten verschiedene von Migranten geführte Firmen kooperieren, um größere Aufträge auch exekutieren zu können. Somit war meist nicht nur der Caféraum, sondern auch der Lagerraum den meisten Gästen zugänglich.

Besonders bei unserer ersten Ausstellung, „Die Schönheit der Arbeit“, kam diese Durchlässigkeit der Räume zur Geltung. Als im Rahmen der Ausstellung Wände niedergerissen wurden und andere Adaptierungsarbeiten stattfanden, konnte immer mit dem Know-How, Tipps und dem Nutzen von zur Verfügung gestelltem Werkzeug gerechnet werden. Gerade diese Tätigkeiten stellten klar, dass es zu keiner Entfremdung für die bisherigen eher informellen NutzerInnen zu dem neuen Raum kommen würde. Es war eine sehr sanfte und behutsame Transition und von Anfang an wurde in dem Raum gegessen, gesungen und vor allem die Fussball WM gesehen.

Später kamen laufend verschiedenste Veranstaltungen dazu, z.B. wurde der Raum Roma Organisationen zur Koordination der europaweiten Demonstration gegen die Abschiebungen der Roma aus vor allem Frankreich, zur Verfügung gestellt. Im Café wurden die niedrigen Preise beibehalten und zweisprachige Kellnerinnen angestellt oder teilweise übernommen. Uns ist bewusst, dass wir in einem sehr fragilen sozialen Topos arbeiten und deshalb wollten wir auch nicht unsere Gäste überfordern, sondern langsam sicherstellen, dass unser Kunstanspruch keine Überforderung ihrerseits darstellt und auch nie das Gefühl entsteht, wir würden irgendjemanden für nicht intelligent oder kreativ genug halten, um unsere Inhalte zu verstehen. Jetzt setzen wir darauf, Inhalte auch zum Teil gemeinsam zu kreieren, um eben auch das Verständnis sicher zu stellen.
Hintergründe:

Interdisziplinäre, nichtkommerzielle, soziale Räume haben und hatten eine lange Tradition in Wien. Durch den Krieg in Jugoslawien und der darauffolgenden Nationalisierung verloren die ehemaligen Arbeiterklubs ihr Publikum und teilweise ihre Legitimation. Die wenigen übrig gebliebenen nichtkommerziellen Räume erweisen sich meist als Brutstätten national kodierter Folklore und ihr kulturelles Angebot lässt sich leicht auf Bingoabende, Karatekurse, Diskoabende und folkloristische Präsentationen reduzieren. Manche bieten zudem Kurse zum Erlernen und zur Pflege der Muttersprache an. Als positive Zeichen sind vereinzelt stattfindende, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie das Abhalten von Gabelstaplerkurse zu nennen. Abgesehen davon haben sie jeden Kontakt zu zeitgenössischer Kunst und Kultur, abseits des popkulturellen, auch nationalistischen Mainstreams, aufgegeben und einen großen Teil ihres Publikums bzw. der KonsumentInnen ihres Angebots aufgrund von ethnischen Richt!
linien verloren.

Historisch gesehen waren die jugoslawischen Arbeiterklubs in Wien, politisch sowie in ihrer Dichte, weltweit einzigartig. Im Gegensatz zu klassischen Migrationsdestinationen wie den USA, Australien, Frankreich und Großbritannien, zog es die jugoslawische Arbeiterschicht nach Wien. Dieser Zuzug war größtenteils aufgrund von Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens geschuldet, wohingegen die weitgehend außereuropäischen Migrationsbewegungen von Kriegen und vor allem durch die antifaschistische Befreiungsbewegung verursacht wurden. Dies hatte die Flucht der eher aristokratischen Schichten nach Frankreich und England zur Folge, während die Rechten nach Südamerika, Nordamerika und Australien auswanderten.

Teil der jugoslawischen Außenpolitik war es, den ArbeiterInnen in der Fremde eine kulturelle, politische und soziale Heimat zu erhalten, was auch dazu beitrug, dass sich die ArbeiterInnen als GastarbeiterInnen verstanden und sich auch so verhielten. Zu diesem Zweck wurden Arbeiterklubs gegründet und unterstützt, welche die Angebundenheit an den jugoslawischen Staat sicherstellen sollten und das auch taten.

Diese Räume hatten explizit antifaschistischen Charakter, das Motto der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens, ‘Brüderlichkeit und Einigkeit’, wurde hoch gehalten. In diesen Räumen gab es Platz für gemeinsame Feste, Theateraufführungen, Chöre, sportliche Aktivitäten von Karate über Fussball bis hin zu Schach. Lesungen wurden abgehalten, Kinovorführungen fanden regelmäßig statt. Diese Klubs hatten ein hohes Identifikationspotenzial und bewirkten teilweise eine höhere postnationale Identifikation mit jugoslawischen Werten, als es in der Heimat möglich gewesen wäre. Postnational sei in dem Sinn erklärt, als dass die ethnisch-nationale Herkunft keine große Rolle spielte und jugoslawische Identität auch subversiv auf nationale Identität zu wirken begann und das in viel größerem Ausmaß, als es in der jugoslawischen Heimat für diese sozialen Schichten möglich gewesen wäre. In Wien geborene Kinder, die sogenannte zweite Generation Gastarbeite!
r gaben sogar jugoslawisch als ihre Muttersprache an, egal ob sie Serben, Kroaten, Bosnier oder Albaner waren, denn das war größtenteils, vor allem in der jungen Generation, irrelevant.

