Feldzug gegen Kultur in Saudi-Arabien

Mekka ist die Hauptstadt der islamischen Welt, doch das historische Mekka gibt es nicht mehr. Seit 2010 ist die Stadt Gegenstand gigantischer Umbaumaßnahmen, bis 2020 sollen diese abgeschlossen sein. Sein historisches Gesicht hat Mekka dann wohl für immer verloren.

Morgenjournal, 9.4.2013

Die Reise nach Mekka ist Höhepunkt im Leben eines jeden Moslems. Seit dem 7. Jahrhundert pilgern die Anhänger des Propheten Mohammed hierher, in die saudische Wüste, 90 Kilometer ostwärts der Hafenstadt Dscheddah. Doch was die Pilger hier seit kurzem zu sehen bekommen, das hätten sie sich in ihren wildesten Träumen nicht vorstellen können:

Nicht der Azan, der Aufruf zum Gebet, bestimmt die Klanglandschaft, sondern das Kreischen der Bauwerkzeuge und das Hämmern der Bagger. Ein Wald von Kränen umringt die Große Heilige Moschee und ihr Zentrum, die Kaaba. Wolkenkratzer drängen unmittelbar an das Allerheiligste des Islam heran - vor allem ein 601 Meter hoher Hotelturm, der sogenannte Abraaj al-bait, das volumenmäßig größte Gebäude der Welt - ein gigantischer Shopping- und Hotelkomplex für reiche Pilger.

Intellektuelle laufen Sturm

Der saudische Architekt Sami Angawi kämpft seit Jahren gegen die brutale Modernisierung Mekkas und en Ausverkauf der heiligen Stadt. Er sagt: "Die Stadt Mekka wurde von Abraham gegründet, der Prophet Mohammed hat hier seine göttliche Offenbarung erfahren. Die Menschen kommen aus der ganzen Welt hierher, um auf den Pfaden Mohammeds zu wandeln, Bauwerke aus seiner Zeit zu sehen, die Überreste und die Natur, die Berge der Umgebung. Doch Mekka ist vom richtigen Weg abgekommen. Geld und Gier geben den Ton an, das ist empörend."

Saudische Intellektuelle wie Sami Angawi und der Künstler Ahmed Mater laufen Sturm gegen die Wolkenkratzer und städtebaulichen Veränderungen, die im "Mekka Projekt 2020" geplant sind. 37 Hochhäuser mit je 41 Stockwerken. Doch ihr Protest kommt zu spät. Ganze Hügel sind in unmittelbarer Nachbarschaft der Haram-Moschee abgetragen worden. Eine private Baugesellschaft überzieht alles mit Beton. Es ist die Saudi bin Laden Group. Aus der Familie des Firmengründers stammt übrigens auch Osama bin Laden.

Mekkas kulturelles Erbe wird durch die Bauarbeiten gnadenlos zerstört. "Schauen Sie nur, dort die neuesten Zerstörungen", so der Künstler Ahmed Mater. "Die alten ottomanischen Bögen, die die Haram-Moschee umgeben, sie wurden teilweise abgerissen, man sieht da unten noch die Ruinen. Auf den offiziellen Fotos von Mekka werden die Zerstörungen kaschiert; dort wird die ottomanische Architektur per Photoshop wieder hinzugefügt, als habe sich nichts geändert. Das ist Betrug."

Klerus fördert die Zerstörungen

Tatsächlich scheint Saudi-Arabien sein eigenes Kulturerbe gerade mit aller Macht beseitigen zu wollen. Die Behörden führen einen wahren Vernichtungskrieg gegen Kunst und Geschichte. Das Haus von Khadidja beispielsweise, Mohammeds erster Ehefrau, wurde vor kurzem abgerissen und an seiner Stelle eine öffentliche Toilette errichtet. Dort, wo einst das Haus Abu Bakrs stand, eines Gefährten Mohammeds, des ersten Kalifen von Mekka, erhebt sich heute das Hotel Hilton. Benachbarte Häuer wurden planiert, um einem Parkplatz Raum zu schaffen.

Der Klerus verhindert die kulturellen Zerstörungen nicht etwa - ganz im Gegenteil, er fordert sie geradezu heraus. Die Wahhabiten, eine besonders strenge puritanische Variante des Islamismus, stecken selbst als treibende Kraft hinter der Einebnung von Friedhöfen, der Zerstörung von Kuppeln und Gräber von Heiligen. Da die Wahhabiten seit dem 18. Jahrhundert mit der Familie des Königshauses verbündet sind, haben sie die Regierung praktisch in der Hand.

Die saudische Kulturpolitik lässt sich kaum von al-Qaida unterscheiden. Die Wahhabiten predigen nicht nur die Vernichtung von vorislamischen, als heidnisch empfundenen Kulturdenkmälern, sie ist auch nicht begrenzt auf außerislamische Kunstwerke, wie etwa der Buddhas von Bamyan in Afghanistan. Ihr Hass richtet sich vor allem gegen die islamische Kunst selbst. Über 300 Kulturstätten wurden in den letzten Jahren in Saudi-Arabien systematisch vernichtet. Seit der chinesischen Kulturrevolution hat es solche massiven Zerstörungen nicht mehr gegeben.

Der Westen schaut zu

Der Westen schweigt dazu. Niemand wagt es, die saudische Regierung und ihre barbarische Kulturpolitik zu kritisieren. Schließlich gilt Saudi-Arabien als Verbündeter des Westens, der doch eigentlich die Region demokratisieren will.

Der saudische König nennt sich offiziell "Hüter der beiden Heiligen Moscheen", gemeint sind Mekka und Medina. Doch Mekka verkommt zur Shopping Mall. Ausgerechnet in der spirituellen Hauptstadt der islamischen Welt feiert der Kapitalismus, der primitivste Kommerz, seinen größten Triumph. Ein spiritueller Ausverkauf, der in der Geschichte einmalig ist.

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