Bibelkommentar zu Lukas 9, 11b - 17
Das Fronleichnamsfest gehört zu den stärksten religiösen Erinnerungen meiner frühen Kindheit: die farbenprächtige Prozession über mit Blüten bestreute Straßen zu den mit jungen Birken geschmückten Feldaltären, begleitet von Blasmusik und anderen Gruppen in Tracht und Uniform; und im Zentrum des ganzen Festumzugs: der Priester mit der goldglänzenden Monstranz.
5. Juni 2013, 11:38
Sogar schon vor meiner Erstkommunion wusste ich, dass darin das heilige Brot der Eucharistie zur Schau gestellt wird, und dass es bei diesem hohen Fest mit seinem seltsamen Namen "Fronleichnam" gerade nicht um etwas Totes geht, sondern um das, was die Erwachsenen ehrfurchtsvoll "das Allerheiligste" nannten oder - für mich als kleinen Buben zumindest ein wenig handgreiflicher - "das heilige Lebensbrot".
Nicht von ungefähr kreisen ja auch die biblischen Lesungen an diesem Festtag immer um dieses eine Thema: Jesus, das Brot des Lebens; Jesus, der sich im letzten Abendmahl den Seinen schenkt als Brot und Wein; (heute:) Jesus, der auf wunderbare Weise den Hunger aller stillt.
Eines hat mich allerdings schon als kleiner Bub verwundert: Wenn zu Fronleichnam das eucharistische Brot schon auf so besondere Weise gefeiert, also im Festumzug durch die Straßen getragen und aller Welt gezeigt werden soll - weshalb tut man es dann just so, dass man genau dieses Zentrum des ganzen Festes eigentlich kaum mehr wahrzunehmen vermag?
Inmitten dieser bunten Kirchendemonstration, in der Blasmusik, Trachtengruppen und andere Vereine schon fast die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen - da wird die schlichte, kleine Hostie auch noch selbst beinahe ganz verdeckt und gleichsam überstrahlt von einer prachtvollen, mit Blumen bekränzten Monstranz. - So sehr mich das festliche Gepränge der Fronleichnamsumzüge als Kind beeindruckt hat - mir kam die winzige heilige Hostie schon damals vor wie ein kostbares Kleinod, dem man einen derart überdimensionierten Rahmen verpasst hat, dass es darin praktisch verschwindet.
Als ob der Bilderrahmen wichtiger wäre als das Bild selbst! Einige Jahre später, als kritischer und etwas aufmüpfiger Jugendlicher, regte sich in mir sogar der Verdacht, dass es den meisten Menschen vielleicht nicht einmal mehr auffallen würde, wenn der Pfarrer die Hostie einmal ganz weglassen und mit der leeren Monstranz durch die Straßen ziehen und die Menschen segnen würde.
Heute, selbst Priester der katholischen Kirche, halte ich diesen Gedanken für gar nicht so aufmüpfig, sondern für geradezu essentiell im Sinne notwendiger kirchlicher Selbstkritik. Übrigens scheinen mir viele Zeichen und Gesten, die der neue Papst Franziskus oft überraschend, aber mit beinahe irritierender Selbstverständlichkeit setzt, ebenfalls in die Richtung genau dieser selbstkritischen Frage zu weisen, die da lautet: Droht nicht vieles, was sich im Laufe der Jahrhunderte im kirchlichen Leben angesammelt und eingebürgert hat an Traditionen, Kleidermoden und Ritualen, aber auch an Denkmustern, Regeln und Normen, an unverzichtbar erscheinenden Strukturen und vermeintlichen Glaubenswahrheiten - droht nicht vieles von alldem genau das zu überlagern und vergessen zu machen, worum es in der Kirche doch eigentlich gehen müsste, was ihr eigentlicher Kernauftrag wäre und was bleibend die Mitte und das Ziel allen kirchlichen Handelns sein müsste?
Wurde nicht genau um diesen Kern herum ein ungeheurer, zuweilen pompöser Rahmen aufgerichtet und damit vielfach verdeckt, was Jesus in ganz einfachen Worten als Zweck seiner Sendung beschrieben hat - und insofern auch als Sendungszweck der Kirche, die sich doch als sein Leib verstehen möchte: Armen eine gute Nachricht bringen, Gefangene und Zerschlagene in Freiheit und Blinde ins Licht setzen - und sich um gerechte soziale Verhältnisse sorgen? Oder, wie es das Evangelium des heutigen Festtags kurz und bündig als Auftrag formuliert: Gebt ihr den Hungrigen zu essen!?
Als wichtigster Moment des ganzen Fronleichnamsfestes erscheint mir deshalb heute der Augenblick, in dem der Priester das heilige Brot wieder aus der Monstranz nimmt und vom Zauber und Gepränge des ganzen Festes befreit.