Kapitalismuskritischer Roman von Jan Kossdorf
Kauft Leute
Am Stadtrand von Wien wird mit viel medialem Getöse eine neue Art von Groß-Markt eröffnet. "HÜMANIA" ist ein Abholmarkt für Menschen. Angeboten werden Arbeiter für die heimische Baustelle, Haushaltshilfen für ältere Herren, Toyboys oder musizierende Sex-Häschen, Omis für die Kinder oder Nachwuchs für Kinderlose, für jedes Bedürfnis gibt es den passenden Menschen, der sich - meist gegen Übernahme seiner Schulden - an Hümania verkauft hat.
8. April 2017, 21:58
An eine nette Familie vermittelt zu werden, erscheint vielen "Helden", wie die verkauften Menschen von Hümania genannt werden, besser, als in einem Obdachlosenasyl hausen zu müssen. Für die Kundinnen und Kunden ist die Begegnung mit der "Ware" das aufregendste Kauferlebnis, das es gibt.
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Wenn man von HÜMANIA las, einen Bericht im Fernsehen sah, oder das erste Mal den Gastro-Ring hinunterschlenderte, hatte man in Wirklichkeit noch nicht den geringsten Eindruck bekommen, worum es dabei ging. Es war blanke Theorie. Sah man sich aber das erste Mal dem gegenüber, was HÜMANIA verkaufte, löste das eine dermaßen starke Emotion aus, dass alles, was man vorher gehört und gelesen hatte, bedeutungslos wurde. Im Angesicht der "Ware" entschied das Herz allein, ob es dieses System akzeptierte oder nicht.
Der Hümania-Markt besteht aus einem Beratungszentrum, in dem man seine Wünsche deponieren und nach dem Durchlesen von Profilen seine Kaufentscheidung treffen kann, und aus den Ausstellungsräumen, in denen die Menschen in Vitrinen posieren. Interessiert man sich für einen, berührt man den Touchscreen der Vitrine. Die Anzahl der Berührungen wirkt sich auf den Preis aus. Je schneller man sich entscheidet, umso kostengünstiger der Kauf. Ist ein Mensch besonders begehrt, kommt es zur Versteigerung.
Fasziniert von der Geschäftsidee
Caro, gerade aus der Rehabilitation für Computerspielsüchtige entlassen, heuert als Werbetexterin und Produktgestalterin bei Hümania an. Abgestoßen von dem Menschenmarkt, ist sie dennoch fasziniert von der Geschäftsidee des Großunternehmens.
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In einer Welt, in der sich Produkte bloß um Nuancen unterschieden, in der Marken mit konstruierten Images um Aufmerksamkeit bettelten, hatten findige Menschen einen neuen Markt geschaffen, der so vital und anziehend war, dass man sich ihm nicht entziehen konnte. Und so wenig sie sich auch damit identifizieren konnte, so sehr wollte sie dennoch dabei sein. Vielleicht als Widerstand innerhalb des Systems, als Stimme der Vernunft, ein menschliches Regulativ. Auf jeden Fall aber dabei. Wenn das große Schiff ablegte, wollte sie an Bord sein.
Auch an Bord - wenn auch auf der Seite der Versklavten - ist der Weltenbummler Christian, der sich, von einem Freund um sein Geld gebracht, gezwungen sieht, sich Hümania auszuliefern. Er wird als Toy-Boy an eine reiche Münchnerin verkauft, die ihn ihrer Mutter zum Geburtstag schenkt. Seinen Warencharakter bekommt er schon auf der Fahrt nach München zu spüren, als er versucht, seine betrunkene Besitzerin davon abzubringen mit ihm ins kalte Wasser des Chiemsees zu steigen.
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Hör mal, du Knilch, wenn du jetzt nicht reinspringst, bringe ich dich sofort wieder in den Laden und schreib dir eine so gepfeffert fiese Online-Bewertung, dass dich der nächste Bauer zum Preis von einem Dreierpack Unterhosen kauft. Der verwendet dich tagsüber als Vogelscheuche und nachts als Arschfickuntersatz. Ich will nur schwimmen mit dir, du bist im Himmel, mach dir das klar!