Als Anfang der 90er Jahre in ihrer Heimat der Bürgerkrieg ausbricht, zerbrechen mit etwas zeitlicher Verzögerung auch die Klubs. Mitglieder werden verjagt und aus den Organisationen gemobbt. Es kommt zu Streitereien und die meisten Klubs stellen ihren Betrieb ein. Auch sind diese Orte für die folgenden Fluchtbewegungen, primär aus Bosnien und für die meist interkultureller Familien, kein Anlaufpunkt. Die wenigen übriggebliebenen Vereine streichen das Jugoslawische aus ihren Namen und ersetzen es mit nationalen Bezeichnungen und Symbolen.

Der Einfluss der jugoslawischen Nachfolgestaaten ändert sich und die Klubs handeln als Organisatoren von nationalistischen Demonstrationen, versuchen sich aber auch als Drehscheibe für wirtschaftliche Beziehungen zu etablieren, was leider im Fall der serbischen Bevölkerung nur schwer gelingt. Zwar ist der Zufluss von Devisen und Geldsendungen, beispielsweise der Serben aus Wien von extremer Wichtigkeit für den serbischen Staat und die Bevölkerung, aber wegen ungelösten Eigentumsverhältnissen, aufgrund des autonomen Selbstverwaltungsprinzips der postjugoslawischen Staaten sind Investitionen kaum möglich. Jahrzehntelang wurde gespart und die einzige mögliche Form, das angesparte Geld für die eigentlich, aber teilweise utopisch geplante Rückkehr anzulegen, war das Bauen von protzigen Einfamilienhäusern.

Dieser repräsentative Reflex ist nicht nur durch die unsichere Investitionslage begründet, sondern ist auch Ausdruck mangelhafter kultureller Repräsentanz und Anerkennung. Oft kommt es bei GastarbeiterInnen zu doppelter Diskriminierung. Sowohl in der „alten“ wie auch in der „neuen“ Heimat werden sie als oft ungebildete und unkultivierte Subjekte wahrgenommen. „Gastos“, GastarbeiterInnen in der bosnisch/kroatisch/serbischen Kurzform ist mittlerweile auch in den Nachfolgestaaten zu einer verächtlichen Bezeichnung verkommen.

Zeitgleich entstehen dafür etwa 600 gastronomische Betriebe in Wien, vor allem in jenen Bezirken, welche für eine hohe Dichte an Menschen mit Migrationshintergrund bekannt sind. Während die ehemals jugoslawischen Gastarbeitervereine kulturell und sozial integrativ funktionierten und einem ehemals internationalistischen Publikum verschiedenste kulturelle Angebote offerierten, reproduzieren die neu entstandenen Lokale, vor allem Diskotheken und Caféhäuser, nationales Publikum. Österreicher verirren sich kaum in solche Lokale und ethnisch gemischte Lokale gibt es kaum. Selbst bei nicht national definierten Lokalen ist es eigentlich klar, was von wem besucht wird. Kulturelle Übersetzungen finden ebenso wenig statt wie alles abseits des Mainstreams.

In den letzten Jahren konnte eine Abschwächung des Nationalismus beobachtet werden, mit dadurch verursacht, dass es sich der popkulturelle Mainstream ökonomisch nicht leisten kann, potenzielle KonsumentInnen zu diskriminieren. Dadurch brechen beschriebene Ethnokategorisierungen wieder leichter auf. Wien ist historisch gesehen der Lebensmittelpunkt ehemals klassenbewusster linken ArbeiterInnen und jahrzehntelanger Freundschaften, aber auch gemischter Ehen, Spielkameraden und Arbeitskollegenschaften, die dafür sorgen, dass es kaum zu größeren Konflikten kommt. Das dies aber eine extrem fragile Entwicklung ist, sollte jedem klar sein, der die blutigen Konflikte in den Heimatländern der Gastarbeiter in Erinnerung hat.

BOEM* Als Transkulturelles Grundversorgungsangebot, Als Forschungsinitiative.
Seit einigen Jahren, gibt es Projekte, die sich mit dem Schicksal der Gastarbeiter auf verschiedenen Ebenen auseinandersetzen. Aus einer gewissen Distanz werden verschiedenste Aspekte der migrantischen Existenz in Wien beleuchtet und analysiert, aber ohne die eigentlichen Akteure miteinzubeziehen.

Im BOEM* aber werden diese aktiv eingebunden. Es finden sich Menschen aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens und die Frage stellt sich, ob es mehr auf die ehemals gemeinsame Kultur & Sprache, oder einem Ausschlussreflex der österreichischen Gesellschaft zurückzuführen ist.

Dies zu beantworten ist nicht einfach, denn im Gegensatz zu den serbischen, kroatischen, bosnischen,… Diasporas weltweit, gibt es in Wien historisch gesehen eben eine linke Diaspora, welche sich aus den ArbeiterInnen Jugoslawiens und deren Nachkommen zusammensetzt, Kinder welche Jugoslawisch als ihre Sprache gesehen hatten und von ihrer nationalen Identität erst spät im Kontext des jugoslawischen Bürgerkrieges erfuhren.

Mittlerweile, auch aufgrund der bisher abgehaltenen sozialen Aktivitäten und kulturellen Projekte, Präsentationen, kommt es zu einer repräsentativen Durchmischung der Gästestruktur. Das BOEM* ist auch für viele andere Ethnien zu einem spannenden und konkreten Ort geworden.

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