Erneut Straßenschlachten in der Türkei

Der Taksim-Platz in Istanbul ist seit gestern leer, aber der Machtkampf zwischen Erdogans Regierung und ihren Kritikern geht weiter – nicht nur Istanbul, auch in anderen türkischen Städten. Bei einer Pro-Erdogan Kundgebung ist es vereinzelt zu Zwischenfällen zwischen den Anhängern aus den unterschiedlichen Lagern gekommen.

Morgenjournal, 17.6.2013

Korrespondent Christian Schüller im Gespräch mit Andrea Maiwald

Ein neuer starker Gegner

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nach wie vor die Hälfte der türkischen Bevölkerung hinter sich, das geht auch aus den Meinungsumfragen der letzten Wochen hervor. Auf der anderen Seite steht eine Minderheit die bisher zersplittert war, durch die jüngsten Ereignisse aber jetzt zusammen rückt. Es entsteht also eine andere Realität in der Türkei und Erdogan wird es mit einem stärken Gegner zu tun haben.

Die Forderungen nach mehr Demokratie sind in der Türkei nicht ganz so schnell umzusetzen, wenn man bedenkt, dass der Prozess der Demokratisierung in der Türkei dauert. Vieles ist immer noch von der Militärdiktatur der 1980er Jahre geprägt. Die Verfassung, die die Türkei hat, ist noch von den Militärs geschrieben worden. Erdogan und seine AKP haben versprochen, dass sie diese Verfassung ändern werden, dass sie demokratische Rahmenbedingungen schaffen werden. Das hatte der Partei Erdogans auch Sympathien bei Liberalen gebracht.

Ärzte werden verhaftet

Im Moment geht es aber nicht um konkrete Zugeständnisse, die Erdogan jetzt machen würde, sondern er versucht jetzt so viele Anhänger wie möglich auf seiner Seite zu mobilisieren und hofft noch darauf, dass die Protestbewegung einfach einschlafen wird. Für heute haben die beiden größten Gewerkschaften in der Türkei zum Generalstreik aufgerufen. Diesen Generalstreik durchzusetzen dürfte aber gar nicht so einfach werden, noch dazu wo der Anteil der Arbeitnehmer, den sie vertreten, nicht besonders hoch ist.

Erdogan verscherzt es sich aber mit immer mehr Bevölkerungsgruppen. Er hat die Lokale und Hotels angegriffen, die den Demonstranten Unterschlupf gewähren und er zugelassen, dass Ärzte verhaftet werden, die Demonstranten behandeln.

Von Europa missverstanden

Die Frustration über die blockierten EU-Gespräche über einen möglichen Türkei-Beitritt spielt sicher eine Rolle bei Erdogans Haltung jetzt gegenüber Europa. Er fühlt generell von Europa missverstanden und in eine Ecke gedrängt. Das wird jetzt noch verstärkt durch die Medienberichterstattung in den letzten Wochen. Aus der Sicht Erdogan ist es unverständlich, dass er in eine Ecke mit Diktatoren gestellt wird, denn immerhin hat er in den letzten zehn Jahren eine Reihe von Reformen durchgezogen, die in diesen Ländern undenkbar gewesen wären. Und er ist ein gewählter Ministerpräsident, der die Hälfte der Bevölkerung hinter sich hat.