Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann

Psychopathen

Es gibt kein großes Genie ohne einen Schuss Verrücktheit, meinte schon der griechische Philosoph Aristoteles. Kevin Dutton, Psychologie-Professor an der Oxford-University, geht noch ein Stückchen weiter und meint: in jedem Menschen steckt ein kleiner Psychopath.

Die meisten von uns sind auf der Psychopathie-Skala allerdings weit unten angesiedelt: nur ein bis drei Prozent der Bevölkerung zählt Dutton zu den ausgeprägten Psychopathen. In der Mehrzahl übrigens Männer.

"Mein eigener Vater war ein Psychopath. Er war Straßen-Händler, kein Börsenmakler, verkaufte jede Menge Krempel. Wie die Leute später herausfanden, funktionierte das meiste davon nicht. Aber er kannte keine Angst, war extrem charmant und charismatisch."

Er war ein Meister darin, Menschen von sich zu überzeugen, sagt Kevin Dutton über seinen verstorbenen Vater. Ein Persönlichkeitszug, den er mit Finanzjongleuren wie dem Milliarden-Betrüger Bernard Madoff, mit Firmenbossen wie Steve Jobs oder Politikern wie Bill Clinton teilte. Das politische Parkett gilt nämlich als ebenso guter Nährboden für den Psychopathen wie die Börse oder die Vorstandsetage großer Unternehmen.

Ein schmaler Grat

Warum aber gelingt es den einen Psychopathen, im Nadelstreif Karriere zu machen während die anderen hinter Gittern landen? Ob Chefetage oder Gefängnis, das sei oft nur ein schmaler Grat, meint Kevin Dutton – und ob ein Psychopath auch im gesellschaftlichen Sinn erfolgreich sein kann, hängt nur von der richtigen Dosierung ab.

"Angenommen Sie kommen aus schlechten Verhältnissen, sind nicht allzu intelligent und gewalttätig, dann haben Sie keine guten Aussichten. Sie werden als kleiner Gangster im Gefängnis landen. Wenn Sie die Gewaltneigung von dieser Gleichung abziehen, ist es kaum besser. Aber nehmen wir an, Sie sind ein Psychopath, sind nicht gewalttätig, kommen aus einer guten Familie und sind intelligent. Das ist eine völlig andere Geschichte, dann werden Sie eher auf der Börse nach Gewinn jagen als anderswo", sagt Dutton.

Bedrohungen werden nicht wahrgenommen

Bei Menschen mit "psychopathischem Talent" ist das Angstzentrum im Gehirn weniger stark ausgeprägt, sagt Kevin Dutton. Weil Bedrohungen gar nicht als solche wahrgenommen werden, haben Psychopathen Nerven wie aus Stahl, sie gelten als tapfer und risikofreudig, konzentrieren sich voll auf ihr Ziel, auch wenn sie dabei Entscheidungen über Leben und Tod treffen müssen.

Es gibt Arbeitsplätze, die wie maßgeschneidert sind für Menschen mit eben diesen Persönlichkeitsmerkmalen. Etwa Spezialkommandos bei Feuerwehr, Polizei und Militär – ein Bombenentschärfer etwa braucht einen kühlen Kopf, sonst könnte er seinen Beruf gar nicht ausüben. Aber auch im Operationssaal ist ein gewisses Maß an Kaltblütigkeit Voraussetzung für Erfolg.

Eine subjektive, moralische Arroganz

Um zu verstehen, wie Psychopathen ticken, befragte der britische Psychologe sogar Gewaltverbrecher im Hochsicherheitstrakt und ließ sich selbst für kurze Zeit in einen Hardcore-Psychopathen verwandeln. Mit Hilfe der so genannten "Transkraniellen Magnetstimulation" ließ er sein Angstzentrum im Gehirn für kurze Zeit ausschalten: starke Magnetfelder hemmten jedes Gefühl für Furcht – ähnlich wie es die richtigen Psychopathen empfinden.

Was er in diesem Zustand verspürte, beschreibt Dutton als "Anzeichen einer subjektiven moralischen Arroganz". Das mag auch die bemerkenswerte Ausstrahlung von Psychopathen erklären.

"Diese Leute wirken kalt, keine Frage, aber sie besitzen auch ein fast elektrisches Charisma. Es gibt Gründe dafür: sie haben – anders als die meisten von uns - keine Versagensängste, keine Angst vor Zurückweisung. Wenn wir mit etwas außerhalb unserer Komfortzone konfrontiert sind, dann sind wir so programmiert, dass wir lieber die Finger davon lassen, weil wir all die Ängste haben. Aber diese Burschen gehen einfach drauf los", sagt Dutton.

Erfolgreiche Psychopathen als Vorbild

Ein wenig Kaltschnäuzigkeit täte wohl jedem gut, meint Kevin Dutton und kommt zum Schluss, dass wir uns einiges von Psychopathen, zumindest von den erfolgreichen unter ihnen, abschauen können. Psychopathen schieben nichts auf die lange Bank, sie konzentrieren sich auf das Positive, machen sich nicht selbst fertig, wenn etwas schief geht. Und bleiben auch unter Druck gelassen, sagt Kevin Dutton. Charaktereigenschaften, von denen wir alle profitieren könnten. Sein Tipp:

"Werden Sie zum Psychopathen. Denken Sie nicht daran, etwas nicht zu schaffen, konzentrieren Sie sich auf das Positive. Das tun auch Psychopathen. Sie denken nicht an die negativen Folgen. Was sie antreibt ist die Aussicht, belohnt zu werden. Das gibt Selbstsicherheit."

Kevin Duttons Psychopathen-Studie ist – trotz aller Wissenschaftlichkeit - eine unterhaltsame Lektüre, vollgepackt mit Anekdoten und Interviews zum Thema. Manchmal etwas oberflächlich und rotzig im Ton, oft auch nicht ganz schlüssig. Etwa wenn es darum geht, Berühmtheiten aus Gegenwart und Vergangenheit in die Psychopathen-Schublade zu stecken.

Als Einführung ins Thema ist das Buch aber vorzüglich geeignet.

Service

Kevin Dutton , "Psychopathen", übersetzt von Ursula Pesch, dtv