Türkei: Stehender Protest

Gespannte Ruhe herrscht weiter in der Türkei. Auch heute Nacht standen sich Demonstranten und Polizisten gegenüber, die Taktik hat sich aber verändert. Zehntausende im ganzen Land haben sich darauf verlegt, einfach stumm auf Plätzen zu stehen und auf Bilder von Staatsgründer Attatürk zu starren. Trotzdem sind gestern Hunderte bei Razzien verhaftet worden. 410 Menschen werden nach den Protesten der vergangenen Wochen angeblich vermisst, niemand weiß wo sie sind.

Morgenjournal, 19.6.2013

Aus der Türkei berichtet ORF-Korrespondent

"Stehender Mann" Vorbild für stillen Protest

Starr wie Salzsäulen stehen sie da - auf öffentlichen Plätzen, in der Fußgägnerzone, vor Lokalen und Parks. Ein türkischer Choreograph, der in der Nacht auf Dienstag als "Stehender Mann" stundenlang auf dem Taksim-Platz verharrt hat, hatte die neue Protestform initiiert.

Die Demonstranten haben ihren Blick auf das zum Abriss vorgesehene Atatürk-Kulturzentrum und ein daran angebrachtes Porträt des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk gerichtet. Die Polizei, die in den vergangenen Tagen massiv Tränengas eingesetzt hat, hält sich zunächst im Hintergrund. Allerdings stehen Wasserwerfer bereit.

Ban Ki-moon fordert zum Dialog auf

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigt sich weiter besorgt über das harte Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Demonstranten. Er verfolge die Entwicklungen weiter genau und sei sehr traurig über die Toten und Verletzten, die es bei den Zusammenstößen gegeben habe, so Ban. Er fordert alle Beteiligten zu größtmöglicher Zurückhaltung und zur Aufnahme eines konstruktiven Dialogs auf, um vorhandene Differenzen zu beseitigen und weitere gewalttätige Zusammenstöße zu vermeiden.

Rund 7.000 Verletzte

Mittlerweile gibt es eine inoffizielle Bilanz der Ausschreitungen der vergangenen Wochen, die von den türkischen Nachrichtensendern verbreitet werden. Sie stützen sich auf Aussagen von Ärzten und Angehörigen. Rund 7.000 Menschen sind demnach bei den Protesten verletzt worden, 50 davon haben schwere Schädelverletzungen. Einige liegen im Koma.

410 Menschen werden angeblich mittlerweile nach den Protesten der vergangenen Wochen vermisst. Niemand weiß, wo sie sind. Die Behörden geben den Angehörigen keine Auskunft.