Reportage: Serben im Kosovo
In Brüssel hat die entscheidende Runde der Verhandlungen zwischen Serbien und dem Kosovo begonnen. Fünf Jahre nach der einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit durch die Albaner versuchen beide Seiten unter Federführung der EU eine Normalisierung der Beziehungen zu erreichen. Dabei geht es vor allem um die Kompetenzen, die zehn Gemeinden haben sollen, in denen die Serben im Kosovo die Mehrheit stellen.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 2.4.2013
Reportage aus dem serbisch dominierten Nordkosovo,
Zentraler Streitpunkt bei den Verhandlungen ist die Frage, welche Kompetenzen der geplante Verband der zehn Gemeinden im Kosovo erhalten soll, in denen die Serben im Kosovo die Mehrheit stellen. Belgrad will möglichst viele, Pristina möglichste wenige Zuständigkeiten. Verhandelt wird in Brüssel auf höchster politischer Ebene und zwar durch die Ministerpräsidenten beider Länder, durch den Kosovo-Albaner Hashim Thaci und den Serben Ivica Dacic. ORF-Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat den Norden des Kosovo besucht, wo vier dieser Gemeinden liegen.
Soziale Krise
Etwas mehr als 10 Prozent des Territoriums des Kosovo entfallen auf den Norden, wo 40.000 Serben und einige Hundert Bosniaken und Albaner leben. Größte Gemeinde ist Leposavic mit 18.000 Bewohnern. Das Zentrum bilden das Gemeindeamt und eine Kreuzung, wo jeden Donnerstag der Markt gehalten wird, und vom Gemüse über Kleidung türkischer und chinesischer Herkunft bis zur Raubkopie amerikanischer Filme alles Mögliche erhältlich ist. Gering sind die Erwartungen in die Verhandlungen in Brüssel wie eine Straßenbefragung zeigt:
„Was für Verhandlungen, davon gibt es keinen Nutzen, so wie sie es wollen, das müssen auch wir akzeptieren. Das ist bereits alles gelaufen. Ich glaube überhaupt nicht an Serbien, das uns auf ganzer Linie verraten hat.“
„Wir hoffen, dass wir besser leben werden, dass wir uns frei bewegen können und Arbeit haben.“
Die soziale Krise ist das größte Problem in Leposavic. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 20 Prozent, denn wer setzt schon auf veraltete Firmen, die noch dazu in einer Krisenregion liegen? Die Krise spürt auch die Grundschule, in der 60 Lehrer 650 Schüler unterrichten. Dazu sagt die Direktorin Mirjana Barac:
„Eltern haben kein Geld, die Schulbücher oder die Teilnahme ihrer Kinder an Exkursionen zu finanzieren. Dann wenden sich die Eltern an die Schule, weil wir einen Fonds haben, und derartige Kinder oder Familien finanzieren, die mehrere Kinder haben. Diese Hilfe brauchen viele, und zwar etwa 40 Prozent aller Schüler.“
Die Schule unterrichtet nur nach serbischen Lehrplänen. Die einzige Institution, die nach kosovarischem Recht arbeitet, ist die KPS, die Polizei des Kosovo, bei der in Leposavic 60 Serben und fünf Albaner beschäftigt sind. Die Tätigkeit dieser Polizei weist wahrlich absurde Züge auf, die ihr stellvertretender Kommandant Srecko Radosavljevic so beschreibt:
„Wenn ein Ausländer ein Strafmandat nicht bezahlen will, das ich ausstelle, so hat er das Recht, dem Richter vorgeführt zu werden, der Vergehen abhandelt. Aber ich kann der Person keinen Richter gewährleisten, weil wir hier kein funktionierendes Gericht haben. Doch binnen zwei Jahren verjähren derartige Verkehrsstrafen.“
Denn seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vor fünf Jahren hat sich in Leposavic kein Serbe mehr gefunden, der als Bezirksrichter arbeiten will. Den Mangel an Rechtsstaat zeigen auch die vielen Autos, die im ganzen Nordkosovo ohne Nummerntafeln unterwegs sind, weil die Autos zu alt und zu gebrechlich sind, um eine Zulassung zu bekommen. All das zeigt, wie wichtig ein Kompromiss zwischen Serbien und dem Kosovo ist, denn von Rechtlosigkeit profitieren nicht nur Verkehrssünder, sondern auch die Organisierte Kriminalität, die bisher vor allem im Nordkosovo relativ leichtes Spiel hat.