Gedichte von Gabriele D'Annunzio
Alcyone
Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sorgte der italienische Dichter Gabriele D'Annunzio für reichlich Aufsehen. Er gilt bis heute als schillernde und umstrittene Figur der europäischen Dekadenzdichtung.
8. April 2017, 21:58
In Erinnerung geblieben sind doch hauptsächlich seine spektakulären Aktionen als Flieger, Kriegskommandant im dalmatischen Fiume und notorischer Frauenverführer. Zwischen Kitsch, Größenwahn und Todessehnsucht sind seine Theaterstücke, Romane und Gedichte stofflich und motivisch angesiedelt. Sein erotisch aufgeladener Frauen- und Todeskult, vermengt mit römischen Cäsarenwahn, Technikbegeisterung und Antikensehnsucht ist Zeugnis einer eigenwilligen, widersprüchlichen Ästhetik - angesiedelt irgendwo zwischen Romantik und europäischer Dekadenzliteratur.
Wenige seiner Romane sind heute noch in deutscher Sprache lieferbar. Zum 150. Geburtstag D'Annunzios am 12. März hat der Berliner Elfenbein Verlag nun den im deutschen Sprachraum wenig bekannten Gedichtzyklus "Alcyone" in vollständiger Übersetzung herausgebracht.
Das poetische Hauptwerk
Der "Alcyone"-Zyklus, eine Sammlung von 88 Gedichten, erschien in den Jahren 1899 bis 1903 und gilt als D'Annunzios poetisches Hauptwerk. Es ist so etwas wie das lyrische Tagebuch des skandalumwitterten Dichters, der um 1900 seine kreativste Phase durchläuft und wie in den etwa gleichzeitig veröffentlichten "Lobliedern des Lebens" den mythischen, antiken Glanz italienischer Landschaft besingt.
Zitat
O Zeus, du größter aller Tyrannen
Du bist mit Verbrechen
Und Gewalttaten bedeckt,
mit Beute beladen
Du allein bis die höchste Unschuld
Alcyone ist der Name eines Sternes aus dem Sternbild der Pleiaden und als Halkyone auch der Name einer Villa in Saló am Gardasee, die der Dichter Otto Erich Hartleben bewohnte; einen Ort weiter in Gardone Riviera bewohnte D'Annunzio eine prachtvolle Vila. Damit sind viele Assoziationsräume eröffnet.
Bei Nietzsche, der großen Einfluss auf die Ideenwelt D'Annunzios hatte, ist von den "halkyonischen Tagen" die Rede. Es ist das beziehungsreiche Spätsommerklima im milden Sonnenschein, umspült von leisem Meerrauschen.
Der Regen im Pinienhain
Die Entstehung der Gedichte erstreckt sich über viereinhalb Jahre. Schauplatz ist die Versilia, ein Küstenstreifen der nordwestlichen Toskana. Die Stimmung ist bukolisch, eingebettet zwischen Meer, duftenden Pinienwäldern und apuanischen Alpen.
Eines der meistzitierten Gedichte des Zyklus' und vielleicht auch im Gesamtschaffen D'Annunzios ist "La Pioggia nel pineto" - Der Regen im Pinienhain -, ein virtuoses, klangmalerisches Stück über den Zauber des Sommerregens. Wie eine Form kunstvoller Lautmalerei, fast naturalistisch, lauscht das Gedicht dem Auf- und Abschwellen des Regenschauers nach.
Zitat
Hörst du? Der Regen fällt
auf die dürren Pflanzen
mit einem Tanzen, das währt
und sich mehrt und leert,
wie das Laub es erlaubt,
wie das schüttre ihn hält.
Horch: Antwort beut
dem Weinen der Sang
der Zikade
die vorm südlichen Bade
nicht scheut
noch vor aschenen Himmels Linie.
Und die Pinie
hat ihren Klang
und die Myrte den ihren;
der Wacholder noch andern; Lyren
hundertfalt
unter unzähligen Fingern.
Eigenwillige Reime und Wortspiele
"Alcyone" ist kein Zyklus schwärmerischer Naturbeschreibungen, die sich in schlichten Nachahmungen ergehen. D'Annunzios Repertoire an eigenwilligen Reimen, Wortspielen, Sprachnuancen und sinnlichen Wendungen, überschreitet immer wieder die Grenze zum Mythischen. In "Alcyone" kann man den Abenteurer und Genussmensch als großen Lyriker entdecken, der sich auf die Erotisierung der Natur versteht - wie im Gedicht "Bocca D'Arno" - Arnomündung:
Zitat
Noch niemals war mir je ein Frauenmund von solcher Süße auf dem Liebespfade - wenn nicht der deine, deine, sanft sich neigend - wie jene stille Mündung, bleich und schweigend, des Flüssleins, das in Falterona quillt.
Gab so gelöst und mild je - wenn nicht du - sich eine Frau zu eigen wie dieses Stroms Gestade? Er singt nicht; und doch fließt er hin wie Melodie zum Bade der Bitterkeit.
Was seine Schönheit sei, kann ich nicht künden: wie einer, welcher Klänge hört, wenn er schläft; und Unbekanntes dränge zu seines Schlafes Gründen.
Ein Kunstwerk italienischer Sprache
In seinen starken Momenten ist "Alcyone" ein poetischer Paradiesgarten, voll mit Anspielungen auf die Schönheiten toskanischer Kunst- und Kulturlandschaft. Gelegentlich tönt es nach hohlem Pathos, wenn D'Annunzio allzu eklektisch in Dantes "Göttlicher Komödie" oder in der Renaissance-Dichtung stöbert. Alles in allem aber gehört "Alcyone" zu den sprachmächtigsten lyrischen Kunstwerken italienischer Sprache des frühen 20. Jahrhunderts und liegt nun in einer anmutig-schönen, den mediterranen Geist behutsam aufgreifenden und aber nie schwülstigen deutschen Fassung vor.
So lernt man endlich D'Annunzio als assoziationsreichen Sprachschöpfer und großen Lyriker kennen und verliert den Tausendsassa und schrillen Kraftmenschen für eine Weile aus den Augen.
Service
Gabriele D'Annunzio, "Alcyone. Lobgesänge des Himmels, des Meeres, der Erde und der Helden", übersetzt von Ernst. J. Dreyer, Geraldine Gabor und Hans Krieger, Elfenbein Verlag
Elfenbein Verlag