Frauen und der Wille zum Erfolg

Lean in

Frauen machen deshalb so selten Karriere, weil sie dazu neigen, sich selbst zu sabotieren, den Rest erledigen andere von außen.

"In jedem Land auf dieser Welt – Ihres und meines eingeschlossen – werden mehr als 95 Prozent der großen Firmen von Männern geleitet. Kein einziges Unternehmen der 30 Premium- Werte im deutschen Aktien Index DAX hat eine Chefin."

So fasst Sheryl Sandberg die Misere zusammen. Aber diese Zahlen sind nur ein Teil des Problems. Da gibt es noch einen anderen Aspekt, der schwerer wiegt, weil er den Schluss zuließe, dass aus dem ganzen Thema ohnehin die Luft raus ist. Folgender: Bis vor zehn Jahren stieg die Zahl der weiblichen Führungskräfte stetig ein klein wenig an, bis sie den Anteil von 14 Prozent in den USA erreicht hatte. Seither stagniert sie.

"Das Problem ist, es gibt nichts Neues. Es gibt keine Fortschritte mehr. Und das alarmiert uns. Denn schließlich wurde uns Gleichberechtigung versprochen."

Es gibt nichts Neues. Das ist auch die Krux dieses Buches. Leserinnen im reifen Alter erleben Seite für Seite ein Déjà vu. Inhaltlich ist dieses feministische Manifest, wie die Autorin es nennt, wenig anspruchsvoll, obwohl es über 40 Studien verarbeitet.

Die bei weitem wichtigste ist die Heidi und Howard Studie, wonach ein Mann von seinem Umfeld für eine steile Karriere belohnt, eine Frau eher dafür bestraft wird, und zwar mit dem Entzug von Zuneigung. Die Studie ist 10 Jahr alt. Aber es ist eben Sheryl Sandberg, die hier schreibt, Chief Operating Officer bei Facebook, die rechte Hand von Mark Zuckerberg, eine der hundert einflussreichsten Frauen weltweit – laut Time Magazine, 26 Millionen Dollar Jahreseinkommen.

Also nimmt man die drei wichtigsten Karriere-Tipps, die sie in ihrem Buch "Lean in" verbreitet, mit Interesse zur Kenntnis: Häng dich rein! Lächle! Optimiere Dein Selbstbewusstsein!

"Die Erhebungen zeigen uns ein ziemlich beachtliches Gefälle, was das Selbstbewusstsein von Frauen im Unterschied zu Männern angeht. Meine Generation von Studentinnen – ich bin jetzt 43 – wir haben nie über Work-Life-Balance gesprochen. Wir waren schlicht davon überzeugt, dass wir beides haben können. Wir hatten dieses Selbstvertrauen. Wenn man aber die heutigen Studentinnen befragt, dann stellt sich heraus, dass sie glauben, sich entscheiden zu müssen: Beruf oder Familie. Das Selbstvertrauen der jungen Frauen nimmt ab. Und das macht mir Sorgen", sagt Sandberg.

Nun stellt Sandberg, die zwei Abschlüsse der Elite-Universität Harvard in der Tasche hat, offiziell nicht in Abrede, dass auch die Entscheidung für ein Leben als Ehefrau und Mutter ein Zeichen für Selbstvertrauen sein kann. Jedenfalls wiederholt sie das im Buch wie ein Mantra.

Aber wichtig ist ihr etwas anderes: Die Mutter zweier Vorschulkinder und Ehefrau eines IT-Unternehmers wurmt, dass sie bei Geschäfts-Meetings meist die einzige Frau im Raum ist. Woran das liegt? Zur Erklärung erzählt sie folgende Anekdote:

"Auf meiner Hochzeit, ich bin die Älteste von drei Geschwistern, da hielten mein Bruder und meine Schwester eine Rede: ‚Sie denken vielleicht, wir wären Sheryls jüngere Geschwister, aber in Wahrheit waren wir ihre ersten Angestellten. Denn Sheryl hat als Kind nicht gespielt, sondern sie hat die Spiele der anderen Kinder organisiert. … Und jeder lachte."

Im Buch wird diese Anekdote noch breiter ausgeführt. Dort beschreibt sie sich als Kommandeurin der Geschwister, die auf Anweisungen und Reden der Älteren mit dem Ausruf "Genau!" zu reagieren hatten.

Dies ist eine der ganz wenigen Stellen im Buch, wo Sheryl Sandberg persönlich wird, und dann ist es auch noch so, als würde sie das Problematische an dieser Geschichte nicht spüren. Einerseits sollten mächtige Chefinnen sich natürlich nicht ihrer Dominanz schämen. Sie müssen bestimmen, sonst wird es chaotisch. Aber schon als Kind auf diese Rolle festgelegt sein, das scheint auch einen Mangel zu verbergen, vielleicht einen Mangel an Innerlichkeit, an Selbstzufriedenheit.

