Biografie von David Remnick
Über Bruce Springsteen
Der eine ist Chefredakteur des "New Yorker", Pulitzer-Preisträger und Autor viel beachteter Biografien über Muhammad Ali und Barack Obama, der andere steht seit 40 Jahren auf der Bühne, hat 17 Studioalben herausgebracht, 20 Grammys gewonnen und wird zurecht als "lebende Musiklegende" umschrieben. David Remnick trifft Bruce Springsteen.
8. April 2017, 21:58
Die Erwartungen sind naturgemäß hoch, wenn zwei Giganten ihres Genres aufeinander treffen. Das Ergebnis ist der dünne Band "Über Bruce Springsteen". Ivo Kaufmann hat das Buch gelesen, um zu erfahren, ob es mehr zu bieten hat, als die bisher erschienenen Springsteen-Biografien.
Vielschichtiger Rockstar
So kennt man ihn: Bruce Springsteen, charismatischer Frontman, magischer Bühnenmessias, energetischer Stadionrocker. Aber auch so kennt man ihn: Der unzugängliche Songwriter, scheuer Poet, depressiver Außenseiter. Im September wird der vielschichtige Rockstar aus New Jersey 64 Jahre alt. An ein Ende seiner Karriere denkt niemand.
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Anders als etwa die Rolling Stones, die seit der Disco-Ära keinen großen Song mehr geschrieben haben und nur noch zusammenkommen, um als ihre eigene Coverband ihr Vermögen zu vermehren, verweigert Springsteen die Rolle des gewinnsüchtigen Kurators seiner eigenen Vergangenheit. Er entwickelt sich als Künstler weiter, füllt ein Spiralheft nach dem anderen mit Ideen, Zitaten, Fragen, Ausschnitten und letztlich auch neuen Liedern.
David Remnick hat Bruce Springsteen in Fort Monmouth, einem alten, verlassenen Armeestützpunkt an der Ostküste getroffen. Dorthin hat sich "The Boss" mit seiner E-Street Band zurückgezogen, um für die Welttournee zu seinem zuletzt erschienenen Album "Wrecking Ball" zu proben. Remnicks erster Eindruck von Springsteen:
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Er sieht nach wie vor deprimierend gut aus und ist unfassbar fit.
Aufarbeitung der Kindheit
Um der Ausnahmegestalt im internationalen Rockbusiness näher zu kommen, springt der Autor flink und unverschämt durch Zeit und Raum. Einschneidende Erlebnisse finden sich wenig überraschend in Springsteens Kindheit in einem dreckigen Arbeiterviertel in Freehold, New Jersey. Der Vater ein frustrierter, bipolarer, prügelnder Säufer wird schnell zum prägenden Reibebaum und Initialpunkt lebenslanger Radikalopposition gegen Autoritäten aller Art. Springsteen erzählt, dass die Kämpfe seiner Eltern das "Thema seines Lebens" wären. Seine Art der Aufarbeitung sieht er weniger als Kunst, denn als Handwerk.
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Wenn ich ein bisschen von mir repariere, repariere ich auch ein bisschen von dir. Das ist der Job.
Die Politik und das unverhohlene Beschreiben amerikanischer Missstände wurden bald zum zweiten wesentlichen Inhalt der Songs von Bruce Springsteen. Er schrieb und sang Lieder über Vietnam-Veteranen, Wanderarbeiter, soziale Ungerechtigkeiten, deindustrialisierte Ödnis und später über AIDS, 9/11 und den Irak-Krieg. Dennoch wurde er nie zum radikal Aufsässigen, zum Revolutionär. Für Springsteen, so der Autor David Remnick, war und ist der Rock'n'Roll "eine Alternative, eine Fluchtmöglichkeit", aber "keine Rebellion". Diese erdige Einstellung, dieses Gefühl seiner Millionen Fans, dass er, der "Boss" "einer von uns" ist, machten seine unglaublichen Verkaufserfolge erst möglich.
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Mitte der achtziger Jahre war Springsteen der größte Rockstar der Welt, er konnte das Giants-Stadion an zehn Abenden hintereinander füllen.
Armut nur in den Songs
Auch wenn die Anliegen und die Werte des einfachen amerikanischen Arbeiters ein durchgehendes Thema blieben, - privat lebte Springsteen das Leben eines Weltstars. Sein Kindheitstraum von "rosa Cadillacs" wurde in seiner 14-Millionen-Dollar-Villa in Beverly Hills Wirklichkeit. Später kamen dutzendweise Oldtimer, Motorräder, Pferde, ein großzügiges Aufnahmestudio und eine eigene Biolandwirtschaft dazu.
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Springsteen war sich des komischen Widerspruchs bewusst: der Multimillionär in seiner theatralischen Selbstdarstellung als Stimme der Entrechteten.
Eine Zerrissenheit, die ihn in schwere Depressionen stürzte. Remnick beschreibt die unzähligen nächtlichen Autofahrten, die den ewig grübelnden "Isolationisten" immer wieder zum alten, verlassenen Haus seiner Kindheit führten. Springsteen wiederum gesteht, dass in seinen dunkelsten Phasen einzig das gleißende Stadionlicht Erleichterung brachte. Nur auf der Bühne konnte er sich das echte Leben vom Leib halten.
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In dieses Stunden ist man frei von sich selbst; alle Stimmen im Kopf sind weg. Einfach weg. Es gibt keinen Platz für sie.
Mit Empathie
Remnick enthüllt den Künstler und den Menschen Springsteen auf überaus respektvolle Weise. Durch das collagenartige Montieren von Schlaglichtern aus seinem Leben bleibt der nur knapp 80-seitige Text stets kurzweilig, jedoch nie oberflächlich.
Monatelang hat er den Rockstar begleitet und auch seine wichtigsten Weggefährten interviewt. Darunter natürlich das charismatische E-Street-Band-Mitglied Steven Van Zandt, vielen besser bekannt durch seine Darstellung des Silvio in der TV-Serie "Die Sopranos". Das Ergebnis beweist, dass man mit Empathie, Menschenkenntnis und exakter Beschreibung dem Geheimnis eines "Stars" viel näher kommt, als mit der manischen Anhäufung von Daten und Fakten, wie in so vielen anderen Biografien.
Service
David Remnick, "Über Bruce Springsteen", aus dem Englischen übersetzt von Eike Schönfeld, Berlin Verlag