John Burnside im Rabenhof

Nur wenige Schriftsteller sind als Lyriker und als Romanautoren erfolgreich - wie der Schotte John Burnside. In seinem neuen Roman "In hellen Sommernächten" bringt er seine hochpoetische Sprache und seine Vorliebe für das Unheimliche zusammen: Mysteriöse Todesfälle erschüttern das Leben einer jungen Frau, die auf einer norwegischen Insel lebt.

Morgenjournal, 11.5.2013

Wolfgang Popp hat mit John Burnside über skandinavische Mythen und die Irrationalität des Alltags gesprochen.

Mythen im Alltag

Das Leben der 18-jährigen Liv gerät völlig durcheinander, als zwei ihrer Schulkollegen auf geheimnisvolle Weise ertrinken. Nichts weist auf Selbstmord hin und außerdem gibt es da auch noch eine rätselhafte junge Frau, die zusammen mit den beiden jungen Männern gesehen wurde. In dieser Figur habe er, so John Burnside, Wirklichkeit und Mythos verknüpft: "Die Huldra ist eine mythische Figur aus der skandinavischen Sagenwelt. Sie ist ein bösartiger Troll, der immer in Gestalt einer wunderschönen Frau auftritt, um junge Männer ins Unglück zu stürzen. Wenn der Mann es aber nur für einen Augenblick schafft, über ihrer Schönheit hinwegzusehen, dann entdeckt er hinter ihr eine große Leere."

John Burnside ist aber weit davon entfernt, in esoterische Geisterwelten oder Mythenkitsch abzudriften. Bei ihm wird die Wirklichkeit zwar porös, ohne aber vollständig zu zerbröseln. Und daran, dass Mythen in unserem Alltag eine große Bedeutung haben, meint er, bestehe wohl kein Zweifel: "Wir leben in einer pseudowissenschaftlichen Welt, in der sich scheinbar alles um Fakten dreht. Dabei müssen wir uns nur bei unserem täglichen Einkauf beobachten, um festzustellen, dass Fakten nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn wir zu einem Produkt greifen, dann geht es dabei doch weniger um dessen tatsächliche Qualität, sondern darum, was Verpackung und Name emotional bei uns auslösen."

John Burnside, Jahrgang 1955, erzählt die Geschichte aus der Perspektive der jungen Liv. In der Literatur gehe es nämlich nicht darum, sagt er, eigene Erfahrungen niederzuschreiben, sondern neue Erfahrungen zu machen: "Das Prinzip, nur über das zu schreiben, worüber man Bescheid weiß, wird völlig überschätzt. Hemingway war dieser Meinung und er hat damit eine Tradition begründet. Mir gefällt aber nicht, was ich weiß, also aus der Perspektive eines Mannes in seinen mittleren Jahren zu schreiben."

Eine wichtige Rolle im Roman spielt die Kunst, denn die Mutter, mit der Liv alleine und abgeschieden lebt, ist eine berühmte Malerin. Sie nützt John Burnside, um über das Porträtieren nachzudenken, über das Schauen und über die Macht des Blicks: "Wie wäre es wohl, wenn wir nicht ständig beobachtet würden. Die Blicke der anderen formen uns schon, bevor wir überhaupt die Möglichkeit haben, selbst über unser Leben zu entscheiden. Das ist wie eine Verschwörung. Man versucht sich treu zu sein, das ganze Umfeld flüstert einem aber ein, nein, du wirst werden wie wir. Ich will aber nicht werden, wie meine Umgebung. Ich will herausfinden, wer ich sein kann, wenn ich allein gelassen werde."

Genau diese Suche ist es, die John Burnsides Roman "In hellen Sommernächten" antreibt. Und das geschieht in einer Sprache für die das gleiche gilt wie für die geheimnisvolle Huldra. Dass sie nämlich gleichzeitig schön unheimlich ist und unheimlich schön.