Vom 5. Jahrtausend v. Chr. bis Kleopatra
Aufstieg und Fall des Alten Ägypten
Die Faszination, die das Alte Ägypten ausübt, ist ungebrochen. Der Tourismus mag infolge politischer Umbrüche im Land am Nil zeitweise zum Erliegen kommen, doch Ausstellungen über Tutanchamun und andere Pharaonen sowie deren Gemahlinnen erfreuen sich eines regen Besucherzustroms.
8. April 2017, 21:58
Der britische Ägyptologe Toby Wilkinson teilt diese Begeisterung für das Alte Ägypten, die bei ihm auf seine Kindheit zurückgeht und in der Folge seine berufliche Laufbahn bestimmt hat. Mit seinem Lexikon des Alten Ägypten, das vorerst nur auf Englisch erhältlich ist, und einer Reihe weiterer Publikationen hat Toby Wilkinson international Anerkennung gefunden. In seinem jüngsten Buch "Aufstieg und Fall des Alten Ägypten" möchte der Wissenschaftler den Blick über Prunk und Pracht hinaus weiten und auch die düsteren Seiten der Pharaonenreiche aufzeigen.
Blinde Verehrung nicht angebracht
Ob der Verweis auf Nordkorea angebracht ist, sei dahingestellt. Möglicherweise hätten sich bessere Vergleiche ziehen lassen. Man muss Toby Wilkinson aber auf jeden Fall zu Gute halten, dass er bereits im Prolog seines Buches offen sein Anliegen kundtut. "In den über 20 Jahren meiner Beschäftigung mit Altägypten bereitete mir mein Forschungsgegenstand zusehends Unbehagen", bekennt Toby Wilkinson, der an der Universität Cambridge lehrt, offen.
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Die Gelehrten und Fans neigen dazu, der Pharaonenkultur mit einer geradezu blinden Verehrung zu begegnen. Wir bestaunen die Pyramiden und denken nicht allzu lange über das politische System nach, das sie hervorgebracht hat. Wir genießen stellvertretend die militärischen Siege der Pharaonen - und blenden die Grausamkeiten der antiken Kriegsführung weitgehend aus. Und wir wollen lieber nicht so genau wissen, wie es sich unter einem fanatischen Despoten lebte, obwohl uns heutige Parallelen wie Nordkorea durch Fernsehbilder vertraut sind.
Genau diese und viele andere Aspekte, die bei der Betrachtung alter Kulturen häufig ausgeblendet werden, macht Toby Wilkinson zu einem festen Bestandteil seiner Erzählung. Auf 800 Seiten schildert er 5.000 Jahre ägyptischer Geschichte, Kultur und Religion anschaulich, spannend - und mit einem stets wachsamen kritischen Geist, der wohl nicht jedem Ägypten-Fan Freude bereiten wird.
Machterhalt durch Unterdrückung
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Die ersten Pharaonen erkannten die besondere Kraft einer Ideologie - und ihres visuellen Gegenstücks, der Ikonographie -, die ein bunt gemischtes Volk zusammen schmieden und mit einem Band der Loyalität an den Staat binden kann.
Wie sie erworben, ausgeübt und gesichert wird, ist ein wichtiges Thema, das den britischen Wissenschaftler bewegt.
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Die Pharaonen und ihre Berater wussten, dass sich ihre Macht auch mit anderen Mitteln aufrechterhalten ließ: mit politischer Propaganda, einer fremdenfeindlichen Ideologie, der engmaschigen Überwachung der Bevölkerung und der brutalen Unterdrückung Andersdenkender.
Architektonische Großtat Pyramidenbau
Auch die kulturellen Leistungen der Alten Ägypter sieht Toby Wilkinson vor diesem Hintergrund. Er beschreibt nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen des Pyramidenbaus sowie die technischen Anforderungen und wie sie gemeistert wurden, er geht auch auf die Lebensverhältnisse der Arbeiter und ihre Versorgung während der Bauarbeiten ein.
Außer Frage steht für Wilkinson die architektonische Großtat, die die Errichtung der Pyramiden bedeutete, es war eine unglaubliche Ingenieursleistung. Und, auch das gesteht Wilkinson zu, der Bau der Pyramiden mag durchaus eine gewisse soziale Absicherung für einen Teil der Bevölkerung gebracht haben.
Die Forschungsergebnisse und deren seriöse Interpretation lassen jedoch nach der Überzeugung von Wilkinson keinesfalls den Schluss zu, dass das System, das die Pyramiden hervorbrachte, "echte und weit verbreitete Unterstützung genossen" hätte. Hier distanziert sich Wilkinson klar von manchen anderen Ägypten-Experten.
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Der Pyramidenbau war im eigentlichen Sinn kein "nationales Projekt", an dem das ganze Land mit Stolz teilnehmen konnte. Die Pyramide war das einprägsamste Zeugnis des absoluten Machtanspruchs. Despoten verewigten sich die ganze Geschichte hindurch in Monumentalbauten, von Nicolae Ceaucescus "Palast des Volkes" in Bukarest bis hin zu Felix Houphouet-Boignys gewaltiger, protziger Basilika in Yamoussoukro im Staat Elfenbeinküste. Die Große Pyramide stellt nur das ehrgeizigste und beständigste Projekt dieser Megalomanie dar.
Lebendig und lebensnah
Wilkinson verweist auch auf den griechischen Historiker Herodot, der sich äußerst kritisch zur ägyptischen Geschichte äußerte. In seinen Historien schrieb Herodot demnach: "Die Ägypter hassen diese Könige so, dass sie ihre Namen nur ungern nennen."
Wilkinson tut sein Bestes, um die geheimnisvolle Zivilisation, von der er im Untertitel seines Buches spricht, zu entzaubern. Nach Esoterik und Romantik steht ihm nicht der Sinn. Vielleicht kommen dadurch echte religiöse oder spirituelle Anliegen, die die alten ägyptischen Herrscher bei all ihrer Machtbesessenheit ja auch empfunden haben mögen, etwas zu kurz. Das alte Ägypten wird in Wilkinsons Darstellung aber auf jeden Fall lebendig und lebensnah - bis hin zu den Leidenschaften und Affären der Kleopatra.
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Als Erbin uralter Tradition wünschte sich Kleopatra zuerst und vor allem ein Zukunft für ihre Dynastie. Doch wie bei so vielen Hoffnungen Kleopatras hatte das Schicksal anders verfügt. Es würde keine Zukunft für die Ptolemäer - oder für irgendeine andere Pharaonendynastie - mehr geben.
Den Blick schärfen
Schöne Farb- und einige Schwarz-Weiß-Tafeln begleiten den Text. Auf 150 der 800 Seiten gibt Wilkinson eine ausführliche Bibliographie sowie zusätzliche Informationen über den Forschungsstand, umstrittene Themen und wichtige Werke, die seinen eigenen Arbeiten vorausgegangen sind. Auch die Dynastien werden übersichtlich aufgelistet. "Der Aufstieg und Fall Altägyptens hält für jeden von uns Lehren bereit", ist Toby Wilkinson überzeugt, man muss nur den kritischen Blick entsprechend schärfen.
Service
Toby Wilkinson, "Aufstieg und Fall des Alten Ägypten. Die Geschichte einer geheimnisvollen Zivilisation vom 5. Jahrtausend v. Chr. bis Kleopatra", aus dem Englischen übersetzt von Enrico Heinemann und Karin Schuler, DVA
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