Partnerkauf
Männer und Frauen kaufen sich Ersatzpartner. Reiche Männer können auf eine Tradition des Frauenkaufs zurückgreifen. Wobei die Frau aus dem Großmarkt nicht mehr als Gefährtin oder Geliebte getarnt werden muss.
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Er sieht keine Qualität darin, dass Leute glauben, sie wäre wirklich seine Freundin. Genauso wenig wie er sagen würde: "...dieser Porsche ist mir zugelaufen, und weil er mich so gern hat, bleibt er bei mir!" Er hat den Wagen gekauft, weil er ihn besitzen wollte und ihn sich leisten kann. Gleiches gilt für sein Haserl.
Frauen können auf keine Tradition im Männerkauf zurückgreifen, sie scheuen sich aber trotzdem nicht, mit einem Mann gesehen zu werden, für den sie Geld bezahlt haben.
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Weißt du, was das für die Ladys in dieser Stadt ist: Charity. Man hilft ja, wenn man den rausholt aus dem Schaufenster und seinem Elend.
Die Ware Mensch
Auch die zaudernde Caro wird vom geschmeidigen Marketingleiter Danesito damit gelockt, dass sie die Lage der verkauften Menschen verbessern kann.
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Es hat immer etwas Trauriges, wenn Wesen in irgendeiner Form bewertet werden, und manche schlechter abschneiden als andere. Ob das jetzt Menschen oder Hündchen sind, beides schlimm. Aber Sie können verhindern, dass das passiert. Ihre Aufgabe wird es sein, unseren Helden ihre Steckbriefe zu schreiben und ihre Profile zu festigen. Sie können herausarbeiten, welche Qualitäten sie besitzen, und wie man diese unseren Kunden vermitteln kann!
Nicht, dass Menschen bewertet werden, ist das Problem, sondern dass manche schlechter abschneiden als andere. Abgesehen davon, dass Danesito sie mit Hündchen gleichsetzt. Es wird immer nur ein Teil des Verwerflichen problematisiert - und dabei gleich relativiert - gerade so viel, dass Verständnis für das Unbehagen des Gegenübers geheuchelt werden kann.
Niemals aber wird die Grundprämisse hinterfragt: das Geschäft mit der Ware Mensch. Dieses wird wie ein Naturgesetz vorausgesetzt. Jede Kritik kreist um diese Grundprämisse und wird damit letztlich konstruktiv. Das System Hümania macht sich alles zunutze, was in seine Nähe kommt. Sobald die Möglichkeit, dass ein Mensch Ware sein darf, akzeptiert wird, werden auch Regeln geschaffen, mit denen man im Angesicht schreienden Unrechts gut leben kann.
Alles hip
Hümania gehört zum "Premium"-Segment des Menschenmarktes und legt Wert auf "Luxus-Content". Seine Ware soll möglichst gut aussehen und gut ausgebildet sein. In seiner Entwicklungsabteilung tummeln sich keine eiskalten Strategen im Business-Anzug, sondern kreative Jungs in T-Shirts und Jeans, die in den Arbeitspausen mit ferngesteuertem Spielzeug herumtoben.
Spaßorientiertheit, flache Hierarchien und Selbstironie zeichnet die Firmenkultur aus, während die "Ware" mittels Fußfesseln, Kameras und Security bewacht, in ihrem tristen Wohnheim dem nächsten Verkaufstag entgegendämmert oder - bereits verkauft - von seinem Besitzer mittels Schönheitsoperation umgestaltet wird.
Manche Besitzer machen ihre Sklaven zu Gefährten, die sie zu verwöhnen glauben, andere lassen sie in perversen Rollenspielen den Part des Besitzers einnehmen, wieder andere kaufen Kinder, um ihre Eunuchen-Kommune zu vervollständigen. Was unter "Menschenrechten" zu verstehen ist, erklärt der Publikums-Guide Lars auf seinen Führungen durch den Ausstellungstrakt.
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Die Menschenrechte werden in einem Sweatshop in Bangladesch auf Topflappen gestickt, die du später im HÜMANIA-Souvenirshop kaufen kannst.
Verschleiernde Sprache
Der Zynismus des Systems Hümania zeigt sich auch in dessen Sprachgebrauch. Begriffe werden umgedeutet. So werden aus Sklaven "Helden". Besonders begehrte Sklaven werden sogar "Working class heros" genannt.
