Kinder und Literatur

Die "Café Sonntag"-Glosse von Klaus Eckel

Früher sagte man, man müsse im Leben ein Kind zeugen, einen Baum pflanzen und ein Buch schreiben. Ich behaupte, das alles ist nicht wirklich schwierig. Schwierig ist es, das Kind zu erziehen, den Baum regelmäßig zu gießen und das geschriebene Buch auch zu verkaufen.

Heutzutage stapeln sich nämlich in modernen Buchhandlungen unzählige Bücher, die nach Aufmerksamkeit lechzen. Das Erfreuliche bei Kinderbüchern ist, dass deren Zielgruppe es schätzt, wenn der Autor seine Fantasie sattelt und mit ihr davon fliegt. Da darf schon einmal ein einäugiges Nilpferd Einbrechern auf der Spur sein, ein Zimmerkaktus einem Luftballon seine Liebe offenbaren oder sich ein Klostein danach sehnen, einmal im Leben über den Muschelrand blicken zu dürfen. Den schönsten Geschichten steht die Realität doch nur im Weg.

In England behauptete vor kurzem ein Verlagsleiter, dass Bücher in denen nur Buchstaben stehen, bald völlig außer Mode kommen werden. Um die Attraktivität von Kinder und Jugendbüchern zu erhöhen, werden diese deshalb bereits immer häufiger auf moderne Tabletts geladen. Das kann jedoch auch für Verwirrung sorgen. Ein Bekannter von mir hatte folgendes Erlebnis. Er ging mit seinem zweijährigen Sohn in den Streichelzoo. Vor ihnen stand ein Schaf. Der Sohn streckte nach einer Minute seine Hand aus und begann zu wischen. Danach weinte er.

Der Vater stand zuerst vor einem Rätsel. Doch plötzlich wurde ihm klar, dass der Sohn zu Hause immer wieder sein ipad benutzen darf. Und wenn er dort bei dem Tierbilderbuch wischt verwandelt sich das gezeigte Schaf sofort in eine Giraffe und dann bei einem weiteren Wischen in einen Kakadu. Das vor dem Sohn im Streichelzoo stehende Schaf tat dies jedoch nicht. Es erwies sich auch nach mehrmaligen Wischen als wandlungsresistent. Diese Tatsache brachte den Sohn zur Verzweiflung. Er plärrte seinen Vater mit folgendem Satz an: Schaf kaputt, braucht Update.

Auch etliche Jungleser werden vermehrt animiert zu einem modernen eBook zu greifen. Dort sind manche Kapitel bereits mit Youtube Videos verlinkt, die handelnden Personen haben Facebookfanseiten oder es können Musikstücke aufgerufen werden, die man während des Lesens einer bestimmten Passage hören sollte. Vielleicht wird auch bald im Kinderzimmer, falls im Buch ein Unwetter beschrieben wird, eine Gewitterwolke aufziehen oder das eBook könnte auch während des Lesens Düfte versprühen.

Verlage möchten jedoch auch genauer das Verhalten Ihrer Leser analysieren. Es besteht bei eBooks die Möglichkeit etliches zu ermitteln. Beispielsweise wie lange sich der Leser auf einer Seite aufhält, wo er weiter liest und an welcher Stelle er sogar das Buch abbricht. Eines müssen wir unseren Kindern beim Literaturgenuss in Zukunft dann auf alle Fälle beibringen - Höflichkeit. Auch wenn dir das Buch nicht gefällt, verweile auf jeder Seite zumindest drei Minuten lang, sonst verliert da draußen ein Schriftsteller seinen Job.

Vielleicht wird jedoch auch in ferner Zukunft ein englischer Verlagsleiter erkennen, dass dies eigentlich alles viel zu kompliziert ist und bei einer Vorstandssitzung sagen: "Ich habe eine völlig neue Idee: Wir brauchen Bücher, in denen nur Buchstaben stehen."