Nassim Nicholas Taleb über Zufälle
Antifragilität
Er war Finanzmathematiker und hat als Spezialist für komplexe Finanzprodukte in mehreren Wall Street-Firmen gearbeitet, bevor er eine zweite Karriere als Wissenschaftler begann. Und eine dritte als Bestsellerautor. Um Zufälle und die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse geht es in seinem neunen Buch.
8. April 2017, 21:58
Erfolgreicher Spieler
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Ich will das Feuer sein, das sich den Wind herbeiwünscht. Damit ist die alles andere als zaghafte Haltung des Autors gegenüber Zufälligkeit und Ungewissheit umrissen.
Dieser Autor ist ein Spieler und zum Wesen des Spielers gehört, dass er wenigstens für einen Moment glaubt, die Gesetzmäßigkeiten des Lebens aushebeln zu können, dass ihm also etwas Außergewöhnliches gelingen kann, etwas, das sich einer einfachen Erklärung entzieht.
Als Hedgefonds-Manager wettete Nassim Nicholas Taleb auf die Pleite des Bankhauses Lehman Brothers - auf ein Ereignis also, von dem man in der Finanzbranche bis dahin annahm, es würde nicht eintreten. 2007 hatte Taleb in einem Buch so ein Ereignis einen "Schwarzen Schwan" genannt. Wenn in einem durchgeplanten System etwas Unvorhergesehenes und vermeintlich Unmögliches eintritt, kollabiert dieses System.
Das Unvorhersehbare als fixe Größe
Taleb machte aus dem Crash von 2008 gleich mehrfach sehr viel Geld. Erstens mit der gewonnenen Wette, zweitens mit seinem Buch "Der Schwarze Schwan", das sich drei Millionen Mal verkaufte und ihn in die Liga der hochbezahlten Redner und Berater hievte, was ihm drittens einen Vorschuss von vier Millionen Dollar auf das nächste Buch einbrachte: "Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen" ist der Titel dieses Buches, und es scheint, als treibe Taleb damit einmal mehr Spiel - diesmal mit seinen Lesern. Man fragt sich nämlich über sechshundert Seiten lang, was genau hier vermittelt werden soll.
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Wir wollen Ungewissheit nicht nur knapp überleben, nicht nur gerade einmal davonkommen. Wir wollen Ungewissheit vollkommen unbeschadet überleben und darüber hinaus - wie eine bestimmte Klasse streitlustiger römischer Stoiker - das letzte Wort haben.
Schön und gut, doch eine Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen, ist dieses Buch trotzdem nicht, schon deshalb nicht, weil nicht einmal Taleb erklären kann, wie und warum man ein Labyrinth gerade biegen soll. Zumal es Taleb darum geht, das Labyrinthische, Unverständliche, Unübersehbare, Unberechenbare als Gegebenheit anzunehmen, anstatt sein Glück in Sicherheit und Kontinuität zu suchen. Zugegeben, das hat schon etwas, denn es geht hier nicht um Flexibilität bis zum Burnout, die uns von neoliberaler Seite als naturgesetzlicher Weg zum Glück verordnet wird - im Gegenteil: Es geht darum, sich locker zu machen fürs Improvisieren, Hakenschlagen, Neubeginnen.
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Wir sind im Großen und Ganzen besser, wenn wir handeln, als wenn wir denken, und das verdanken wir der Antifragilität. Ich bin auf jeden Fall lieber dumm und antifragil als hyperintelligent und fragil.
Fragile Sicherheit
Wir Menschen, so Talebs Auffassung, sind ziemlich beweglich, kein Unglück, keine Katastrophe, kein Krieg, kein Verlust kann uns daran hindern weiterzumachen, Pläne abzuändern, etwas Neues aufzubauen. Diese Beweglichkeit hat stark unter dem Glauben gelitten, mittels Planung und Kontrolle ließen sich die Unwägbarkeiten des Daseins in den Griff bekommen.
Diese Sicht der Dinge nennt Taleb fragil: weil ein einziges unerwartetes Ereignis die Plan- und Kontrollierbarkeit infrage stellt und Menschen paralysiert, da sie nicht wissen, was sie falsch gemacht haben. Antifragil bedeutet: immer damit zu rechnen, dass das Unerwartete eintritt und deshalb der eigenen Beweglichkeit zu vertrauen.
Der gebürtige Libanese Taleb spricht da aus eigener Erfahrung. In einem Land, das Stabilität nie gekannt hat, ist die Bevölkerung nicht zwangsläufig verzweifelt und resignativ. Die Menschen improvisieren, gesellschaftliche Strukturen funktionieren, Augenblicke des Glücks sind ihnen nicht fremd. Und nichts Unvorhergesehenes kann sie aus der Bahn werfen. Dergleichen Antifragilität macht die Welt, die man nicht versteht, erträglich. So zumindest schreibt es Nassim Nicholas Taleb.
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Politiker führen in ihren Reden als Ziel und Versprechen so zaghafte Vorstellungen wie Resilienz oder Stabilität an, nicht aber Antifragilität, und ersticken damit Wachstums- und Evolutionsprozesse im Keim. Wir wären heute nicht da, wo wir sind, wenn unsere Entwicklung von Politikern abhängig wäre - sie beruht vielmehr auf der Risiko- und Irrtumsbereitschaft einer bestimmten Sorte von Menschen, die wir ermutigen, in Schutz nehmen und respektieren müssen.
Wahr und unwahr zugleich
Damit seine wohl auch fragwürdigen Thesen etwas hermachen, stopft Taleb viel Philosophisches, Literarisches, Soziologisches, Ökonomisches, Psychologisches und Autobiografisches in den Text, mixt das Ganze zu einer stellenweise amüsanten Behauptungs- und Vermutungsprosa, die, um die Begrifflichkeit des Autors zu übernehmen, selbst antifragil ist: nämlich wahr und unwahr zugleich. Alles kann so aber auch ganz anders sein, und würde man aus diesem Buch ganze Kapitel herausstreichen, würde es dennoch funktionieren, weil an anderen Stellen Seitenarme herauswüchsen, die Talebs schwatzhaftes Philosophieren ins Unendliche weiterführten.
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Wenn ich den Satz "Ich handle nach ethischen Grundsätzen" höre, werde ich nervös. Noch nervöser werde ich, wenn ich von Ethik-Seminaren höre. Alles, worum es mir geht, ist die schlichte Via-Negativa-Methode anzuwenden. Der Rest kommt von allein.
Antifragilität ist ein hybrides Buch, das von allem und nichts handelt. Das sollte man wissen und das muss man aushalten. Dann ist es nämlich recht unterhaltsam. Wem einigermaßen an Klarheit und stringenten Gedankenabläufen gelegen ist, der wird es rasch in die Ecke pfeffern.
Service
Nassim Nicholas Taleb, "Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen", aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Held, Knaus Verlag
Knaus Verlag