Die Gesellschaft teilt sich in "Owners" und "Props", um die Härte der deutschen Wörter "Besitzer" und "Eigentum" zu vermeiden. Nicht zuletzt ist es der Begriff des Humanismus selbst, der zur Hümania oder Hü-Mania verbogen wird. So und nicht anders ist auch die Begeisterung am Menschen zu verstehen, wie sie von einem Manager in seiner Begrüßungsrede eines messe-ähnlichen Firmenevents geäußert wird.
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Die Welt verändert sich. Privilegien verschwinden. Verdienste wiegen nicht mehr so schwer wie in früheren Zeiten. Wer Eigentum besitzt, gerät mehr und mehr in Erklärungsnotstand. Erfolg gilt vielen als Makel. Aber eines ändert sich nicht: Unser Glaube an den Menschen. Die Freude am Menschen. Wir kriegen einfach nicht genug von ihm!
Aus bezahlter Arbeit wird Sklaverei
Vieles in Jan Kossdorffs weitverzweigter und ausgeklügelter Konsumdiktatur ist dem Leser bereits aus seinem Alltag vertraut. Die "Profile" der "Props" unterscheiden sich nur wenig von den Selbstanpreisungen in Bewerbungsschreiben. Die "Real Life Avatare", diese operativ nach einem Barbie-Puppen-Schönheitsideal umgestalteten Gesichter, blicken uns von Plakaten und aus dem Fernsehen bereits entgegen.
Auch die Sprache Hümanias ist uns nicht ganz fremd, die vielen Anglizismen etwa haben nicht nur ins Business-Umfeld Einzug gehalten. Wie auch jene verschleiernden Umbenennungen, die aus "Problemen" "Herausforderungen" machen, aus "Entlassungen" "Freisetzungen" und aus dem "wirtschaftlich Schwachen" gleich einen "sozial Schwachen".
Auch der Menschenhandel selbst ist Realität - wenn auch noch illegal. Denn ein Kapitalismus, in dem die menschliche Arbeitskraft immer billiger werden muss, muss - zu Ende gedacht - in der Sklaverei münden. Die billigste Arbeitskraft ist nämlich der Zwangsarbeiter.
Für nichts und niemanden verantwortlich
Auch einzelnen Figuren bei Kossdorff glaubt man schon begegnet zu sein. Der hedonistische, alles verdrehende und alles verkaufende Opportunist Danesito ist ein Typus, wie er in vielen Marketingabteilungen großer Firmen zu finden ist. Er ist weder naiv noch verblendet noch gewissenlos, er hat sich nur dafür entschieden, sich für nichts und niemanden verantwortlich zu fühlen. Für ihn sind "Ware" wie Kunden Verlierer.
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Auch wenn es keine Grenzen gibt für das, was wir uns kaufen können, stoßen wir auf viele Grenzen, wenn es darum geht, was wir uns davon versprechen. Wenn es uns so sehr wollte, wie wir es, hätten wir ja nicht dafür zahlen müssen, oder?
Jan Kossdorff legt mit "Kauft Leute", seinem dritten Roman, eine Kapitalismuskritik vor, die in ihrer abgefeimten Intelligenz ähnliche Unternehmungen weit hinter sich lässt. Aus Elementen bereits bestehender Missstände und Usancen konstruiert er eine Zukunft, die so drastisch wie wahrscheinlich, nur mehr wenige Zentimeter von uns entfernt zu sein scheint.
Nachdem das letzte Tabu, die Freiheit des Individuums, gefallen ist, verwandelt sich die Welt bis in die intimsten Winkel in einen Markt und in ein geschlossenes System der Abhängigkeit. Diese Verwandlung geht nicht verschwörerisch und heimlich vonstatten, sondern verlockend und vor aller Augen. Kossdorff, u. a. Werbetexter, nähert sich seinem Thema praktisch und anschaulich, hier werden keine marxistischen Theorien gewälzt, sondern es wird gezeigt, wie es geht, aus Menschen einerseits Produkte, andererseits Konsumenten Ihresgleichen zu machen. Ein Leseerlebnis - vergnüglich und nachhaltig verstörend!
Service
Jan Kossdorf, "Kauft Leute", Milena Verlag
Milena Verlag