Wofür wir kämpfen

Demokratie!

Erst war das Empire, dann die Multitude und schließlich das Common Wealth: Mit ihrer Trilogie von Theorie-Wälzern sind der amerikanische Literaturtheoretiker Michael Hardt und der italienische Politikwissenschaftler Antonio Negri zu Stars der globalisierungskritischen Linken geworden.

In ihrem neuen Band "Demokratie! Wofür wir kämpfen", einem schmalen Pamphlet von 120 Seiten, rufen sie uns auf, die Demokratie neu zu denken, und zwar von unten. Als Vorboten dieser neuen demokratischen Ordnung sehen sie Protestbewegungen in aller Welt, vom Arabischen Frühling über die spanischen Protestcamps bis hin zu Occupy Wall Street.

Öffentlicher Raum besetzt

"Dies ist kein Manifest." So beginnen Michael Hardt und Antonio Negri ihr Buch "Demokratie!". Mit Rufzeichen, wohlgemerkt. Wenn es aussieht wie ein Manifest und ebenso betitelt und geschrieben ist wie eines, könnte man es wohl ein Manifest nennen. Warum sie dies gleich zu Anfang verweigern, hat der Literaturtheoretiker Michael Hardt im Interview erklärt:

"Manifeste nehmen oft eine Art prophetische Position ein, als könnten wir damit die Menschen, die die Welt verändern, einfach erschaffen. Dabei gibt es diese Leute schon, und sie stehen auf den Straßen. Sie brauchen keine Propheten. In diesem Sinn ist die Form des Manifests obsolet geworden."

Mit diesen Menschen meint Michael Hardt die Demonstranten, die im Jahr 2011 in aller Welt den öffentlichen Raum besetzten: etwa auf dem Tahrir-Platz in Kairo, bei der Puerta del Sol in Madrid oder im Zucotti-Park in New York. So verschiedene Ziele diese Proteste auch hatten - Hardt und Negri sehen in ihnen eine Kette gegenseitiger Inspiration.

Sesshafte Protestcamps

Für die Autoren haben diese Bewegungen auch strukturelle Gemeinsamkeiten: etwa dass sie alle sich geweigert haben, Anführer oder offizielle Sprecher zu bestimmen. Und im Gegensatz zu den Globalisierungskritikern des vergangenen Jahrzehnts zogen sie den Gipfeltreffen nicht hinterher, sondern ließen sich bewusst an einem Ort nieder.

"Diese Besetzungen sind nicht nomadisch, sondern sesshaft", sagt Hardt. "Es ist sogar Teil ihrer Strategie, sich nicht vom Fleck zu bewegen. Und in den Protestcamps schaffen sie eine Vorschau, eine Art Miniatur davon, wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen könnte."

In neue Rollen gezwängt

Bevor es darum geht, was diese zukünftige Gesellschaft ausmacht, erklären Michael Hardt und Antonio Negri den Lesern erst einmal, warum sie sich gegen die derzeitige Gesellschaft empören sollen. Der Triumph des Neoliberalismus habe uns in vier neue Rollen gezwängt:

Die Autoren unterscheiden die Verschuldeten, die durch Hypotheken und überzogene Kreditkarten in eine moderne Leibeigenschaft geraten, die Vernetzten, die sich von Medienspektakeln hypnotisieren lassen, die Verwahrten, denen der Überwachungsstaat auf Schritt und Tritt folgt, und die Vertretenen, die trotz großem Gerede von Demokratie eigentlich nichts mitzureden haben. Damit sind wir auch schon beim zentralen Anliegen dieser Streitschrift angelangt, und das lautet: Schluss mit der repräsentativen Demokratie.

Für Hardt und Negri sind wir an einem ähnlichen Scheideweg angekommen wie die Väter unserer modernen Verfassungen. Um diesen Geist zu beschwören, übernehmen sie stellenweise fast wörtlich Passagen aus der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten. Was ihnen aufstößt, ist die Idee des Gemeinwillens, wie sie der Philosoph Jean-Jacques Rousseau formuliert hat.