Ist es nicht ein wenig traurig, wenn ein Kind – ob Junge oder Mädchen - nicht für sich selbst spielen kann, sondern immerzu andere organisiert? Die Scham, die sie empfindet, bezieht sich womöglich gar nicht auf ihre frühen Managerqualitäten, sondern darauf, dass sie die Geschwister zur Hebung des eigenen Selbstwertgefühls benutzt hat. Und bei der Hochzeitsrede haben die es ihrer großen Schwester ein wenig heimgezahlt.

Deshalb das Buch. Sandberg möchte endlich keine gutbezahlte, prominente Außenseiterin mehr sein. Sie möchte, dass ihr Verhalten auch unter Frauen als normal gilt. Normal ist, was viele tun. Bis jetzt ist Sheryl Sandberg erst eine von drei Superchefinnen in der IT-Branche weltweit.

"Unsere Einstellung Männern und Frauen gegenüber ist so unterschiedlich. Und deswegen leben wir in einer von Männern dominierten Welt. Und ich bin mir nicht sicher, ob das so gut läuft. Wir könnten es besser machen", sagt Sandberg.

Dieser Gedanke klingt einigermaßen verwegen. Warum sollten Frauen es besser machen können als Männer? Weil sie sich bisher rausgehalten haben? Weil Frauen Kinder kriegen und deshalb fürsorglicher sind? Oder weil sie ganz anders wirtschaften würden, wenn man sie nur ließe? Nicht nach den herrschenden Regeln, sondern auf eigene Weise.

Dieser Satz steht auf Seite 70, ohne dass irgendwo erklärt wäre, wieso Sandberg die herrschenden Regeln für archaisch hält und wie eine Wirtschaft gestrickt sein muss, in der Frauen sie selbst sein können. Der Satz hat Zündstoff. Aber so ohne Anschluss verpufft er einfach.

"Lean in – Frauen und der Wille zum Erfolg", dieses Buch, das Sheryl Sandberg zusammen mit einer amerikanischen TV-Journalistin schrieb, leidet insgesamt unter einem Mangel an Substanz. Da ist zu wenig Ehrlichkeit, zu wenig Ernsthaftigkeit, zu wenig Einblick in die ja gewiss aufregende Arbeitswelt der Autorin.

Was hat sie sechs Jahre lang bei Google gemacht – außer einen Schwangerenparkplatz vor der Tür durchzusetzen? Wie fühlt es sich an, eine erwachsene, attraktive, eloquente Frau unter lauter männlichen Nerds zu sein? Und die fünf Jahre unter Mark Zuckerberg, der Facebook ja keineswegs als feministische Einrichtung startete, sondern als Ranking Seite, auf der die Attraktivität seiner Harvard-Komilitoninnen beurteilt werden konnte: hot or not?

"Wenn ich Mark nicht kennengelernt hätte, dann hätte ich nie dieses Buch geschrieben. Er las die Fahnen über Thanksgiving und meinte, alles was da steht, hast Du doch auch schon gesagt. Naja, wir saßen fünf Jahre im selben Raum. Aber es ist natürlich etwas anderes, wenn man das auf einmal in einem Buch liest. Er sagte, ich bin froh, dass Du es geschrieben hast. Er ist nett und hat mich immer unterstützt."

In den USA, wo Sandbergs Karriereratgeber große Debatten und auch Spekulationen über den weiteren Berufsweg der Autorin auslöste, hieß es, mit diesem Buch bewerbe sie sich gewiss für einen Posten in der Politik.

"Nein. Ich mag das, was ich tue. Ich liebe Facebook. Wir haben eine Milliarde User. Und da geht noch mehr. Und ich mag auch das, was ich jetzt für Frauen mache", sagt Sandberg.

Sheryl Sandberg meint die ganze Lean in – Produktpalette rund ums Buch: die Stiftung, die Communities und Selbsterfahrungszirkel, das Schulungsprogramm. Wie sie das denn auch noch neben Facebook und Familie schaffen wolle, stellt eine Dame am Ende der Buchpräsentation die ewige Frauenfrage. Sandberg lächelt angesäuert und antwortet: Nun, ich werde wohl meinen Urlaub kürzen.

Service

Sheryl Sandberg, "Lean in. Frauen und der Wille zum Erfolg", aus dem Amerikanischen von Barbara Kunz, Econ Verlag