Nuruddin Farah: "Gekapert - Piraten in Somalia"

"Gekapert" ist der Titel des neuen Romans von Nuruddin Farah. Hintergrund ist das Piraten-Unwesen vor der Küste Somalias, in den vergangenen Jahren haben immer wieder Piraten Schiffe in ihre Gewalt gebracht.

Morgenjournal, 13.6.2013

Der 67-jährige gebürtige Somalier Nuruddih Farah, der seit Jahren als aussichtsreicher Kandidat für den Literatur-Nobelpreis gehandelt wird, lebt seit bald 40 Jahren im Exil; und er schreibt über die katastrophalen Lebensbedingungen der Menschen in seiner früheren Heimat. „Gekapert“ ist sein elfter Roman, der letzte Teil einer Trilogie, in der Farah ein blutiges Kapitel somalischer Geschichte und Gegenwart erzählt. Heute Abend liest Nuruddin Farah in der Alten Schmiede in Wien.

Bürgerkrieg und Terrorismus, Hungerkatastrophe und Piraterie - das fällt wohl den meisten ein, wenn von Somalia die Rede ist. Es ist ein verzerrtes Bild, das westliche Medien da zeichnen, sagt Nuruddin Farah, ein Bild mit vielen Leerstellen: „Was die Medien verschweigen, ist: Somalia ist eine Deponie für Atom- und Chemiemüll. Westliche, europäische Länder, wie Italien, Frankreich, Deutschland vergraben die Behälter mit diesen Abfällen. Beim Tsunami sind viele von diesen Behältern an die Oberfläche gekommen. Und in Puntland gibt es jetzt zahlreiche Kinder mit Missbildungen. Die Welt spricht nicht darüber.“

Nuruddin Farah schreibt darüber. Über die Zerstörung Somalias mit internationaler Unterstützung, über die Gewalt der islamistischen Al-Shabaab-Miliz, die Konflikte zwischen Warlords und Clans, kriminellen Banden und Supermächten, die auf dem Rücken der somalischen Bevölkerung ausgetragen werden.

„Gekapert“ - sein neuer Roman ist im Jahr 2006 angesiedelt. Das Nachbarland Äthiopien hat durch eine Militärintervention in den somalischen Bürgerkrieg eingegriffen. Zwei Brüder kehren aus dem Exil in ihre Heimat zurück - der eine startet von Mogadischu aus zu einer journalistischen Recherchereise durch das Land, der andere versucht in der Provinz Puntland seinen Stiefsohns zu finden, der von Islamisten rekrutiert worden ist. Auf den Spuren der beiden ist auch Nuruddin Farah gereist. Er hat an Ort und Stelle recherchiert - auch in Puntland, der so genannten Piratenhochburg. Ein irreführender Begriff, sagt Nuruddin Farah: „Es gibt keine Piraten in Somalia, es gab hier nie Piraten, das ist eine Erfindung westlicher Medien. Piraten bringen ihre Opfer um, die so genannten Piraten in Somalia tun das nicht, sie sind Geiselnehmer, die Lösegeld verlangen. Angefangen hat das damit, dass das Meer vor der Küste Somalias von großen Industriefischereien leergefischt wurde. Illegal, von Koreanern, Russen und Europäern. Einheimische Fischer haben sich dann gewehrt, sie haben diese Schiffe gekapert und eine Entschädigung verlangt. So hat es begonnen 1997.“

Seit vergangenem September hat Somalia erstmals nach dem Bürgerkrieg wieder eine legitime Regierung. Das Scheinparlament besteht aber nur aus Vertretern von Clan-Führern und Warlord-Milizen. Die Vereinten Nationen sind dafür verantwortlich, sagt Nuruddin Farah: „Das Hauptproblem ist, dass Leute, die von Somalia keine Ahnung haben, entschieden haben, das Land entlang von Clan-Lines aufzubauen - das ist ein Desaster für ein Land, das sich von einem 23-jährigen Bürgerkrieg erholen soll. Menschen müssen durch Ideologie, durch politische Ideologie zusammengebracht werden, nicht durch ihre Blutsverwandtschaft.“

Die vielen Klischees und Fehlinformationen die über Somalia kursieren, will Nuruddin Farah - wie er sagt - korrigieren. Er tut das in einem aufrüttelnden, fesselnden Roman mit einprägsamen Bildern.

Service

Nuruddin Farah, "Gekapert" in der Übersetzung von Susann Urban, Suhrkamp

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