Echte Volks-Entscheidungen

Hardt und Negri machen drei Bereiche aus, die in einer neuen Verfassung zu Gemeingütern werden sollen: Wasser, Banken und Bildung. Im Gegensatz zu öffentlichen Gütern entscheiden dann aber nicht gewählte Vertreter oder Experten darüber, sondern das Volk selbst.

Wie diese Entscheidungen genau getroffen werden sollen, darüber schweigen die Autoren aber. Für Michael Hardt entsteht die neue Demokratie nicht in akademischen Zirkeln, sondern auf den Plätzen und Straßen, wo die Unzufriedenen dieser Welt sich versammeln:

"Wenn wir das kapitalistische Konzernspektakel, das wir alle paar Jahre haben, weiter als Demokratie bezeichnen, können wir den Begriff auch gleich aufgeben. Ich respektiere es, wenn man das Konzept ernst nimmt und versucht, einen Prozess zu schaffen, in dem wir als freie und gleiche Individuen miteinander entscheiden können. Wenn wir dabei scheitern, ist das immer noch besser als die zynische Resignation, die derzeit um sich greift.

Social Media als Instrument

Die Proteste im Jahr 2011 wurden berühmt für ihren Einsatz des Internets und speziell sozialer Medien. Doch Michael Hardt sieht neue Technologien nur in einer Begleitrolle. Für ihn muss Politik immer noch in der persönlichen Begegnung passieren:

"Ich bin absolut kein Gegner von Technologie und sozialen Medien, und auch die Protestcamps waren alles andere als allergisch dagegen. Aber soziale Medien waren nur Instrumente, um die persönliche Begegnung zu erleichtern, und kein Ersatz dafür. Ich glaube nicht, dass wir ein befriedigendes System politischer Aktion finden, wenn wir alle isoliert an unseren Maschinen sitzen. Das muss aber nicht heißen, dass Technologie dabei keine Rolle spielt."

In vielen Protestcamps kamen basisdemokratische Verfahren zum Einsatz - alles andere als eine effiziente Form der Entscheidungsfindung. Die Demonstranten von Occupy Wall Street konnten sich bis zum Schluss nicht einmal auf konkrete Forderungen einigen. Die Mängel sind Michael Hardt aber durchaus bewusst: "Jeder, der im Jahr 2011 bei den Generalversammlungen der Protestcamps teilgenommen hat, weiß, wie mangelhaft und frustrierend das Ganze sein kann. Aber ich glaube, dass alleine schon der Prozess des Experimentierens wichtig ist."

Doch wie sollen dann Millionen oder gar Milliarden von Menschen über komplexe Themen wie das Banken- oder Schulsystem entscheiden? Ein paar neue Handzeichen werden dafür nicht reichen. Womit wir bei der großen Schwäche des Buches wären.

Kaum Lösungsansätze

Hardt und Negri geben kaum konkrete Antworten - sie deuten auf den unorganisierten Flickenteppich von Protestcamps, die längst Geschichte sind, und sagen: So wird's gemacht. Dabei scheint der Wunsch aber oft Vater des Gedankens zu sein. Das zeigt sich beispielhaft, als sie eine Parole von argentinischen Demonstranten interpretieren, die da lautet: Que se vayan todos! Frei übersetzt: Haut doch alle ab.

Über die Bücher von Hardt und Negri wurde schon vieles geurteilt, aber nie, dass sie leicht zu lesen wären. Bei "Demokratie! Wofür wir kämpfen" machen sie eine erfrischende Ausnahme. Doch bei diesem Manifest, das keines sein will, hilft die klarste Sprache nichts, wenn man so wenig zu sagen hat. In ihrer Kritik der herrschenden Demokratie legen Hardt und Negri den Finger manchmal genau auf die Wunde. Doch bei der Frage, wie eine neue Demokratie aussehen und auf welchem Weg sie entstehen soll, bleiben die Autoren konkrete Antworten schuldig.

Service

Michael Hardt, Antonio Negri, "Demokratie! Wofür wir kämpfen", Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Neubauer, Campus Verlag

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