Ein Versprechen von Gegenwart
Clemens Berger hat’s gern prickelnd, das fällt langsam auf. Ließ er 2010 – in seinem Roman "Das Streichelinstitut" – einen sanftfingrigen Jungphilosophen zum Meister tantrischer Vaginal-Massage avancieren, spielt Bergers jüngster Roman, eine Erzählung eigentlich, deutlich ins Voyeuristische hinüber.
8. April 2017, 21:58
Im Brennpunkt des Geschehens steht ein Repräsentant der bedienenden Zunft, ein Kellner. Valentin, so heißt der Mann, serviert in einem "gehobenen Lokal zurückgenommener Eleganz", wie es im Text heißt, und dabei wird Valentin immer wieder zum Zeugen amouröser Interaktionen.
Zitat
"Ich kenne sie alle, die, die sich gerade verlieben, unablässig aufeinander einreden, ihre Tage voreinander ausbreiten, ihre Mobiltelefone zücken, um den anderen an den Eindrücken ihres Lebens teilhaben zu lassen, die großen Ausbrüche der Leidenschaft, wenn alles spannend und bedeutsam ist… gerade so wie die, die sich entlieben, feindselig ihre Speise- und Getränkekarten durchblättern, beim Essen und Trinken beharrlich schweigen, die Blicke gesenkt halten oder abschweifen lassen. Ich kenne die wenigen, die nach Jahr und Tag immer noch Gefallen aneinander finden, einander immer noch Neues oder Gleiches zu sagen haben, ich kenne die Halbheimlichkeiten der Ehebrecher und Seitenspringer, den galanten Umgang miteinander, die Freundlichkeiten und Nachsichten, die einmal jemand anderem zugedacht waren."
Vorsicht, Kellner hört mit. Das gilt auch für ein Paar, das die Aufmerksamkeit des achtsamen Garcons von seinem ersten Restaurantbesuch an auf sich zieht. Ein glamouröses, ein spektakuläres Paar, wie Clemens Bergers Ich-Erzähler konstatiert. Vor allem der weibliche Part, eine rattenscharfe Femme fatale mit russischem Zungenschlag, hat es dem Ober angetan.
Zitat
"Wenn ich sage, sie sah atemberaubend aus, wird man mich fragen, was das bedeute, und ich kann nur antworten, dass ich jedes Mal, bevor ich an ihren Tisch ging, tief Luft holen musste, obwohl ich mich freute, die beiden, ja: beide zu sehen… Wenn ich sage, sie war schön, wird man mich fragen, was das heiße: schön, und ich kann, bevor ich sie zu beschreiben versuche, nur vermuten, dass neun von zehn Männern ihre Frauen für sie hintergangen hätten, und dass sie für mich nichts weiter als schön war, wenn ich sie beobachtete, sehr schön, wenn ich sie in mein Kopftheater rief, und wunderschön nach dem zweiten oder dritten Glas, wenn ich abgesperrt, meine Musik aufgelegt, Kassa gemacht hatte und immer noch sie vor mir sah."
Die Schöne und der Beau besuchen das Restaurant in der Regel kurz nach Mitternacht, nachdem sie sich, so phantasiert zumindest der Ober, in der Wohnung des Mannes, eines Schauspielers, in einzigartigen Exzessen miteinander vergnügt haben. Im Restaurant essen die Liebessatten dann Filetspitzen, medium rare, und trinken Bier (er) und Bitter Lemon oder Cola light (sie).
Immer wollüstiger phantasiert sich Ober Valentin in die Beziehung der beiden hinein, er bringt seine Tagträume auf den unbeschriebenen Seiten eines Kassabuchs zu Papier, und auch als Bergers Leserschaft in längeren Kursivpassagen die sexuellen Bekenntnisse des Schauspielers liest, kann man nicht sicher sein, ob es sich nicht nur um Notate des Kellners handelt, die dieser dem Schauspieler lediglich in den Mund legt.
Auf jeden Fall liest sich Clemens Bergers Erzählung wie eine ins Poetische hinübertranszendierte Männerphantasie. In diesem Text ist alles Klischee, von den Figuren über die Tableaus bis hin zu den erschöpfenden Beschreibungen sexueller Aktivitäten. "Ein Versprechen von Gegenwart": letztlich auch nur ein Softporno für den erotisch bedürftigen Herrn.
Zitat
"Als Irina dann auf dir sitzt, deine Zunge zwischen ihren Beinen kreist, du sie kurz hochhebst, im Spiegel ihren Rücken, die muskulösen Schultern, den kleinen Hintern siehst, der dich verrückt macht, wann immer du ihn vor dir hast, denkst du unwillkürlich an euer erstes Treffen in einem Wiener Stundenhotel, als zwei Menschen, die nichts voneinander kannten als ihre Geschlechtsorgane, es in einem weiß überzogenen Bett zur schauerlichen Musik eines vertrottelten Fernsehsenders trieben."
Vermutlich hat Clemens Berger eine graziöse erotische Erzählung schreibt wollen. Das misslingt. Zwar hat sich der Autor bemüht, den Text mit ein paar kraftlos eingestreuten Andeutungen zu verrätseln und ihm dadurch die Weihen gehobener Prosakunst zu verleihen, das rettet diese klischeeüberfrachtete Novelle aber auch nicht mehr, auch wenn der 34jährige Autor sein beachtliches Talent da und dort durchaus aufblitzen lässt.
Was Clemens Berger als Softporno für den literarischen Connaisseur konzipiert hat, als Mischung aus "Emmanuelle" und, sagen wir, Cortázar oder Tabucchi, kommt letztlich doch nur anzüglich und unangenehm "saftlert" daher.
Service
Clemens Berger, "Ein Versprechen von Gegenwart", Luchterhand-Verlag, München