Biografie von David Remnick

Über Bruce Springsteen

Der eine ist Chefredakteur des "New Yorker", Pulitzer-Preisträger und Autor viel beachteter Biografien über Muhammad Ali und Barack Obama, der andere steht seit 40 Jahren auf der Bühne, hat 17 Studioalben herausgebracht, 20 Grammys gewonnen und wird zurecht als "lebende Musiklegende" umschrieben. David Remnick trifft Bruce Springsteen.

Die Erwartungen sind naturgemäß hoch, wenn zwei Giganten ihres Genres aufeinander treffen. Das Ergebnis ist der dünne Band "Über Bruce Springsteen". Ivo Kaufmann hat das Buch gelesen, um zu erfahren, ob es mehr zu bieten hat, als die bisher erschienenen Springsteen-Biografien.

Vielschichtiger Rockstar

So kennt man ihn: Bruce Springsteen, charismatischer Frontman, magischer Bühnenmessias, energetischer Stadionrocker. Aber auch so kennt man ihn: Der unzugängliche Songwriter, scheuer Poet, depressiver Außenseiter. Im September wird der vielschichtige Rockstar aus New Jersey 64 Jahre alt. An ein Ende seiner Karriere denkt niemand.

David Remnick hat Bruce Springsteen in Fort Monmouth, einem alten, verlassenen Armeestützpunkt an der Ostküste getroffen. Dorthin hat sich "The Boss" mit seiner E-Street Band zurückgezogen, um für die Welttournee zu seinem zuletzt erschienenen Album "Wrecking Ball" zu proben. Remnicks erster Eindruck von Springsteen:

Aufarbeitung der Kindheit

Um der Ausnahmegestalt im internationalen Rockbusiness näher zu kommen, springt der Autor flink und unverschämt durch Zeit und Raum. Einschneidende Erlebnisse finden sich wenig überraschend in Springsteens Kindheit in einem dreckigen Arbeiterviertel in Freehold, New Jersey. Der Vater ein frustrierter, bipolarer, prügelnder Säufer wird schnell zum prägenden Reibebaum und Initialpunkt lebenslanger Radikalopposition gegen Autoritäten aller Art. Springsteen erzählt, dass die Kämpfe seiner Eltern das "Thema seines Lebens" wären. Seine Art der Aufarbeitung sieht er weniger als Kunst, denn als Handwerk.

Die Politik und das unverhohlene Beschreiben amerikanischer Missstände wurden bald zum zweiten wesentlichen Inhalt der Songs von Bruce Springsteen. Er schrieb und sang Lieder über Vietnam-Veteranen, Wanderarbeiter, soziale Ungerechtigkeiten, deindustrialisierte Ödnis und später über AIDS, 9/11 und den Irak-Krieg. Dennoch wurde er nie zum radikal Aufsässigen, zum Revolutionär. Für Springsteen, so der Autor David Remnick, war und ist der Rock'n'Roll "eine Alternative, eine Fluchtmöglichkeit", aber "keine Rebellion". Diese erdige Einstellung, dieses Gefühl seiner Millionen Fans, dass er, der "Boss" "einer von uns" ist, machten seine unglaublichen Verkaufserfolge erst möglich.

Armut nur in den Songs

Auch wenn die Anliegen und die Werte des einfachen amerikanischen Arbeiters ein durchgehendes Thema blieben, - privat lebte Springsteen das Leben eines Weltstars. Sein Kindheitstraum von "rosa Cadillacs" wurde in seiner 14-Millionen-Dollar-Villa in Beverly Hills Wirklichkeit. Später kamen dutzendweise Oldtimer, Motorräder, Pferde, ein großzügiges Aufnahmestudio und eine eigene Biolandwirtschaft dazu.

Eine Zerrissenheit, die ihn in schwere Depressionen stürzte. Remnick beschreibt die unzähligen nächtlichen Autofahrten, die den ewig grübelnden "Isolationisten" immer wieder zum alten, verlassenen Haus seiner Kindheit führten. Springsteen wiederum gesteht, dass in seinen dunkelsten Phasen einzig das gleißende Stadionlicht Erleichterung brachte. Nur auf der Bühne konnte er sich das echte Leben vom Leib halten.

Mit Empathie

Remnick enthüllt den Künstler und den Menschen Springsteen auf überaus respektvolle Weise. Durch das collagenartige Montieren von Schlaglichtern aus seinem Leben bleibt der nur knapp 80-seitige Text stets kurzweilig, jedoch nie oberflächlich.

Monatelang hat er den Rockstar begleitet und auch seine wichtigsten Weggefährten interviewt. Darunter natürlich das charismatische E-Street-Band-Mitglied Steven Van Zandt, vielen besser bekannt durch seine Darstellung des Silvio in der TV-Serie "Die Sopranos". Das Ergebnis beweist, dass man mit Empathie, Menschenkenntnis und exakter Beschreibung dem Geheimnis eines "Stars" viel näher kommt, als mit der manischen Anhäufung von Daten und Fakten, wie in so vielen anderen Biografien.

Service

David Remnick, "Über Bruce Springsteen", aus dem Englischen übersetzt von Eike Schönfeld, Berlin Verlag